Siemens:Ein Mega-Geschäft

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Wenn der Konzern im nächsten Jahr seine Medizintechnik-Sparte an die Börse bringt, könnte ihm dies bis zu zehn Milliarden Euro bringen.

Von Elisabeth Dostert, Thomas Fromm, Benedikt Müller und Markus Zydra, München

Siemens macht's noch einmal: Schon im Jahr 2000 schickte der Konzern sein Halbleitergeschäft unter dem Namen Infineon an die Börse, 13 Jahre später entließ er die Licht- und Lampentochter Osram aufs Parkett. In der ersten Jahreshälfte 2018 nun ist die Medizintechniktochter Healthineers dran. Kaum zu glauben: Hätte der damalige Siemens-Chef Heinrich von Pierer in den 90er-Jahren auf seine Finanzinvestoren gehört, dann wäre wohl Schluss gewesen - und Siemens hätte sich schon vor vielen Jahren von der damals schwächelnden Medizintechnik getrennt. Der Konzern hatte einen langen Atem, und so geht nun ein Unternehmen an die Frankfurter Börse, dessen Wert auf 40 Milliarden Euro geschätzt wird. Selbst wenn Siemens zunächst nur bis zu 25 Prozent seiner Tochter verkauft, brächte dies an die zehn Milliarden Euro ein. Fragen und Antworten zum wohl größten Börsengang seit der Deutschen Telekom im Jahr 1996.

Um welche Geschäfte geht es? Der Markt für Medizinprodukte umfasst vieles - von Pflastern, Blutdruckmessgeräten, Prothesen, Defibrillatoren, In-Vitro-Diagnostika wie Schwangerschaftstests bis zu bildgebenden Diagnose-Geräten, wie sie von den Medizintechniksparten von Siemens oder General Electric hergestellt werden: Röntgen- und Ultraschallgeräte oder Computertomografen. Der Markt ist wie viele Bereiche des Gesundheitswesens stark reguliert. Seit Mai gelten die EU-Verordnung über Medizinprodukte (2017/745) und die IVD-Verordnung.

Wie groß ist der Markt?

Nach Angaben der Marktforscher des Instituts Evaluate werden 2017 weltweit voraussichtlich gut 400 Milliarden Dollar mit Medizintechnik umgesetzt. 2016 waren es 387 Milliarden Dollar, davon entfallen knapp 50 Milliarden Dollar auf In-Vitro-Diagnostika (IVD), das größte Marktsegment. Bis 2022, so die Prognose, soll der Gesamtmarkt auf knapp 522 Milliarden Dollar steigen. Deutschland ist ein großer Hersteller und ein großer Markt für Medizinprodukte. 2016 setzten die rund 1 260 Unternehmen 29,2 Milliarden Euro um - ohne IVD, so der Branchenverband Spectaris. Laut Evaluate ist Siemens Weltmarktführer bei bildgebender Diagnostik. Auf Platz zwei und drei folgen General Electric und Philips.

Warum bringt Siemens sein Medizintechnikgeschäft an die Börse?

Mit einem Umsatz von 14 Milliarden Euro und 47 000 Mitarbeitern weltweit gehört die Medizintechnik zu den umsatzstärksten und profitabelsten Konzernsparten. Allerdings gibt es aus Sicht des Managements nur wenig Anknüpfungspunkte mit den anderen Siemens-Sparten wie Energie oder Automatisierung. Das Ziel ist nun, die Sparte selbständiger zu machen und ihr Zugang zum Kapitalmarkt zu verschaffen.

Warum ein Börsengang in Frankfurt?

Die Entscheidung kam in der Tat überraschend, denn New York und London sind die deutlich größeren Finanzmärkte. Dort könnte Siemens eventuell auch mehr Geld für die Aktien bekommen, außerdem sind in den USA auch die meisten Konkurrenten in der Medizintechnik gelistet. New York war also hoch im Kurs. Doch am Ende überwogen die Argumente für die Börse in Frankfurt: Zum einen besänftigen die Siemens-Manager die IG Metall. Die Gewerkschaft hatte angekündigt, sich gegen einen Börsengang in den USA zu wehren, weil man eine Aufweichung der Arbeitnehmerrechte befürchtete. Zum anderen sind die Börsenvorschriften in den USA strenger - dieser Fessel entgeht Siemens nun. Langfristig gewinnt der Finanzplatz Frankfurt international ohnedies an Bedeutung, weil Großbritannien die EU verlässt. Aus diesem Grund war London als Ort für den Börsengang auch nie ein ernstes Thema.

Warum behält Siemens die Mehrheit?

Siemens will Hauptaktionär bleiben, weil man die Sparte zum Kerngeschäft zählt. Kontrolle ist da wichtig. Der Konzern möchte deshalb nur 15 bis 25 Prozent an die Börse bringen; das könnte bis zu zehn Milliarden Euro bringen. Die Option, später noch mehr zu verkaufen, hält man sich offen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass große Börsengänge in Tranchen abgewickelt werden. Die Deutsche Telekom brachte 1996 auch nur einen Teil ihrer Aktien unters Volk. Später folgte mehr.

Wie groß ist der deutsche Markt für Börsengänge?

Er ist klein, aber er wächst. Bislang gingen in diesem Jahr elf Unternehmen an die Frankfurter Börse. Diese Neuemissionen spielten insgesamt 2,7 Milliarden Euro ein, meldet die Deutsche Börse. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 waren es nur fünf Unternehmen mit 321 Millionen Euro. Das weltweite Volumen belief sich im dritten Quartal 2017 auf 38 Milliarden Dollar, so Daten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY. Der geplante Börsengang der Siemens-Medizintechniksparte ist einer der größten in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren. Das Volumen ist nur vergleichbar mit den Notierungen der Deutschen Telekom, die im Jahr 2000, mit der dritten Aktien-Tranche, bei den Anlegern 15 Milliarden Euro einsammeln konnte. Im Oktober 2016 hatte der Energiekonzern RWE seine Tochter Innogy an die Börse gebracht. Auch hier kam einiges zusammen: Der Börsengang brachte RWE damals fünf Milliarden Euro ein; die konnte der Versorger auch gut gebrauchen, da seine Kraftwerke wegen der Energiewende an Wert verloren hatten. Zwar hält der Dax-Konzern noch etwa 77 Prozent der Innogy-Anteile. RWE hatte aber zumindest nicht ausgeschlossen, weitere Aktien zu verkaufen.

© SZ vom 01.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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