Schaeffler: Krisenbewältigung:Vom Schlimmsten verschont

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Vor einem Jahr gewährten die Banken Schaeffler eine lebenswichtige Kreditverlängerung. Jetzt scheint der damals wankende Riese wieder stabil zu stehen.

Roman Deininger

Es stand ernst um Herzogenaurach, so ernst, dass Helmut Hetzel eines Tages von der Kanzel herab in eine volle Kirche blickte. "Es waren Leute da, die ich vorher nie gesehen hatte", sagt der Pfarrer von St. Magdalena.

"Jeder hat gebangt." Der Automobilzulieferer Schaeffler ist für Herzogenaurach von großer Bedeutung. (Foto: dpa)

Seine Kirche liegt auf einer sanfte Anhöhe über der Altstadt, die Angst hatte die Menschen hierher getrieben. Sonntags predigte Hetzel über die Quelle dieser Angst, die Krise bei Schaeffler, dem größten Arbeitgeber der Stadt, einem der größten Arbeitgeber ganz Bayerns. Mittwochs waren die Leute schon wieder da zur Solidaritätsversammlung.

"Jeder hat gebangt", sagt Hetzel, "wenn nicht um seinen Job, dann um den eines Verwandten oder Bekannten". Vor dem Altar der Magdalenenkirche ließ Pfarrer Hetzel einen "Baum der Hoffnung" aufstellen. An dem Baum hingen Eisenringe, Kugellager und Getriebeteile.

Lederne Treter hinter Glas

Im holzgetäfelten Bürgermeisterzimmer des Herzogenauracher Rathauses gibt es ein Schuhregal. Herzogenaurach ist eine kleine Stadt in der Nähe von Erlangen, 23.000 Einwohner, ein paar Dutzend Fachwerkhäuser und drei Weltkonzerne.

Das Schuhregal erzählt die Erfolgsgeschichte dieser Stadt nach dem Krieg. Hinter Glas sind da die ledernen Treter, in denen deutsche Fußballer Weltmeister wurden, da sind die goldglänzenden Spikes, die jamaikanische Sprinter zu Fabelrekorden trugen. Und da sind, unter den Schuhen: Eisenringe, Kugellager und Getriebeteile.

Die Zweite Bürgermeisterin Renate Schroff sitzt im weißen Hosenanzug am Besprechungstisch, sie sagt: "Wir haben Adidas, wir haben Puma, wir haben Schaeffler. In guten Zeiten schauen alle voll Neid auf uns. Aber schlechte Zeiten sind für uns fatal."

Herzogenaurach hat schlechte Zeiten lange nicht gekannt. Neben Bürgermeisterin Schroff hat in Puma-Hemd und Adidas-Schuhen Manfred Hofmann Platz genommen, der Kämmerer.

"So einen Schock hier noch nie erlebt"

Auch die Sportartikelhersteller hätten ihre Probleme gehabt in den Neunzigern, sagt Hofmann. "Aber so einen Schock wie 2008 haben wir hier noch nie erlebt." Die Schaeffler-Gruppe, dieser Maschinenbau-Riese, hatte sich verhoben, weil er einen noch viel mächtigeren Koloss übernehmen wollte, die Continental AG. Die Finanzkrise war wie ein Orkan übers Land gefegt, sie hatte den Riesen ins Wanken gebracht.

Als die Herzogenauracher im Februar 2009 zu einer Demonstration aufgerufen wurden, mussten sie damit rechnen, dass der Riese wirklich fallen könnte. Dass er 7000 Arbeitsplätze am Ort unter sich begräbt und ungezählte Jobs mehr bei Zulieferern und Speditionen.

Die Menschen trafen sich am Marktplatz an jenem 18. Februar, von dem sie in Herzogenaurach jetzt reden wie von einem Feiertag. Der Platz war zu klein für die Demonstranten. 10.000 Leute waren auf den Beinen, die Bäcker und Metzger, Geschäftsleute und Wirte aus der ganzen Stadt.

"Wir waren auf das Schlimmste gefasst"

Sie trugen Anstecker, "Auch wir sind Schaeffler", stand darauf. "Natürlich waren wir dabei", sagt eine Frau, die im Zentrum Zeitschriften und Zigaretten verkauft. Aus Anteilnahme. Aber auch, "weil uns ja die Kunden gefehlt haben, als die Schaeffler-Leute wegen der Kurzarbeit zu Hause geblieben sind".

Im nahen Gremsdorf, in der Behindertenwerkstatt der Barmherzigen Brüder, fragte der Mitarbeiter Hubert seinen Chef, warum er nicht mehr Kugellager-Kartons mit einer Folie überziehen durfte wie jeden Werktag seit vielen Jahren. Der Chef musste ihm erklären, dass Schaeffler keine Kartons für Kugellager gebrauchen konnte im Moment.

Eineinhalb Jahre sind seitdem vergangen. Bürgermeisterin Schroff sagt, es wirke, als wäre es viel länger her. Die Stadt hatte ein schmerzhaftes Sparprogramm vorbereitet wegen der zu erwartenden Einbrüche bei der Gewerbesteuer, "wir waren auf das Schlimmste gefasst". Doch das Schlimmste trat nicht ein. Kämmerer Hofmann sagt: "Wir hätten nie gedacht, dass wir aus dieser Krise so schnell herauskommen."

Die Cafes der Hauptstraße sind wieder voll, genau wie die Auftragbücher des großen Wälzlagerwerks im Süden der Stadt. Unlängst gab Maria-Elisabeth Schaeffler, die Übermutter des Unternehmens, eines ihrer seltenen Interviews, sie bestätigte ihrer Firma "ein eindrucksvolles Comeback".

Zwei neue Werke in China

Im Spätsommer 2009 hatten die Banken die Kreditlinien verlängert, dann profitierte Schaeffler vom raschen Ende der Autokrise. Mehr als acht Milliarden Euro Umsatz erwartet man fürs laufende Jahr, ein Plus von zehn Prozent.

Das Asiengeschäft blüht, in China sollen zwei neue Werke errichtet werden. In Herzogenaurach beendete im Juni der letzte Beschäftigte die Kurzarbeit. Und in Gremsdorf darf Hubert wieder Folien aufziehen.

Andere Mitarbeiter der Behindertenwerkstatt falten Kartons, kleben Etiketten oder stecken Kunststoffteile zusammen - alles im Dienst von Schaeffler. Man sei immerhin wieder bei 50 Prozent des Auftragsvolumens von 2008, sagt Werkstattleiter Detlev Troll.

Der Aufschwung bei Schaeffler hat jedoch einen Preis. Zwölf Milliarden Euro Schulden lasten weiter auf den Schultern des Riesen, das erschwert den Vollzug mit Continental.

Das Beten hat nie aufgehört

Das fränkische Familienunternehmen, das 1946 mit dem Bau von Leiterwagen begann, muss sich auf Druck der Banken in eine Kapitalgesellschaft umwandeln, später wohl in eine Aktiengesellschaft. Neue Zeiten brechen an, Investoren bestimmen nun mit.

"Die Familie Schaeffler steht für die soziale Haltung der Firma", sagt Thomas Mölkner, der Betriebsratschef am Standort Herzogenaurach. "So eine Verbundenheit zur Stadt werden Außenstehende nie haben können." Er sei Optimist, sagt Mölkner, die Kreditfrage sei "momentan gut gelöst", das Unternehmen habe qualifizierte Mitarbeiter und einen modernen Maschinenpark. "Was die Zukunft bringt, werden wir sehen."

Pfarrer Hetzel sagt, er sei ein Mann Gottes, kein Mann der Wirtschaft. Natürlich, er kenne die Fragen: Was wird aus den Schulden? Was wird aus der Familie Schaeffler? Die Antworten kenne er nicht. Heute gibt es keine Solidaritätsversammlungen mehr in St. Magdalena, der Baum der Hoffnung ist auch vom Altar verschwunden. Aber das Beten für die Menschen im Werk, sagt Helmut Hetzel, das habe er nie aufgehört.

© SZ vom 27.08.2010/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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