Rumänien und die Krise:Nichts los in Nokia Village

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Tristesse pur: Im rumänischen Dorf Jucu sollte um die Fabrik von Nokia ein großer Industriepark entstehen. Doch aus dem Traum von neuem Wohlstand ist nichts geworden.

Kathrin Lauer

Klein und grau sind die ebenerdigen Bauernhäuser in Jucu. Aus den Höfen blitzt sattgrünes Weinlaub, wilde Rasenstreifen säumen eine geschotterte Gasse. Glückliche Hühner, Enten und Gänse scharren darin nach Futter. Unvermittelt blitzt eine rostrot gestrichene, zweigeschossige Villa auf. An den neuen Fensterrahmen kleben noch Verpackungsreste.

Gelände der Nokia-Fabrik in Jucu: Wer hier richtig Geld hat, verdient es auf dem Bau. (Foto: Foto: Kathrin Lauer)

Arbeitet der Besitzer etwa bei Nokia, in der neuen Fabrik am Dorfrand? "Ach wo, der jobbt in Italien", sagt eine Frau, die gerade vorbeikommt. "Ich hasse dieses Dorf, wissen Sie, ich bin ein Stadtmensch, habe nur hierher geheiratet", schimpft die Passantin und kämpft sich mit ihrer prall gefüllten Einkaufstasche weiter bergan auf der Gasse, durch den sengenden Hochsommer. Sie ist gerade per Anhalter von ihrem Arbeitsplatz in der 20 Kilometer entfernten Stadt Klausenburg (Cluj) gekommen. Es gibt Züge hierher, aber selten.

Rutschbahnen und Schaukeln von Nokia

Dies also ist das Dorf, das vor mehr als einem Jahr weltberühmt wurde, als der finnische Handyhersteller hierher zog, als ganz Deutschland empört war, weil Nokia zugleich sein Werk in Bochum schloss und 2300 Menschen in die Arbeitslosigkeit trieb. Haben die Finnen aber den Wohlstand, gar die versprochene industrielle Revolution in dieses siebenbürgische Nest gebracht?

Der rührige Bürgermeister Ioan Pojar freut sich über die 600.000 Euro Steuern von Nokia, die im letzten Jahr in die Gemeindekasse geflossen sind. Ein neues Rathaus baut er dafür, eine neue Schule und eine Krankenstation. Ja, ein paar Rutschbahnen und Schaukeln hat Nokia dem Dorf geschenkt. Die überdimensionierte, schmiedeeiserne Einzäunung des Spielplatzes hat allerdings die Kommune bezahlt. Und sonst? Wer hier richtig Geld hat, verdient es auf dem Bau, als Altenpfleger oder Putzkraft in Westeuropa, wie insgesamt zwei Millionen Rumänen.

Aus Nokias großen Plänen in Jucu ist kaum etwas geworden. Nur eine Fertigungshalle steht da, in der etwa 1400 Angestellte, darunter viele frühere Textilarbeiterinnen, importierte Teile zusammensetzen. Ihr Monatslohn liegt bei durchschnittlich 250 Euro. Hinzu kommen einige hundert Zeitarbeiter, die je nach Auftragslage angestellt und wieder entlassen werden.

Kein Mittagessen mehr

Im geplanten "Nokia Village" auf dem 90 Hektar großen Industriepark-Gelände wollte Nokia alles, von der Handytastatur bis hin zum Gebrauchsanweisungsprospekt produzieren. Doch dies hat offenbar die globale Krise durchkreuzt. Auf dem Handymarkt herrscht Flaute, die Verkaufspreise sinken, wie das Unternehmen diese Woche kleinlaut zugab.

Weiter bergauf im Dorf hat sich eine Gruppe junger Männer um ein altes Motorrad versammelt. Einer von ihnen, ein schüchterner 19-Jähriger, arbeitet bei Nokia. Zwar nicht direkt in der Produktion, sondern als Putzkraft, über ein Subunternehmen. Für umgerechnet 166 Euro im Monat. Das ist weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Netto-Lohns in Rumänien. Seit Ende Dezember, erzählt er, also seit dem Ausbruch der globalen Krise, bekommen die Reinigungskräfte in der Nokia-Fabrik kein Mittagessen mehr. Vorher gab es eine Suppe und einen zweiten Gang. Sehr mager ist dieser Jüngling. Treuherzig sagt er seinen Namen, doch soll er hier nicht genannt werden, denn Nokia-Mitarbeiter verlieren ihren Job, wenn sie ohne Genehmigung von ganz oben mit der Presse sprechen.

Nokia spart offensichtlich, wo es nur geht. Vor kurzem - das bestätigte die Nokia-Sprecherin Anna Simai, wurde die Schicht von acht auf zwölf Stunden erhöht. Der Gewerkschaftsmann Valentin Ilcas meint, die Schichtverlängerung liege daran, dass die Kosten für die Busse, die die Mitarbeiter aus den umliegenden Dörfern in die Fabrik bringen, für die Finnen zu hoch geworden seien. Längere Schichten bedeuten seltenere Bustransporte.

Ilcas und sein Gewerkschaftsbund Cartel Alfa haben vor Gericht für das Recht kämpfen müssen, die Nokia-Arbeiter vertreten zu dürfen. Trotzdem tue Nokia alles, um jeden Kontakt zwischen seinen Angestellten und Gewerkschaftern zu verhindern. Dabei wolle er im Grunde nur dafür sorgen, dass die Arbeiterinnen während der Produktion wenigstens sitzen können, sagt Ilcas. Zwölf Stunden stehen, wenn auch mit drei Pausen von zusammen einer Stunde, das sei unmenschlich.

Nokia-Fabrik in Jucu: Nichts los im gelobten Land. (Foto: Foto: Kathrin Lauer)

Dazu erklärt die Nokia-Sprecherin Simai, dass ihre Firma sich an internationale Arbeitsrechtsbestimmungen halte. Manche Mitarbeiter dürften sitzen, andere müssten stehen, je nach Arbeitsgang. Im Übrigen hätten Nokia-Angestellte ein "exzellentes" Arbeitsumfeld und Zugang zu Gymnastikprogrammen. Mit Nokia sei nicht zu reden, sagt dagegen der Gewerkschaftsmann Ilcas. "Sie erzählen mir immer nur etwas von der Nokia-Kultur, die ich zu verinnerlichen hätte. Aber soweit ich dies begriffen habe, bedeutet Nokia-Kultur nur, Hab-Acht zu stehen und zu allem Ja zu sagen."

Niedrige Lohnkosten

Dass Gewerkschafter, wie damals bei Nokia in Bochum, im Aufsichtsrat einer Firma sitzen, ist im rumänischen Gesetz nicht vorgesehen. In Rumänien sind Unternehmen nur dann verpflichtet, mit einer Gewerkschaft zu verhandeln, wenn diese nachweisen kann, dass sie in dem Betrieb einen bestimmten Prozentsatz von Mitgliedern hat.

Neben den niedrigen Lohnkosten dürfte also das Arbeitsrecht der Grund gewesen sein, weshalb die Finnen sich für den Standort Rumänien entschieden haben. Das sagt auch Marius Nicoara, der in seiner früheren Eigenschaft als Kreisratsvorsitzender als derjenige gilt, der Nokia nach Rumänien gelockt hat. "Was Nokia wollte, nämlich ein Nokia Village mit allen Zulieferern, das wäre in Deutschland nicht möglich gewesen. Die Grundstücke wären dort zu teuer gewesen, und es hätte Probleme mit den Bedingungen der Gewerkschaften gegeben", sagt er.

Nicoara ist trotz seiner Leistung in puncto Nokia inzwischen aus seinem politischen Amt abgewählt worden und arbeitet nun als Generalvertreter für Skoda in Klausenburg. Sichtlich stolz erzählt er, wie seine guten Beziehungen zum Feinmechanik-Hersteller Emerson, der sich noch vor Nokia hier angesiedelt hat, die Brücke zu den Finnen geschlagen haben. "Die Emerson-Leute haben den Nokia-Leuten erzählt, dass ich in Ordnung bin, dass ich keine Schmiergelder nehme."

Sorgen um Infrastruktur

Doch was hat nun Nokia der Region gebracht, nachdem der rumänische Staat zwölf Millionen Euro in die Infrastruktur des Industrieparks investiert hat? Nokia Village ist ausgeblieben, aber auch Rumänien hat seine versprochenen Infrastrukturleistungen nicht erbracht. Die Zubringer- und Umgehungsstraßen sind nicht fertig. Die geplante Autobahn, die zur Westgrenze führen soll, endet im Nirgendwo, weil die US-Firma Bechtel, die ohne Ausschreibung mit dem Bau betraut worden war, langsam arbeitet und vom rumänischen Staat immer mehr Geld verlangt.

Außerdem hätte die Piste des Flughafens Klausenburg verlängert werden sollen, damit auch große Flugzeuge zum Warentransport dort starten und landen können. "Die Pläne sind fertig," sagt Nicoara, die EU steuere 15 Millionen Euro bei. Eigentlich könne man mit dem Bau beginnen, nur seien dafür wegen Eigentumsproblemen noch nicht alle Grundstücke verfügbar.

Nicoara hat jetzt größere Sorgen. Wie in der gesamten Autoindustrie ist der Absatz von Skoda um 60 bis 70 Prozent eingebrochen. "Vor der Krise war ich unter den 300 reichsten Rumänen", sagt Nicoara, "schließlich habe ich hier auch die Bank Transilvania gegründet. Jetzt bin ich nur noch unter den 1000 Reichsten." Die Zukunft sieht Nicoara finster: "Die Krise hat bei uns noch gar nicht richtig begonnen. Die kommt erst in diesem Herbst und Winter. Wer bis zum Frühjahr überlebt, wird das Schlimmste überstanden haben."

Klausenburg war zuletzt die dynamischste Region Rumäniens. Sie hatte allerdings als letzte vom Boom profitieren können, weil in Klausenburg bis 2004 der ultranationalistische Bürgermeister Gheorghe Funar an der Macht war, der systematisch ausländische Investoren vergrault hat. Inzwischen zählt die Industrie- und Handelskammer vor Ort 5500 ausländische Firmen, davon 565 deutsche. Sie kamen unter anderem wegen der direkten Flugverbindung nach Frankfurt und wegen der gut beleumundeten Universität. Voller Stolz schreiben gerade die rumänischen Zeitungen, dass eine Absolventin der Technischen Universität Klausenburg zu den 100 besten jungen Wissenschaftlern der USA gehört und vom US-Präsidenten Barack Obama eine Auszeichnung bekommen wird.

Im deutschen Wirtschaftsclub von Klausenburg, der 40 Mitglieder zählt, beklagte man sich vor Ausbruch der Krise noch über Mangel an Arbeitskräften und darüber, dass insbesondere Nokia "aggressiv" von überall Arbeiter abgeworben habe. Das erzählt der Badenser Ludger Thol, der für die Firma Lupp in Rumänien Fabrikhallen und Kläranlagen gebaut hat. Durch die Krise habe sich aber zumindest dieses Problem gelöst. Die Angestellten zeigten ihrer Firma mehr Treue. Anders als früher würden Mitarbeiter nun nicht mehr sprunghaft den Arbeitsplatz wechseln, nur weil ein Konkurrent ein paar Euro mehr in die Lohntüte packt.

"Alle Hunde bellen, alle Katzen jammern"

Seit Ausbruch der Krise habe Lupp in Rumänien aber kaum noch Kunden, die neue Hallen bauen wollen. "Jeder lügt, der sagt, er sei von der Krise nicht betroffen", sagt Thol. Trotzdem bemüht er sich um Optimismus: "Rumänien hat die Talsohle bereits hinter sich."

Vollends in Depression zerfließt hingegen Günther Wotsch, Vorsitzender des Wirtschaftsclubs, der an diesem lauen Abend zum alljährlichen Sommerfest auf einen der satt bewaldeten Hügel bei Klausenburg eingeladen hat. "Vor zwei Jahren haben wir noch mehr als 100 Beratungsgespräche mit interessierten Investoren geführt und in diesem Jahr kein einziges!", sagt er.

Wotsch ist besonders betroffen, weil er Import-Büroartikel verkauft und deswegen stark unter der Entwertung der Landeswährung Leu leidet, die doch vor der Krise so stabil geworden war. Am liebsten wäre es Wotsch, wenn die Nationalbank den Wechselkurs ein für allemal festschriebe. "Alle Hunde bellen, alle Katzen jammern - ich sehe keinen Ausweg. Es geht in den Brunnen", klagt er. Wotsch stammt aus Rumänien. Sein blumiger Stil gehört zum Charme der Siebenbürger.

Katzenjammer bei den Spekulanten

Katzenjammer dürfte auch bei den Spekulanten herrschen, die um die Nokia-Fabrik herum massiv Grundstücke gekauft hatten, in der Hoffnung auf drei- bis vierfachen Gewinn, der mit der Erweiterung der Aktivitäten im Industriepark möglich gewesen wäre. Nun aber "gucken sie in die Röhre". So drückt es Radu Lungu aus. Er betreibt, zwei Kilometer von der Nokia-Fabrik entfernt, an der Landstraße eine Pension. Ihr schlichter Name "Herberge am 17. Kilometer" ist ein krasses Understatement, denn der Ort ist blitzsauber und gemütlich.

"100 Euro pro Quadratmeter wollten die Spekulanten ursprünglich für ihre Grundstücke haben, jetzt verlangen sie 10 bis 15 Euro und kriegen sie nicht los." Der graumelierte 50-Jährige lächelt fein. Er hat nicht mit Grundstücken spekuliert, doch ist er ein doppelt Geschädigter: Wegen der globalen Krise kommen die Angestellten nicht mehr, die früher auf Kosten ihrer Firma regelmäßig bei ihm zu Mittag gegessen haben. Und wegen den Finnen hat er seine geliebten vier Reitpferde verkaufen müssen. "Plötzlich habe ich kein Futter mehr für die Tiere kaufen können, denn seit Nokia da ist, wird hier keine Landwirtschaft mehr betrieben."

Nokia-Manager lassen sich in seinem Restaurant nie blicken. "Die leben hier für sich, keiner kennt sie", sagt Lungu. Dabei könnten die Finnen hier butterzarte, mit Karamell überzogene Hühnerbrust essen, dazu Zucchini und Paprikaschoten, die auf Vulkanstein gegrillt wurden, und viele andere Köstlichkeiten. Der Chef persönlich sorgt in der Küche dafür, dass angebrannte Crêpes nicht den Gästen serviert, sondern weggeworfen werden. Lungu, gelernter Bauingenieur, hat früher als Fuhrunternehmer 20 Lastwagen durch ganz Europa geschickt und dabei die Welt und ihre Esskultur kennen gelernt. Nach dem EU-Beitritt Ungarns und Polens im Jahr 2004 aber hat seine Firma der Konkurrenz aus diesen Ländern nicht standgehalten. Also hat er Kochbücher studiert und ist in die Gastronomie eingestiegen. Trotz der Krise ist Lungu entschlossen, wenigstens das Niveau seiner Küche zu halten.

© SZ vom 18.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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