Rettungsfonds ESM:Sehnsucht nach unendlicher Schlagkraft

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Kaum genehmigt - und schon nicht gut genug: Der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM soll nun im Notfall weit mehr als die bisher geplanten 500 Milliarden Euro zahlen können. Mittels eines Tricks sollen daraus angeblich Billionen Euro werden. Doch wie soll das funktionieren?

Hans von der Hagen

Nichts schätzen Anleger mehr als das Wissen, dass im Zweifelsfall immer genügend Geld da ist. Darum jubelten sie, als EZB-Chef Mario Draghi unlängst verkündete, dass die Notenbank alles Notwendige tun würde, um den Euro zu erhalten und gleich ergänzte: "Glauben Sie mir - es wird ausreichen."

Viel sicherer aber fühlte man sich natürlich, wenn dieses Unendlichkeitszeichen der Notenbank nochmals gedoppelt würde. Zweifach unendlich abgesichert - ein Traum für jeden Anleger. Das zweite Unendlichkeitszeichen könnte beispielsweise der Rettungsschirm sein. Bislang sichert er eine Summe von 500 Milliarden Euro ab. Doch sollte etwa Spanien oder gar Italien pleitegehen, könnte diese Summe zu klein sein. Darum könnte nun die Schlagkraft des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) drastisch erhöht werden. Mittels eines sogenannten Hebels soll sie dann nach Angaben des Nachrichtenmagazins Spiegel zwei Billionen Euro betragen. Das ist schon fast ein zweites Unendlichkeitszeichen. Doch geht das überhaupt? Die wichtigsten Antworten im Überblick.

Welche Instrumente hat der ESM zur Verfügung, um Krisenstaaten zu unterstützen?

Die ESM-Instrumente entsprechen denen des auslaufenden Vorgänger-Rettungsfonds EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität): Demnach können Hilfsdarlehen an Euro-Länder für Anpassungsprogramme vergeben oder vorsorglich Kreditlinien eingerichtet werden. Daneben kann der EFSF Staatsanleihen kaufen und Darlehen zur Rekapitalisierung von Banken gewähren. Genutzt wurden von diesen Instrumenten allerdings bisher nur Hilfsdarlehen an Euro-Länder sowie Bankenhilfen.

Wie funktioniert ein solcher Hebel?

Sollte ein solcher Hebel tatsächlich kommen, könnte er in ähnlichen Varianten wie beim ESM-Vorläufer EFSF gestaltet sein. Dort gibt es folgende Varianten:

[] Modell I

Das Prinzip ist dabei: Der ESM kauft nicht selbst Staatsanleihen, sondern sichert lediglich die Risiken eines solchen Kaufes ab, um Anleger zum Kauf von Staatsanleihen zu ermutigen. Er wird also nicht selbst unbedingt als Anleger aktiv, sondern arbeitet wie ein Versicherer. Der Vorteil dabei ist, dass der ESM nicht sein ganzes Geld für den Kauf von Anleihen gefährdeter Staaten ausgeben muss, sondern nur dann einspringt, wenn ein Schuldenstaat seine Anleihen nicht mehr vollständig zurückzahlen kann. So gesehen würden dann also private Anleger die Krisenstaaten mit eigenem Geld retten - und der ESM sorgt dafür, dass ihre Verluste dabei nicht zu groß würden. Allerdings würde der Rettungsfonds nicht für den gesamten Ausfall haften, sondern nur für einen Teil. Spekulationen zufolge könnte dieser Anteil bei 30 Prozent liegen. In dem Fall würde also der ESM knapp ein Drittel des Zahlungsausfalls übernehmen - den Rest müsste der Anleger selbst tragen.

[] Modell II

Sogenannte Zweckgesellschaften (SPV) würden mit dem Geld von Anlegern in die Anleihen von Krisenstaaten investieren. An diesen SPV soll sich einerseits der ESM beteiligen, aber auch große Anleger wie etwa Staatsfonds oder Versicherungen. Sollte es zu einer Pleite kommen, könnte der ESM einen Teil der Schulden tragen.

Welche Erfahrungen wurden mit dem Hebel beim EFSF gemacht?

Keine. Bislang wurde er überhaupt noch nicht eingesetzt, da der EFSF noch keine Anleihen von Krisenstaaten kaufte. Allerdings soll auch das Interesse privater Investoren an derartigen Geschäften gering sein.

Wann könnte es einen solchen Hebel geben?

Das ist noch unklar: Zwar bestätigte ein Sprecher der EU-Kommission, dass über entsprechende Möglichkeiten gesprochen werde. "Wir sind in einer Übergangsphase zwischen EFSF und ESM", sagte er. Doch wann es eine Entscheidung geben könnte, blieb offen. Der ESM wird aller Voraussicht nach im Januar 2013 in Kraft treten.

Angeblich soll das Vermögen des ESM in Höhe von 500 Milliarden Euro mit Hilfe des Hebels auf zwei Billionen Euro erweitert werden. Ist das realistisch?

Die Bundesregierung bezeichnet diese Zahl als "völlig illusorisch". Die in Medienberichten genannten Zahlen seien nicht nachvollziehbar, sagte der Sprecher des Finanzministeriums. Wie hoch die mögliche Beteiligung privater Investoren bei ESM-Hilfen sei, hänge auch vom Einzelfall ab.

Wieso trägt Deutschland bei einem solchen Hebel angeblich kein höheres Risiko?

Weil dem Hebelmodell zufolge das zusätzliche Geld von privaten Investoren kommen soll. Die zusätzlichen Risiken würden dann also nicht auf die ESM-Mitgliedsstaaten, sondern auf die Anleger abgewälzt werden - die im Gegenzug von entsprechenden Gewinnchancen profitieren.

Noch sehen die Leitlinien des ESM keinen Hebel vor. Kann der ESM einfach geändert werden?

Für den ESM stehen bislang nur die Instrumente fest, die er nutzen kann. Die Art und Weise, wie diese Instrumente eingesetzt werden, kann noch angepasst werden.

Muss der Bundestag einem möglichen Hebel zustimmen?

Der Haushaltsausschuss des Bundestages will diese Woche über die Leitlinien entscheiden. Ob es bei einem Votum nur des Ausschusses bleibt, ist allerdings offen. Das Bundesverfassungsgericht will prüfen, ob auch die Leitlinien vom gesamten Plenum bewilligt werden müssen. Hintergrund ist das noch anstehende Hauptsacheverfahren der Karlsruher Richter zum ESM.

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