Reeder verkauft Edvard Munchs "Der Schrei":Das Kunstwerk, an dem Familie Olsen zerbrach

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Sotheby's in New York versteigert Edvard Munchs "Der Schrei", die Kunstwelt hält den Atem an. Hinter dem Millionengeschäft verbirgt sich der erbitterte Familienstreit einer norwegischen Reeder-Dynastie. Dabei geht es um Erdöl, mächtige Wirtschaftsbosse, zwei verfeindete Brüder. Und um jede Menge Geld.

Gunnar Herrmann

Was Petter Olsen wohl fühlt, wenn der Hammer bei Sotheby's in New York fällt? Er könnte sich zum Beispiel als Gewinner sehen - immerhin macht ihn dieser Hammerschlag um eine große Summe reicher. Der Hammerschlag, mit dem "Der Schrei" von Edvard Munch, eines der berühmtesten Gemälde der Welt, in der Nacht zum Donnerstag den Besitzer wechselt.

Und obwohl der endgültige Preis erst am Donnerstagmorgen feststehen wird, gilt es als sicher, dass Olsen durch den Verkauf einen zwei- oder gar dreistelligen Millionenbetrag erzielen dürfte. Olsen könnte aber auch Verlust spüren. Denn der norwegische Reedersohn ist schließlich mit dem Bild aufgewachsen. "Der Schrei" hing in seinem Elternhaus. Möglicherweise empfindet der 64-Jährige aber vor allem Erleichterung. Denn mit dem Hammerschlag endet eine lange Serie heftiger Familienintrigen - zumindest vorläufig.

Hinter der spektakulären Versteigerung, die derzeit die Kunstwelt in Atem hält, verbirgt sich eine Familienfehde, die ein bisschen an Fernsehserien wie Dallas oder Denver-Clan erinnert. Erdöl kommt darin vor - das ist für Norwegen ebenso typisch wie für Texas - und außerdem: mächtige Wirtschaftsbosse, eine eigenwillige Mutter, zwei verfeindete Brüder und jede Menge Geld. Schauplätze sind ein pittoresker Landsitz am Fjord, karge Gerichtssäle, ein schottisches Schloss und die raue Nordseeküste.

Dort begann Mitte des 19. Jahrhunderts der Aufstieg der Dynastie. Drei Olsen-Brüder gründeten damals im Dorf Hvitsten am Oslofjord die Reederei Fred. Olsen & Co und bauten in wenigen Jahren eine ansehnliche Flotte von Segelschiffen auf. Zur Jahrhundertwende war die Familie mit ihrer Reederei bereits Mitglied des neuen europäischen Geldadels. Schon in den 1890er Jahren gründete sie ihre Holdings Ganger Rolf und Bonheur, die heute noch an der Osloer Börse notiert sind und als Eigentümergesellschaften an der Spitze des weit verzweigten Familienimperiums stehen.

Die Reeder kaufte "entartete Kunst"

Das verdient inzwischen nicht mehr nur mit Fracht- und Passagierschiffen Geld, sondern auch mit Bohrplattformen und Windkraft. Bekannt sind Olsens, die sehr öffentlichkeitsscheu sind, aber vor allem wegen ihrer Kunstsammlung.

Die geht auf Thomas Olsen zurück, einen Enkel des Unternehmensgründers. Thomas Olsen freundete sich Anfang des 20. Jahrhunderts mit Edvard Munch an, der in Hvitsten Nachbar der Familie war. Als die Nazis Munchs Werke als "entartete Kunst" brandmarkten, bat er Olsen um Hilfe. Der Reeder kaufte daraufhin viele Bilder seines Freundes und versteckte sie vor dem deutschen Überfall auf Norwegen 1940 in einer Scheune, wo sie bis Kriegsende unentdeckt blieben.

Auch das berühmte Bild "Der Schrei" gelangte damals in Familienbesitz. Olsen kaufte es dem deutsch-jüdischen Bankier Hugo Simon ab, der in die Schweiz geflohen war. Simons Nachfahren haben in den vergangenen Monaten gegen die Versteigerung protestiert. Simon habe damals unter Zwang verkauft, meinen sie, die Umstände müssten genauer geklärt werden. Der Streit überschattete die Auktion bei Sotheby's - gestoppt wurde sie jedoch nicht.

Bittere Fehde unter Brüdern

Es ist nicht der einzige Zwist um das berühmte Bild. Denn als Thomas Olsen 1969 starb, hatte er es versäumt, genau festzulegen, wer die wertvolle Munch-Sammlung erben soll. Das Landgut, in dem die meisten Gemälde hingen, fiel damals seinem jüngsten Sohn Petter zu. Der ältere Bruder Fredrik übernahm die Führung des Familienkonzerns. Fredrik war es, der das große Potential des Ölgeschäfts frühzeitig erkannte und in den 1960er Jahren begann, in die Offshore-Ölförderung zu investieren. Ein sehr lukratives Geschäft. Dem Familienfrieden half der wirtschaftliche Erfolg aber nicht: Zwischen Fredrik und Petter entwickelte sich in den folgenden Jahren eine bittere Fehde.

Vielleicht begann sie, als Fredrik die Gemäldesammlung kurz nach dem Tod des Vaters auf das familieneigene Jagdschloss nach Schottland schaffen ließ. Um Erbschaftssteuern zu sparen, wie er später erklärte. Vielleicht begann der Streit auch etwas später, als klar wurde, dass Fredrik entgegen dem Willen des Vaters gar nicht daran dachte, seinen jüngeren Bruder an der Konzernführung zu beteiligen. Fredrik erkor stattdessen die eigene Tochter Anette zur Nachfolgerin, die seit 1993 die Geschäfte führt.

Nacht-und-Nebel-Aktion in Schottland

Petter Olsen fühlte sich übergangen. Er ist vor allem Gutsbesitzer und Mäzen, engagiert sich für ökologische Landwirtschaft und die schönen Künste. Unterstützung bekam er von seiner Mutter Henriette. Die fand, dass ihr jüngster Sohn ungerecht behandelt worden war. Also sorgte sie dafür, dass er die Kunstsammlung bekam: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion fuhr sie mit Petter nach Schottland, räumte dort am 14. Mai 1984 die Gemälde aus dem Jagdschloss und schaffte sie zurück nach Norwegen.

In ihrem Testament setzte sie Petter dann als Alleinerben der Munch-Sammlung ein. Fredrik Olsen war wütend. Es kam zum Prozess. Die Boulevardblätter berichteten ausführlich über die eisigen Blicke, die sich die Brüder im Gerichtssaal zuwarfen. 2001 gewann Petter das Verfahren, seitdem gehören "Der Schrei" und die anderen Munch-Gemälde ihm. Angeblich haben die Brüder seither kein Wort mehr gewechselt.

Zumindest für Kunstliebhaber hat die Geschichte aber ein Happy-End: Mit dem Erlös aus der Versteigerung will Petter Olsen auf seinem Landgut am Oslo-Fjord ein Munch-Museum bauen. Es soll im nächsten Jahr zum 150. Geburtstag des Künstlers öffnen. Und wenn dort die Bilder für alle zugänglich sind, ist die Frage, wem sie gehören, vielleicht gar nicht mehr so wichtig.

© SZ vom 03.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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