Prozess um Hypo Real Estate:Gericht macht Anlegern Hoffnung

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Wer muss für die Katastrophe bei der Pleitebank HRE zahlen? Am ersten Tag macht der Richter überraschend klar: Die Hypo Real Estate habe ihre Aktionäre zu spät über Verluste informiert. Das könnte Folgen für die Steuerzahler haben.

Aus dem Gericht von Oliver Hollenstein

Es könnte teuer werden am Ende für den Steuerzahler, sehr teuer. Mehr als eine Milliarde Schadenersatz fordern die ehemaligen Aktionäre der Hypo Real Estate (HRE), jener Bank also, die in Deutschland wie keine zweite zum Symbol der Finanzkrise geworden ist, weil sie mit Steuermilliarden verstaatlicht wurde. Und mit Steuermilliarden könnten am Ende auch die ehemaligen HRE-Aktionäre entschädigt werden müssen.

Andreas Tilp ist deswegen früh am Montagmorgen nach München gekommen. Schon eine Stunde vor Prozessbeginn gibt er Fernsehinterviews. "Das klingt vielleicht im ersten Moment ungerecht, wenn der Steuerzahler die Aktionäre entschädigen muss, aber am Ende geht es darum, das Vertrauen in die Märkte wiederherzustellen", sagt er.

Tilp vertritt in einem Musterprozess vor dem Oberlandesgericht München rund 100 HRE-Aktionäre. Die Richter sollen entscheiden, ob die HRE schon früher von ihren massiven Problemen wusste, diese aber der Öffentlichkeit verschwiegen hat. Die Musterentscheidung wirkt sich auf Dutzende weitere Verfahren aus, in denen private und institutionelle Anleger Schadensersatz verlangen, weil sie mit diesen Informationen am Ende anders über ihr HRE-Investment entschieden hätten.

Die Geschichte der HRE-Krise

Es ist ein Morgen, indem es zurückgeht in die Jahre 2007 und 2008, zurück zu Subprime-Krediten etwa, jenen Immobiliendarlehen, die Banken an wenig kreditwürdige Häuslekäufer vergaben. Oder zu CDO, Collateralized Debt Obligations, Wertpapierbündel, zu denen die Banken diese Kredite zusammenbanden, um sie anschließend als sicher zu verkauften.

Die Geschichte der HRE-Krise beginnt im Sommer 2007. Am 30. Juli erklärt die Düsseldorfer IKB-Bank in einer Mitteilung an ihre Aktionäre, sie habe aufgrund der Subprime-Krise in Amerika Finanzierungsprobleme, die KfW habe daher Kapital nachgeschossen. Am 3. August veröffentlicht die HRE eine Pressemitteilung unter dem Titel "Hypo Real Estate zur aktuellen Marktentwicklung".

Der Inhalt: Die HRE erwarte keine negativen Belastungen aus der US-Krise. Selbst wenn es zu einem Totalzusammenbruch des Marktes komme, sei das Risiko abgedeckt. Am 15. Januar 2008 verkündet die HRE dann aber überraschend, 390 Millionen Euro auf strukturierte Wertpapiere abschreiben zu müssen. Noch am gleichen Tag bricht der Kurs des Dax-Konzerns um 30 Prozent ein. Viele Anleger verlieren ein Vermögen.

Als einige Monate später auch die Staatsfinanzierungstochter Depfa vor dem Zusammenbruch steht, muss die HRE am 28. September 2008 mit einem eilig geschnürten Rettungspaket von 35 Milliarden Euro gerettet werden. Nur wenige Tage später wird das Paket viel größer, inzwischen sind es 100 Milliarden Euro.

In Deutschland bleibt das Gesicht des damaligen HRE-Chef Georg Funke wohl immer mit diesem Desaster verbunden. Am Donnerstag soll der inzwischen nach Mallorca ausgewanderte Ex-Banker aussagen. Auch sein ehemaliger Finanzchef und ein Investor sind geladen. Es soll um ein Investorengespräch gehen, bei dem offenbar relevante Andeutungen gemacht wurden.

Elf Fragenkomplexe muss das Münchner Gericht nun abarbeiten, erklärt Richter Guido Kotschy. Zunächst geht es darum: Was wusste die Bank vor dem 15. Januar von ihren Problemen? Und hätte sie ihre Aktionäre davon unterrichten müssen? Eine Antwort darauf ist nicht leicht zu finden. Zur Eröffnung verweist Kotschy darauf, dass es "sicherlich auf einige Einzelheiten" ankomme, und zeigt auf ein Regal, in dem, mehrere Dutzend Aktenordner stehen. Alleine die Hauptakte umfasse mehr als 2000 Seiten. "Von dem Rest will ich jetzt gar nicht reden." Schon vor der Sitzung hatten die Anwälte beider Seiten erklärt, es könne ein langes Verfahren werden - vor allem, da für beide Seiten der anschließende Gang zum Bundesgerichtshof wahrscheinlich ist.

Richter Kotschy überrascht

Doch dann überrascht Richter Kotschy mit einer recht klaren ersten Einschätzung: Die Pressemitteilung im August sei "eindeutig zu optimistisch gewesen", sagt er, sie habe die Öffentlichkeit "in eine falsche Richtung gelenkt" und sich später als unzutreffend erwiesen. "Da wäre eine eindeutige Klarstellung erforderlich gewesen." Und weiter: "Wir sehen das ganz deutlich, dass man spätestens im November hätte tätig werden müssen mit dem Quartalsbericht", sagte Kotschy. Spätestens da habe die Bank von Belastungen in Höhe von 150 Millionen Euro gewusst. "Das passt nicht zu der optimistischen Aussage vom 3. August." Kurzum: Der 15. Januar sei zu spät gewesen. "Sie können diese Einschätzung aber nun von allen Seiten bombardieren."

Genau das soll in den folgenden Prozesswochen geschehen. Die HRE-Anwälte sehen die Sache naturgemäß anders als die Richter. Wolf von Bernuth argumentiert, dass die HRE sehr wohl über die Belastungen informiert habe. "Es gab gar keine Desinformationsphase." Die HRE habe im Herbst 2007 zweimal Abschreibungen auf amerikanische Schrott-Papiere vorgenommen. Das sei aber nur geschehen, weil sich die Bewertungsmaßstäbe geändert hätten. Und das sei sowohl im Quartalsbericht als auch in einem Gespräch mit Medienvertretern und Investoren Thema gewesen. Zudem habe das Geschäftsmodell der HRE auf Zins und Tilgung gesetzt, nicht auf den Wert der Papiere - daher habe man das nicht prominenter veröffentlicht.

Anlegeranwalt Andreas Tilp hält dagegen: Ein Großteil der Anleger habe von dieser Einschätzung gar nichts mitbekommen. In einem Aktionärsbrief im November habe Funke noch einmal geschrieben, die HRE sei gestärkt aus der Krise hervorgegangen. Die Wertberichtigungen seien dagegen irgendwo im Anhang versteckt gewesen.

Trotz der klaren ersten Einschätzung des Gerichts sind weiterhin viele Fragen im Prozess offen. Am Donnerstag wird erst einmal Georg Funke aussagen und sich rechtfertigen. Das ist nicht nur für die Aktionäre interessant. Sondern auch für die Steuerzahler.

© SZ vom 04.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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