Offene Stellen:Der Arbeitsmarkt ist ein kompliziertes Puzzle

Zwei Schwimmteile der AIDAnova

Arbeiter in der Meyer-Werft: Gesucht werden nach wie vor vor allem Fachkräfte, Facharbeiter und Experten.

(Foto: dpa)

In Deutschland gibt es so viele offene Stellen wie lange nicht. Doch das ist kein Grund zum Feiern: Viele Firmen tun sich schwer, geeignete Mitarbeiter zu finden. Es braucht endlich einen geordneten Zuzug von Fachkräften.

Kommentar von Henrike Roßbach, Berlin

Er eilt von Rekord zu Rekord, der deutsche Arbeitsmarkt. Knapp 1,2 Millionen offene Stellen meldet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung für das Schlussquartal des vergangenen Jahres - deutlich mehr als ein Jahr zuvor. Zwei Botschaften gehen von diesen Zahlen aus. Der deutschen Wirtschaft geht es, erstens, sensationell gut; sie erhöht Kapazitäten, weil ihr die Produkte aus den Händen gerissen werden, weil gebaut und investiert wird. Die zweite Botschaft aber hat einen etwas weniger triumphalen Unterton: Offenbar wird es immer schwieriger für die Unternehmen, die Leute zu kriegen, die sie für den Daueraufschwung brauchen. In einigen Regionen herrscht Vollbeschäftigung. Was die Arbeitslosenquote dort von der Null trennt, ist kaum mehr als die sogenannte Sucharbeitslosigkeit zwischen zwei Jobs.

Hundert offenen Stellen stehen derzeit im Westen nur noch 194 Arbeitslose gegenüber, im Osten sind es 225. Seit einem Vierteljahrhundert waren diese Zahlen nicht mehr so gut. Für jene, die selbst im Boom noch keinen regulären Job gefunden haben, bedeutet das bessere Chancen denn je. Theoretisch. In der Praxis allerdings ist es mehr als nur ein simples Puzzle, Arbeitsuchende und unbesetzte Stellen zusammenzubringen. Es bleiben nicht einfach 94 Teilchen übrig, sondern die anderen hundert passen oft nicht in die vorhandenen Lücken.

Den rasantesten Anstieg offener Stellen gibt es dort, wo es besonders brummt: in der Bauwirtschaft und der Industrie. Im verarbeitenden Gewerbe waren Ende 2017 ein gutes Drittel mehr Stellen unbesetzt als ein Jahr zuvor, am Bau ein Viertel. Dort aber kann man nicht jede beliebige Arbeitskraft einsetzen. Gesucht werden Fachkräfte, Facharbeiter, Experten. Die aber sind unter den Arbeitslosen eher nicht in der Mehrheit. Personaldirektor zu sein, ist deshalb in vielen Firmen derzeit eine knifflige Aufgabe.

Einfache und schnelle Lösungen aber gibt es nicht. Der Fachkräftemangel, den die Wirtschaft in Umfragen schon seit geraumer Zeit zum Problem Nummer eins kürt, können Unternehmen und Politik nur bekämpfen, wenn sie alle potenziellen Ressourcen mobilisieren. Die erste ist der Nachwuchs. Das duale System der Berufsbildung hierzulande ist eines, um das viele Länder der Welt Deutschland beneiden. In vielen Ausbildungsberufen aber kriegen Handwerk, Industrie und Handel nicht mehr genügend Lehrlinge. Dass die kommende Bundesregierung die berufliche Bildung ins Zentrum stellen will, ist daher nicht nur richtig, sondern geradezu zwingend. Auch bessere Berufsschulen machen eine Ausbildung attraktiver. Gleichzeitig müssen gerade die Sorgenkindbranchen, in denen besonders viele Lehrstellen Leerstellen sind, sich mehr anstrengen und sowohl die Arbeitsbedingungen als auch die Verdienst- und Karriereperspektiven verbessern.

Die immer noch mehr als 2,5 Millionen Arbeitslosen dürfen nicht aufgegeben werden

Ein zweiter Fachkräftepool, der beileibe nicht ausgeschöpft ist, sind die Frauen. Sie sind unterrepräsentiert in technischen Berufen, arbeiten häufig in Teilzeit und nehmen längere Auszeiten als Männer, wenn Kinder geboren werden. Bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten, weniger Präsenzpflicht und eine Unternehmenskultur, in der Männer in Elternzeit und mit familiären Pflichten nicht länger Exoten sind - und deshalb eine ähnliche Arbeitsumgebung einfordern wie die Frauen -, sind der richtige Weg.

Doch auch die immer noch mehr als 2,5 Millionen Arbeitslosen dürfen nicht aufgegeben werden. An Qualifizierung, so mühevoll sie ist, führt kein Weg vorbei - auch mit Blick auf die vielen Flüchtlinge, die in den Arbeitsmarkt integriert werden müssen. Ob allerdings der soziale Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose, den Union und SPD nun schaffen wollen, der richtige Weg ist, darf bezweifelt werden. Letztlich verbirgt sich hinter diesem Plan die Rückkehr der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die immer mehr Verwaltung denn Bekämpfung von Arbeitslosigkeit war.

Zukunftsorientierter klingt da schon das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das die große Koalition versprochen hat. Endlich, möchte man sagen. Das Thema ist seit Jahren eines - und zwar eines, das stets mit viel zu vielen Emotionen und Überhöhungen belastet wurde. Ein Fachkräftezuzug aus dem Ausland nach einfachen, klaren und wirtschaftsorientierten Kriterien sollte für eine offene Volkswirtschaft eine Selbstverständlichkeit sein.

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