OECD-Studie zu Arbeit und Gesundheit:Wenn alle leiden

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  • Psychisch erkrankte Menschen leiden nicht nur körperlich, sondern haben auch wirtschaftliche Nachteile, zeigt eine Studie der OECD.
  • Jeder Zweite hat einmal im Leben für eine gewisse Zeit psychische Probleme.
  • Die Regierungen tun nicht genug, obwohl der volkswirtschaftliche Schaden immens ist.

Von Elisabeth Dostert

Schlechter bezahlt, größeres Armutsrisiko

Psychische Erkrankungen fordern einen hohen Preis: "Die psychisch erkrankten Menschen leiden körperlich und wirtschaftlich", berichtet die Organisation für internationale Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrer Studie "Fit mind, fit job". Denn sie arbeiten häufig in schlechter bezahlten Jobs, sind häufiger arbeitslos und ihr Armutsrisiko ist deutlich größer.

Jeder zweite Beschäftigte hat der Studie zufolge einmal im Leben für eine gewisse Zeit psychische Probleme. Psychische Erkrankungen sind in einem Drittel bis der Hälfte der Fälle der Grund einer längeren Arbeitsunfähigkeit. Lange sei das Thema aufgrund der weitverbreiten Vorurteile und Stigmata vernachlässigt worden, erst in jüngster Zeit hätten Politik und Gesellschaft die Herausforderungen erkannt, heißt es in dem OECD-Bericht weiter. Dabei seien psychische Erkrankungen eine Schlüsselfragen des Arbeitsmarktes, die es dringend zu lösen gilt.

Auch in Deutschland ist der Wirtschaftsschaden hoch

Die Zahlen aus eigenen und fremden Untersuchungen, mit denen die Studie aufwartet, schrecken auf. Psychische Störungen und Drogenmissbrauch sind der wichtigste Grund für "Years lived with disability", ein Maß, das die Weltgesundheitsorganisation WHO ermittelt. Die Zahl der "verlorenen Lebensjahre" belief sich im Jahr 2010 auf 175 Millionen weltweit.

Schätzungen zufolge, ebenfalls für das Jahr 2010, kosten psychische Erkrankungen in der Europäischen Union im Schnitt 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Mitgliedsstaaten. In Deutschland liegt der Anteil bei etwa 3,7 Prozent. Europaweit gesehen ist der Schaden in Großbritannien mit einem Anteil von fast 4,5 Prozent am größten, am geringsten in der von der OECD aufgeführten Rangliste in Australien mit gut zwei Prozent. Dabei seien solche Schätzungen noch "konservativ" - aus zwei Gründen. Nicht in die Rechnung ein fließen psychische Störungen infolge von Drogenmissbrauch und die Kosten, die außerhalb der Gesundheitssysteme anfallen, zum Beispiel Produktivitätsverluste.

Die meisten Kranken, selbst solche mit schweren psychischen Symptomen, arbeiten der OECD zufolge zwar weiter. "Aber sie müssen sich anstrengen, wirklich gute Arbeit zu leisten." Oft gelingt das nicht. Der Zusammenhang zwischen mangelnder Leistungskraft und Produktivitätsverlusten lässt sich nur schwer messen. Befragungen, auf die die OECD verweist, deuten aber darauf hin, dass die Verluste wohl beträchtlich sind. Im Eurobarometer gaben drei von vier Arbeitnehmern, die trotz Erkrankung arbeiteten, an, dass sie weniger erreicht haben als sie eigentlich wollten. Unter den Gesunden verfehlte nur einer von vier Arbeitnehmern sein Ziel.

Behandlung erfolgt zu spät

Die wesentlichen Kritikpunkte der OECD, aus denen sie im Umkehrschluss ihre Empfehlungen ableiten: Die Behandlung erfolgt häufig zu spät, nämlich erst dann, wenn die erkrankten Menschen bereits für viele Jahre aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind. Auch umfangreiche Maßnahmen helfen wenig, wenn sie zu spät kommen. Viel nachhaltiger sei eine Behandlung bereits während der Ausbildung oder im Beruf.

Ein weiterer Kritikpunkt der OECD: Es gibt keinen integrierten Lösungsansatz. Gesundheits-, Arbeitsmarkt - und Bildungspolitik agieren weitgehend isoliert voneinander. Dabei kämpfen die erkrankten Menschen häufig gleichzeitig gegen soziale, gesundheitliche und berufliche Sorgen. Das Thema solle deshalb nicht allein den Experten und Institutionen für psychische Erkrankungen überlassen werden. Alle müssten sich beteiligen: Lehrer, Allgemeinmediziner, Manager und Arbeitsvermittler. Einen solchen Ansatz konnte die OECD in keinem der neun untersuchten Länder ausmachen.

Verschiedene Modelle, das gleiche Problem

Aber es gibt Ansätze wie das in den USA entwickelte Modell IPS, das Kürzel steht für Individual Placement and Support. In diesem Konzept helfen individuelle Betreuer Menschen mit schweren Psychosen, die eine reguläre Arbeit suchen. Ein anderes Beispiel ist die britische Initiative Improving Access to Psychological Therapy. Dank der Unterstützung von Arbeitsvermittlern konnten fast zwei Drittel der Patienten nach einer Auszeit wieder arbeiten.

Noch früher im Leben - und das ist nach Einschätzung der OECD besonders erfolgversprechend - setzt das australische Headspace-Programm an, nach eigener Darstellung eine Art Fitnessstudio für die Psyche. Es richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 12 bis 25 Jahren. Die Headspace-App gibt es kostenlos. Zehn Minuten Meditation täglich sollen die Psyche stärken, den jungen Menschen helfen, mit Stress und Ängsten umzugehen. Die Ansprache der jungen Menschen beginnt mit einfachen Fragen wie "Sorgst Du Dich häufig?" und geht weiter mit einfachen Wahrheiten: "Wenn Du Dir häufig Sorgen machst, sorge Dich nicht. Du bist nicht allein". Wissenschaftler glauben, dass wir mit einer Neigung zum Negativen geboren werden; Bedrohungen ziehen uns stärker an als Chancen. Das Gefühl, nicht allein zu sein und nicht der Einzige, ist wichtig.

Und es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Psyche und Leistungskraft. "Wenn der Arbeitsmarkt funktionieren soll, müssen Politiker diesen berücksichtigen." Aber, so die OECD, die Mitgliedstaaten haben gerade erst angefangen, sich den Herausforderungen zu stellen.

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