Niedergang der Autohäuser:Nur mal kurz anfassen

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Glaspaläste wie der Daimler-Bau in München sind für traditionelle Autohäuser eine übermächtige Konkurrenz. (Foto: RUMPF, STEPHAN)

Ein neues Auto kaufte man früher beim Händler seines Vertrauens, doch das ist lange her. Immer mehr Kunden bestellen im Internet oder lassen sich in Konzern-Boutiquen beraten. Die traditionellen Verkaufshäuser sterben aus.

Von Thomas Fromm

Es gibt Dinge, die man online nicht machen kann, da kann man noch so technikverliebt sein. Zum Beispiel ein Auto anfassen. Es gibt Leute, sagt Peter Müller, die wollen einen Fiat 500 streicheln, bevor sie ihn kaufen. Weil er so süß ist. Es sind die gleichen Menschen, die den Opel Adam, auch so eine niedliche Knutschkugel, am liebsten umarmen würden, bevor sie sich reinsetzen.

Für diese Menschen gibt es Autohäuser. Und deshalb glaubt Peter Müller, dass es niemals aufhören wird mit diesen Geschäften. Müller ist Geschäftsführer bei einer Münchner Autohaus-Kette, die es seit 150 Jahren gibt, Opel Häusler heißt und einen Werbeslogan hat, den man sich gut merken kann. "Wer Opel sagt, meint Häusler." Es ist ein Ort, an dem Kunden mit einem herzhaften "Griaß Eahna" empfangen werden, wo es eine Sitzecke mit Dallmayr-Kaffee gibt und wo Stammkunden an ihrem Geburtstag persönlich angerufen werden. "Wir müssen sehen, dass wir den klassischen Autohandel erhalten", sagt Müller, "denn dort gibt es eine menschliche Komponente, die wir im Netz nicht haben."

Schlechte Nachrichten für Autohändler

Und doch wird das Netz immer wichtiger. Vor ein paar Tagen landete eine Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PWC auf Müllers Schreibtisch. Es waren schlechte Nachrichten für Autohändler. Erstens: Im Jahre 2020 werde es 1,5 Millionen Autokäufer weniger geben. Zweitens: Die Zahl der Händler in Deutschland werde von heute 7800 auf dann nur noch 4500 schrumpfen. Grund: Nur noch große Autohäuser können investieren - und überleben. Und: Das Internet, bisher meist nur ein reines Informationsmedium, übernimmt immer öfter auch die Rolle des Autohauses.

"Wir spüren das, was im Internet passiert, ganz deutlich. Vor allem die Rabatte", sagt Müller. Schon heute verkaufen einige seiner Filialen am Stadtrand nur noch die Hälfte von dem, was sie früher verkauft hatten. Also sagt Müller: "Wir können und wollen uns gegen die neuen Trends nicht wehren, und verhindern können wir sie auch nicht, also müssen wir mitmachen, und nicht hinterherlaufen sondern vorne dabei sein." Das Rezept: Mehr Online. Gleichzeitig aber auch Sitzecke mit Dallmayr-Kaffee.

Die stärksten Konkurrenten: die Hersteller selbst

Es ist ein schleichender Wandel, und er erfasst jetzt ausgerechnet diejenigen, die jahrzehntelang zwischen den Autoherstellern und den Kunden standen: die Autohändler. Über 100 Jahre lang hatten sie das Monopol. Jetzt müssen sie es teilen: mit Onlinehändlern, Direktanbietern und Car-Sharing-Firmen. Oft sind die Hersteller selbst die größten Konkurrenten der Händler: Nicht nur, wenn sie Autos Online oder im Call-Center verkaufen. Sie sind es, die immer öfter große Glaspaläste und schicke Auto-Shops in teuren Lagen eröffnen - da, wo sich sonst die Bulgaris und Guccis tummelten. Und immer öfter drücken sie ihre Autos als stark rabattierte Tageszulassungen in den Markt. Gleichzeitig tummeln sich im Netz immer wieder neue Neuwagenvermittler, die ebenfalls mit hohen Rabatten die Kunden ködern. Für die traditionellen Autohändler an den Ausfallstraßen der Städte wird es immer enger.

Früher ging der Klassiker so: Zuerst ein Blick ins Internet - Auto auswählen, Infos einholen, Testergebnisse lesen. Dann auf zum Händler: Auto anfassen, fahren, kaufen. Längst geht es aber auch anders herum. Zuerst zum Händler, danach zum Kaufen ins Netz. Dumm gelaufen - für den Händler.

"Wir wollen unseren Kunden überall begegnen", sagt Andrea Finkbeiner-Müller, die sich bei Mercedes um das Händlernetz kümmert. Und wenn sie überall sagt, meint sei überall: Daimler wird künftig in großem Stil auf einen eigenen Online-Handel setzen. "Es gibt viele Menschen, die überlegen sich am Sonntagnachmittag, dass sie sich ein neues Auto kaufen könnten", sagt die Managerin. "Dann haben die Geschäfte geschlossen, aber das Internet ist offen. So kommen auch Menschen zu uns, die niemals den ersten Schritt zum klassischen Händler gegangen wären." Also diejenigen, die viele als Käufer schon längst abgeschrieben haben: die Jungen, die Technikaffinen, die Digitalen.

Online "nur als zusätzlicher Kanal"

Das Vorbild der Online-Vertriebler aus Schwaben liegt weit im Westen: da, wo der kalifornische Elektroautobauer Tesla auf junge Leute und aufs Netz setzt - und sogar einen eigenen Franchisevertrieb. Eher Apple-Store statt Autohaus also. Nur - wenn jetzt alle Hersteller anfangen, ihre Autos selbst zu verkaufen, liegt die Frage nahe: Was passiert dann mit den vielen Autohäusern? Ein sensibles Thema, und deswegen bekennen sich die neuen Netz-Werker in diesen Tagen auffällig kräftig zu ihren Händlern. "Der Online-Autovertrieb ist nie der Ersatz für den traditionellen Vertrieb, sondern immer eine Ergänzung", sagt Finkbeiner-Müller von Mercedes.

Nur ein Zusatzkanal also. Alles andere wäre auch dumm, denn viele Autohäuser werden in zweiter, dritter Generation geführt. Es geht um gewachsene Kontakte zwischen Menschen, die man nicht so einfach mit zwei Mausklicks ersetzen kann. Auch den Kollegen von BMW ist es daher wichtig, klarzumachen, dass man dem Autohandel nichts wegnehmen will. "Wir wollen die klassischen Autohäuser nicht ersetzen", verspricht Klaus Ahrweiler, der sich bei BMW um den Vertrieb des neuen Elektroautos i3 kümmert. Stattdessen wolle man mit "zusätzlichen Kanälen neue Kunden erreichen".

Die Autohändler haben keine Angst vor neuen Kunden. Viele von ihnen fürchten die neuen Kanäle.

München, Frankfurter Ring. Die Niederlassung von BMW ist ein moderner Glaspalast. Eine Art moderner Pinakothek für Autos. Der Gegenentwurf zum alten Autohaus: Lounge-Musik, Designer-Möbel, Naturhölzer. In der nächsten Woche wollen sie hier Materialen ausstellen, die beim Elektroauto i3 verbaut werden. Wie wird aus einem Stück Eukalyptusholz eine Holzleiste im Auto? Warum werden Ledersitze mit Extrakten aus Olivenblättern gegerbt? Was ist eigentlich Carbon? Entscheidende Zukunftsfragen. Zumindest für einen Autokonzern, der nachhaltiger sein möchte.

Apple ist Vorbild

Die Naturholz-Lounge ist bei BMW aber nur ein Kanal. Der Elektrowagen i3 soll auch online verkauft werden; als Berater werden junge Leute in weißen Polo-Shirts eingesetzt, die sich "Product Genius" nennen. Nach dem Vorbild von Apple sollen sie Käufer informieren und motivieren; falls gewünscht, macht der Autoberater der Zukunft Hausbesuche mit dem iPad.

Früher ging es um drei Fragen. Welches Modell? Welche Farbe? Und dann: Wie viel PS? Heute geht es um Downloads, Apps, iPad-Oberflächen. Gespräche mit dem Autoberater sind wie IT-Crashkurse, nur kürzer. Nicht wirklich etwas für den klassischen Autoverkäufer. "Die meisten Berater sind sehr jung und sehr technikaffin", sagt i3-Vertriebsmann Ahrweiler. "Früher gab es ja nur den einen Verkaufsweg. Bei BMW i gibt es drei: Das Autohaus. Den Online-Kanal. Und die telefonische Bestellung im Call Center."

Auf Peter Müllers Schreibtisch im Opel-Autohaus steht eine Karte. Eines von diesen Kärtchen mit kurzen Weisheiten zum Tage, wie sie auf vielen Schreibtischen stehen oder an Kühlschränken kleben. Auf Müllers Kärtchen steht: "Wenn kein Wind geht - rudern."

© SZ vom 09.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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