Nahaufnahme:Zu viel Mathe

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Paul Romer: "Es ist schrecklich, wenn man eine Krise verschwendet." (Foto: Kathi Bahr)

Paul Romer soll Chefökonom der Weltbank werden. Der New Yorker Wissenschaftler ist ein Querdenker. An seiner eigenen Zunft hat er einiges auszusetzen.

Von Nikolaus Piper

Chefökonomen der Weltbank sollte man in ihrer Wirkung nicht unterschätzen. Sie sind so etwas wie die Stimme der Organisation und können das Meinungsklima nachhaltig beeinflussen. Ein Beispiel ist Joseph Stiglitz, der den Posten von 1997 bis 2000 als Plattform für seine Kritik an der Globalisierung nutzte. Der jetzige Amtsinhaber, Kaushik Basu, warnte immer wieder vor den wachsenden Schulden in den Schwellenländern.

Jetzt steht wieder ein Amtswechsel bei der Weltbank an. Basu geht in Rente, sein Nachfolger soll Paul Romer von der New York University (NYU) werden. Im Gegensatz zu Basu, der einen Lehrstuhl in Soziologie innehatte, ist Romer, 60, Makroökonom. In den 1980er-Jahren gehörte er zu den Erfindern der so genannten "Endogenen Wachstumstheorie". Diese Theorie versucht mit Modellen zu erklären, warum eine Volkswirtschaft schneller, die andere langsamer wächst. Entscheidend für mehr Wachstum sind danach Bildung, Forschung, Offenheit und vor allem die Förderung neuer Ideen. In seinem Blog schrieb Romer einmal: "Vielleicht am wichtigsten sind Meta-Ideen, Ideen also, die die Produktion und die Verbreitung von Ideen befördern". Konsequenz: "Das Land, das im 21. Jahrhundert die Führung übernimmt, wird jenes sein, das eine Innovation einsetzt, die die Produktion neuer Ideen im Privatsektor noch effektiver unterstützt."

Paul Romer wurde 1955 in Denver (Colorado) als Sohn des späteren Gouverneurs von Colorado, Roy Romer, geboren, er studierte Mathematik und Ökonomie und promovierte an der Universität Chicago bei dem Nobelpreisträger Robert Lucas. Später lehrte er an der Stanford-Universität, unterbrach aber 2001 seine akademische Karriere, um Aplia zu gründen, ein Unternehmen für Lern-Software. 2007 verkaufte er Aplia an den Konkurrenten Cengage Learning.

Was Paul Romer schon lange beschäftigt, ist die Unfähigkeit der Ökonomen, Meinungsunterschiede auf angemessenem Niveau zu diskutieren. Auf der einen Seite Keynesianer wie Paul Krugman, auf der anderen Seite die Anti-Keynesianer wie sein Doktorvater Lucas: Beide Seiten unternähmen unwissenschaftliche "Abkürzungen", um ihre Position zu begründen. Man müsse die andere Seite ernst nehmen, sonst erzeuge man Frust, sagte er, und der Frust "frisst IQ-Punkte auf". Für die Praxis, mathematische Modelle für unwissenschaftliche Argumente zu missbrauchen, erfand Romer einen eigenen Begriff: "Mathiness", was man mit "Mathematischkeit" übersetzen könnte.

Aufsehen erregte Romer 2009, als er vorschlug, Entwicklungsländer sollten "Charter Cities" einrichten. Grundgedanke: Ein Land weist ein ungenutztes Territorium aus und unterstellt es komplett der Jurisdiktion eines oder mehrerer wohlhabender Länder. Weil das reiche Land seinen Erfahrungsschatz weitergibt, entsteht in der neuen Stadt eine Wachstumszone, die auf das ganze Land ausstrahlt. Das ist wesentlich mehr als eine Freihandelszone, von denen es heute schon viele gibt, Chartered City bedeutet vollständigen Verzicht auf Souveränität. Kritiker warfen Romer "Neokolonialismus vor, er selber verweist auf die positive Wirkung, die Hongkong auf die Entwicklung der Volksrepublik China.

Auch auf das Weiße Haus hatte Romer Einfluss, dies freilich unbeabsichtigt. Auf einer Konferenz sagte er einmal den schönen Satz: "Es ist schrecklich, wenn man eine Krise verschwendet" (" A crisis is a terrible thing to waste.") Den Satz schnappte Präsident Obamas Stabschef Rahm Emanuel 2009 auf: "Man sollte niemals eine Krise verschwenden",sagte er. Denn dies sei die beste Zeit für Reformen. Seither gehört der Satz zum Standardrepertoire aller angehenden Reformer.

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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