Nahaufnahme:Wie die Kleinkinder

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Eigentlich ist Ifo-Präsident Clemens Fuest ein besonnener Mann. Wie sich aber EU-Politiker nach dem britischen Brexit-Votum aufführen, das bringt ihn zur Weißglut.

Von Marc Beise

Clemens Fuest, 48, stammt aus Münster - weshalb sein Nachname auch nicht "Füst" ausgesprochen wird, sondern Fuhst: Das wissen erstaunlicherweise immer noch nicht alle Akteure der Berliner Politik, obwohl Fuest doch gerade dort ein gefragter Mann ist. Gefragt ist der Ökonom einmal deshalb, weil er als Präsident des Ifo-Instituts in München das bedeutendste Forschungsinstitut in Deutschland leitet, aber auch, weil er ein angenehm-konstruktiver Ratgeber der Politik ist.

Anders als sein Ifo-Vorgänger Hans-Werner Sinn wirkt Fuest, der aus seiner Zeit als Professor an der Elite-Universität Oxford eine gewisse britische Gelassenheit mit zurück nach Deutschland genommen hat, eher verbindlich. Sinn ist dafür bekannt, mit Verve seine Meinung zu vertreten, die er im Übrigen meistens auch für die einzig richtige hält. Fuest dagegen sagt: "Ich habe eine Meinung, aber ich erkenne an, dass andere eine andere Meinung haben." Umso mehr ließ es aufhorchen, als der Westfale sich jetzt beim "Forum Berlin" der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung in Rage redete.

Eigentlich sollten vornehm und gelassen Preise an Nachwuchsautoren vergeben werden zum Thema "Europa neu denken?", aber in Sichtweite des Brandenburger Tors vermochte Fuest nicht an sich zu halten. Gegen den allgemeinen Trend machte er nicht das deutliche Brexit-Votum des britischen Volkes (das auch ihn völlig überrascht hatte) zum Thema, sondern vielmehr dessen Rezeption auf dem Kontinent: "Wenn man betrachtet, wie die Politik in Europa derzeit auf die Brexit-Entscheidung reagiert, fällt es schwer, optimistisch zu sein", geißelte Fuest den Mainstream in Brüssel und vielen Hauptstädten. "Einem Großteil unserer Politiker fällt nichts Besseres ein, als auf diese Volksabstimmung mit Beleidigtsein zu reagieren; mit der kontraproduktiven, aus der Kleinkinderpädagogik des 19. Jahrhunderts stammenden Parole, es dürfe jetzt kein Rosinenpicken geben; mit der - entschuldigen Sie die Ausdrucksweise - unglaublich dummen und antieuropäischen Parole, nun müsste Großbritannien bestraft werden, damit bloß kein anderes Land auf die Idee kommt, aus der EU auszutreten."

Das aber ist völlig falsch, meint Fuest. Eine "kluge Europapolitik" solle sich vielmehr darauf konzentrieren, "den Schaden zu minimieren und die Zusammenarbeit auf möglichst vielen Gebieten zu erhalten, statt alles kaputt zu machen". Die Vorstellung, die Rest-EU könnte nur zusammengehalten werden, wenn Großbritannien bestraft wird, sei "leichtsinnig und gefährlich". Ohnehin behaupteten EU-Gegner ja immer wieder, das Ganze sei eine zentralistische Angelegenheit, die jeden niedermache, der sich ihr nicht fügen wolle. Eine "Bestrafung" Großbritanniens würde diesen Vorwurf nur bestätigen. Fuest: "Wenn die EU nur dadurch zusammengehalten werden könnte, dass Austrittswillige bestraft werden, dann wäre sie es nicht wert, zusammengehalten zu werden."

Wenn die EU also eine Zukunft haben solle, dann müsse sie durch Attraktivität überzeugen. Das verlange unter anderem weiterhin gute Beziehungen zu Großbritannien. "Die EU, die wir heute haben, hat durchaus ihre Schwächen, denken wir nur an die Probleme der Euro-Zone. Aber sie hat auch große Stärken." Dazu zähle die Bilanz von 60 Jahren Wohlstand und Frieden in Europa, die Leistungen der EU bei der ökonomischen und demokratischen Entwicklung der osteuropäischen Mitgliedstaaten, die Attraktivität des Binnenmarktes. Klar sei die Europäische Union in der Krise, und sie brauche "Reformen und die Bereitschaft zum Wandel". Aber sie habe "ihre besten Tage noch vor sich" - wenn, ja wenn, die Regierenden "jetzt einen kühlen Kopf bewahren".

© SZ vom 05.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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