Nahaufnahme:US-Finanzminister Lew

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"Wir haben deutlich gemacht, dass eine stärkere Binnennachfrage sehr gut wäre." Jacob Lew nach einem Treffen mit dem deutschen Finanzminister. (Foto: AP)

US-Finanzminister Jacob "Jack" Lew und Wolfgang Schäuble sind beide Juristen. Finanzpolitisch sprechen sie dennoch verschiedene Sprachen.

Von Cerstin Gammelin

Immerhin eine unbestreitbare Gemeinsamkeit gibt es zwischen Jacob "Jack" Lew und Wolfgang Schäuble. Die Finanzminister aus den USA und Deutschland, zwei der größten Volkswirtschaften weltweit, sind beide Juristen. Daraus abzuleiten, dass sie sich auch finanzpolitisch nahestehen, ist allerdings nicht angebracht.

Im Gegenteil, es gibt einige Reizworte, die bei gemeinsamen Auftritten der beiden regelmäßig die Gemüter erhitzen: Lew nutzt gerne die Gelegenheit, um die deutschen Exportüberschüsse zu kritisieren. Nach einem Treffen 2014 sagte er: "Wir haben deutlich gemacht, dass eine stärkere Binnennachfrage sehr gut wäre." Schäuble warnt unermüdlich vor Spekulationsblasen, die sich angesichts der lockeren Geldpolitik bilden könnten. Jeder Minister beansprucht für sich die Deutungshoheit darüber, was richtig und was falsch ist.

In diesen Stunden läuft erneut ein deutsch-amerikanisches Wortgefecht. Berlin und Washington rangeln heftig um einen Beschluss, der am kommenden Samstag auf dem Treffen der G-20-Finanzminister in Shanghai unterschrieben werden soll. Es geht um nichts Geringeres als die Forderung, ein weltweites Konjunkturprogramm aufzulegen. Die Unterhändler um Lew haben es geschafft, eine entsprechende Formulierung im Entwurf des G-20-Abschlussdokuments unterzubringen - zum Verdruss der deutschen Kollegen. Sie wollen das Konjunkturprogramm unbedingt wieder rausverhandeln. Konkret dringen die USA darauf, dass die G-20-Staaten durch öffentliche und private Investitionen die Nachfrage stimulieren und damit mehr Wachstum ermöglichen sollen. Die US-Delegation werde diese Position beim Treffen der zwanzig größten Industrie- und Schwellenländer am Freitag und Samstag dieser Woche in Shanghai offensiv vertreten, bestätigte ein hochrangiger Vertreter des Finanzministeriums in Washington. Er betonte, die Staaten müssten alle verfügbaren geld- und haushaltspolitischen Mittel ausschöpfen, um die Nachfrage in Schwung zu bringen. Die USA versprechen sich davon ein größeres Vertrauen aller Marktteilnehmer, geringere Kursschwankungen und Wachstum daheim.

Schäuble dagegen will keinen G-20-Beschluss mittragen, der es rechtfertigen könnte, dass Regierungen weiter Reformen verschleppen und über ihre Notenbanken, die noch mehr billiges Geld in den Markt pumpen, Wachstum erzeugen wollen. Sichtbar widerwillig hat er letztes Jahr den europaweit aufgelegten Juncker-Fonds gebilligt, der binnen drei Jahren Investitionen im Wert von mehr als 300 Milliarden Euro anreizen soll. Inzwischen muss der Finanzminister auch noch jährlich zweistellige Milliardenbeträge zur Bewältigung der Flüchtlingskrise ausgeben - was mindestens teilweise als Investitionsprogramm gebucht werden kann. Schäubles Botschaft ist klar: Noch mehr geht nicht. In Shanghai werden Amerikaner und Deutsche in der Runde ihrer G-20-Kollegen sich einigen müssen. Einen Verbündeten hat Schäuble sicher: Gastgeber China. Das Land setzt ähnlich wie Deutschland darauf, mithilfe struktureller Reformen, effizienterer Produktion und digitaler Neuerungen wettbewerbsfähiger zu werden und damit mehr Güter und Dienstleistungen zu verkaufen. Die Sorge, dass das Wachstum nachlässt, wird die G-20-Minister und Notenbank-Chefs in Shanghai umtreiben. Ob Lew, Schäuble und ihre Kollegen wirklich zu einer gemeinsamen Sprache finden, ist allerdings eine ganz andere Frage. Schäubles Sprecher ließ am Dienstag auf Nachfrage schon mal eine diplomatische Kompromissformel aufblitzen: Man wolle in Shanghai "die Weltwirtschaft auf einen nachhaltigen Wachstumskurs" bringen .

© SZ vom 24.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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