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"Welches Ausmaß hat das? Wie kriegen wir das schnell wieder gelöst?" Arno Walter. (Foto: oh)

Comdirect-Chef Walter muss die peinliche Datenpanne erklären. Seine Strategie: Offenheit.

Von Meike Schreiber

Arno Walter hat am 18. Juli gewissermaßen Glück im Unglück. Als um kurz nach neun Uhr sein Handy klingelt, sitzt der Chef der Comdirect-Bank an seinem Zweit-Arbeitsplatz in Frankfurt, im Turm der Konzernmutter Commerzbank, um später am Tag an einer wichtigen Sitzung teilzunehmen. Normalerweise wäre er jetzt, um diese Uhrzeit zu Wochenbeginn, gerade noch im Flugzeug, um von seinem Familien-Wohnort im Süden Frankfurts nach Quickborn bei Hamburg zu pendeln, wo die Comdirect-Zentrale steht.

Walter nimmt den Anruf entgegen. Sein IT-Chef ist dran und schlägt Alarm: ein Problem mit dem Online-Banking, womöglich eine größere Sache. Walter schaltet sofort in den Krisenmodus, beruft den Notfallstab ein und entscheidet, das Online-Banking-System kurz darauf sogar herunterzufahren. Komplett.

Der Grund für die radikale Maßnahme ist die vielleicht peinlichste Datenpanne einer Bank in jüngerer Zeit. Wie inzwischen klar ist, steuerte die Software Tausende Kunden, die sich in ihr Konto einloggen, auf Konten anderer Comdirect-Nutzer. Gehaltseingänge, Miet- oder Kreditzahlungen, Wertpapierbuchungen: Alles, was sonst so geheim wie möglich bleiben soll, wird plötzlich für fremde Augen sichtbar. Ein Albtraum für die Kunden, auch wenn dabei freilich kein Geld verloren gegangen ist. Und für Walter, der sich fragt: "Welches Ausmaß hat das? Wie kriegen wir das schnell wieder gelöst?" Inzwischen sind beide Fragen beantwortet: Ausmaß und Rufschaden waren enorm, technisch gelöst ist das Problem, immerhin. Und Walter? Ist wieder in Frankfurt, dieses Mal, um die Halbjahreszahlen der Comdirect vorzustellen. Vergessen ist die Panne freilich nicht: Die meisten Fragen der Journalisten drehen sich nicht um den Niedrigzins oder die Kostenquote der Onlinebank, sondern den Systemausfall. Walter, Commerzbanker durch und durch und seit 2002 im Konzern, antwortet ausführlich. Ja, das Vertrauen sei beschädigt. Natürlich soll die Offenheit helfen, es wieder herzustellen.

Denn inzwischen wissen sie bei der Comdirect genauer, was passiert ist: Bei allen Kunden, die sich an dem Morgen einloggten, konnten - theoretisch - die Daten eingesehen werden. Das haben 130 000 Kunden der insgesamt mehr als zwei Millionen Kunden gemacht. Davon wurden ungefähr 3300 Konten tatsächlich von Fremden eingesehen. Um vier Uhr morgens hatte die Bank eine Software aktualisiert, die wiederum zu einem Fehler bei der Login-Software geführt hat. Der konnte nicht im Testlauf, "nur im Echtbetrieb auftreten", wie Walter erklärt. Nachdem am Morgen der erste Kunde anrief, wuchs die Welle der Empörung in den sozialen Netzwerken. Erst um 11.20 Uhr war der Fehler behoben.

Von Dauer ist die Empörung vorerst wohl nicht. Insgesamt neun Kunden hätten eine neue Kontonummer beantragt, eine Handvoll Kunden habe angekündigt, das Konto zu kündigen. Bislang lägen auch noch keine Klagen wegen Verletzung des Bankgeheimnisses vor. Ob noch ein Bußgeld durch die Aufsichtsbehörden droht, müsse abgewartet werden.

Gänzlich entspannt ist Walter trotzdem nicht. Der Tag der Datenkatastrophe sei einer der schlimmsten seines Berufslebens gewesen. Seit März 2015 führt der 48-Jährige die Comdirect, zuvor war er als Bereichsvorstand für das Privatkundengeschäft der Commerzbank im Südwesten zuständig. Dabei musste er Mitarbeitern kündigen, was man nicht schnell vergesse.

Wie man mit digitalen Alltagsproblemen umgeht, übt Walter hingegen auch zu Hause. Wenn etwa eins seiner beiden Kinder feststellt, dass das beliebte Handyspiel Pokémon Go nicht auf dem iPhone 4 läuft. Dann kann es schon mal richtig Ärger geben.

© SZ vom 27.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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