Nahaufnahme:Runter vom Sockel!

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"Personen zu ranken, ist nichts Neues. Schauen Sie auf die Oscars oder auf Athleten." Carlos Rivera. (Foto: dpa)

Carlos Rivera bewertet Gegenwartskünstler mittels Algorithmus. Er sagt: "Personen zu ranken, ist nichts Neues. Schauen Sie auf die Oscars oder auf Athleten."

Von Pauline Schinkels

Am Anfang dachten einige noch, es sei ein Scherz, was sich Carlos Rivera da ausgedacht hatte. Eine Internetseite, die Gegenwartskünstler in Kategorien wie "Jetzt Kaufen" (für weniger als 10 000, 30 000 oder 100 000 Dollar), "Jetzt Verkaufen" oder "kommender Klassiker" aufteilt. Das hätte auch gut eine Persiflage auf den boomenden Kunstmarkt sein können, ein bissiger Kommentar zu den stetig steigenden Millionensummen, die dort derzeit für viele Werke bezahlt werden. Aber der 28-jährige Rivera meint die Seite namens Art Rank völlig ernst.

Gegenwartskünstler als Investitionsobjekte: Der umstrittene New Yorker Internet-Dienstleister bewertet sie ähnlich wie Börsenmakler Aktien. Vierteljährlich wird auf der Website gelistet, wer zukünftig in der Kunstszene boomen könnte und wer möglicherweise an Wert verliert. Bis zu zehn Abonnenten erhalten die Kaufempfehlungen schon Wochen bevor sie auf der für alle zugänglichen Seite veröffentlicht werden - für 3500 Dollar im Quartal. Eine Rendite von 4200 Prozent habe dafür eingefahren, wer in den vergangenen 16 Monaten alle Empfehlungen beherzigt habe, behauptet Rivera. Pech nur für Künstler wie Torey Thornton, der in der Kategorie "Verkaufen" ganz oben landet.

Das kontroverse Ranking wird mit einem Algorithmus ermittelt. Seine Kriterien: zurückliegende Verkaufszahlen, Nennungen in Zeitungen, zukünftige Ausstellungen - und massenhaft gesammelte Daten aus sozialen Netzwerken. Obwohl Gründer Rivera weiß, dass sich viel Kritik daran entzündet, Künstler nach Investment-Maßstäben zu bewerten, verteidigt er das Projekt: "Personen zu ranken ist nichts Neues. Schauen Sie auf die Oscars oder auf Athleten."

Trotzdem: Seit die Seite im Februar 2014 gestartet ist, reibt sich die Kunstwelt an ihr auf. Kritiker werfen Rivera vor, dass er mit seiner Seite kaltherzige Kunstspekulation, das sogenannte Art-Flipping, befeuern würde. Zudem lasse sich der langfristige Wert von Kunst nicht mit einem Algorithmus bestimmen. Ob ein Künstler in zehn oder zwanzig Jahren erfolgreich ist, hänge beispielsweise nicht davon ob, wie oft seine Werke in sozialen Netzwerken geteilt werden. "Ich kann auch gar nicht sagen, ob Kunst gut oder schlecht ist, ich kann nur beurteilen, was derzeit der Marktpreis dafür ist", wehrt sich Rivera.

Sein Ziel sei es, mittels der prognostizierten Marktentwicklungen den Kunstmarkt transparenter zu gestalten. "Es gibt viele, die nicht wissen, wie man in diesen Markt einsteigt und wann man wieder aussteigen sollte." Mit Art Rank wolle er die Kunst vom hohen Sockel holen.

Vor einigen Jahren verkaufte Rivera noch selbst. Damals war er ein kleiner Galerist, der irgendwo in West Hollywood unter dem Namen Rivera & Rivera Fotografien verkaufte. Eine Zeit, die er heute als "ineffizient" bezeichnet. "Es sind immer viele gekommen, aber die wenigsten haben etwas gekauft." Ende 2012 schloss Rivera die Galerie. Davor studierte er Film und Betriebswirtschaftslehre an der University of Southern California in Los Angeles. Seinen Abschluss machte er 2009 - mitten in der Finanzkrise. Damals begann Rivera, sich für vermeintlich krisenresistente Sachwerte zu interessieren. "Ich hatte aber keine Millionen, um Gold, Diamanten oder Autos zu kaufen."

Rivera entschied sich für Kunst. Fünf Jahre später ging Art Rank an den Start. Mit Rivera arbeiten derzeit noch ein Datenanalyst und ein Finanzexperte an der Seite. Die hieß am Anfang noch Sellyoulater. Nicht weniger steckte also in dem Namen als die offenherzige Ankündigung, die Kunst demnächst ohnehin wieder zu verkaufen.

© SZ vom 03.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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