Nahaufnahme:Radikal gegen Radikale

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"Man darf nie zulassen, dass Radikale jeder Sorte Einfluss in einem Unternehmen bekommen." Jean-Luc Petithuguenin (Foto: oh)

Der Unternehmer Petithuguenin setzt sich für Grundwerte ein: mit einer eigenen Charta. Glaube ist Privatsache, meint er.

"Wenn man ein Unternehmen führt", sagt Jean-Luc Petithuguenin, "ist das nie nur eine ökonomische Angelegenheit." Also reagierte Petithuguenin mit einem politischen Statement, als vor einem Jahr mit der Attacke auf die Satirezeitung Charlie Hebdo die islamistischen Massaker in Paris losgingen. Petithuguenin, Inhaber des Recyclingkonzerns Paprec, schloss für jeden seiner 80 Betriebe in Frankreich ein Abo von Charlie Hebdo ab. Das war eine Botschaft an die Paprec-Mitarbeiter. Die sind mancherorts zu 80 Prozent Muslime.

Dann passierte genau das, was Petithuguenin gehofft hatte: nichts. "Gut möglich, dass Charlie Hebdo in vielen Werken direkt in der Papierpresse landet", sagt er. "Aber die Mitarbeiter haben meine Geste nicht als Provokation verstanden." Sondern als Bekräftigung einer bekannten Botschaft ihres Chefs: Frankreichs Grundwerte wie Laizität - die Behandlung von Glaubensfragen als reine Privatsache - haben bei Paprec Vorrang vor allem anderen. Das wissen die 4000 Beschäftigten schon aus der Firmencharta, auf die sie sich Anfang 2014 verpflichtet haben.

Seit die Auseinandersetzung mit dem radikalen Islam alle Lebensbereiche der Franzosen durchdringt, ist Petithuguenin besonders froh um die Charta. Ein Schlüsselerlebnis gab ihm den Anstoß: Bei der Einweihung eines Werks bei Paris hatte Petithuguenin auch - nicht nur - Schweinefleisch servieren lassen. "Da kamen von der benachbarten Moschee Männer, die uns das verbieten wollten", sagt der Konzernchef. "Das ging zu weit. Man darf nie zulassen, dass Radikale jeder Sorte Einfluss in einem Unternehmen bekommen." Mehrere Pariser Attentäter waren in Firmen beschäftigt, etwa bei den Pariser Verkehrsbetrieben RATP.

Paprec soll nach Petithuguenins Willen in Zeiten, in denen Frankreich den Terror der Islamisten erleidet und den Aufstieg der Rechtsextremisten erlebt, "ein Gegenmodell" sein. Ein besseres Frankreich. Das Multikulti-Unternehmen aus der Niedriglohnbranche, das Menschen aus 56 verschiedenen Nationen beschäftigt, soll beweisen, dass friedliches Zusammenleben möglich ist. Dank der robusten Durchsetzung von Grundwerten.

Für den 58-jährigen Petithuguenin sind Verteidigung und Einschränkung der Freiheit kein Widerspruch. Jedenfalls, wenn es um Religionsfreiheit geht. Tatsächlich bricht die Paprec-Charta sogar Gesetze. Das gilt vor allem für das Verbot der Zurschaustellung religiöser Symbole - vulgo: Kopftuchverbot. Anders als der öffentliche Dienst dürfen Frankreichs Firmen Mitarbeiter nicht zu Neutralität verpflichten. "Wenn einer klagt, verliere ich sicher", sagt Petithuguenin. Aber es klagt keiner.

Er habe keine Garantie, räumt der Entrepreneur ein, dass die Charta in jeder Filiale streng eingehalten wird. Entscheidend sei aber: Das generelle Klima im Unternehmen lasse Fanatikern keinen Raum. Gerade muslimische Mitarbeiter, deren große Mehrheit gemäßigt sei, hätten sich die Charta gewünscht. Sie schütze vor dem Druck derer, die Frauen ohne Kopftuch als schlechte Musliminnen stigmatisieren. Oder halte Männer fern, die sich aus religiösen Vorwänden weigern, Frauen überhaupt zu grüßen.

Der Umgang mit dem Islam ist schwierig für Firmen. Jüngst machte der US-Konzern Cargill Schlagzeilen, weil er wegen eines Streits um Gebetszeiten 190 Muslime feuerte. Petithuguenin findet das übertrieben: "Wenn die Grenzen klar sind, kann man innerhalb der Grenzen flexibel sein." Etwa beim Wunsch nach angepassten Arbeitszeiten während des Fastenmonats Ramadan. Ansonsten möchte sich Petithuguenin aufs Geschäft konzentrieren. Es kann ja nicht alles Wirtschaftliche politisch sein.

© SZ vom 07.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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