Nahaufnahme:Mister BDI 4.0

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"Stimmen wir unsere Instrumente, oder spielen wir sowieso Rock 'n' Roll?" Dieter Kempf. (Foto: dpa)

Dieter Kempf soll die Industrielobby ins digitale Zeitalter führen: Es ist ein ungewöhnlicher, wenngleich nicht überraschender Vorschlag.

Von Michael Bauchmüller

Als Dieter Kempf zu arbeiten beginnt, kostet der Hamburger noch 95 Pfennig. Ende 1971 hat in München das erste deutsche Restaurant der Fastfood-Kette McDonald's eröffnet, Kempf zählt zu den ersten Mitarbeitern. Wer sollte damals ahnen, dass ein damals 18 Jahre alter Hacksteak-Brater mal Chef des mächtigsten deutschen Industrieverbandes werden würde? Oder umgekehrt: Wer hätte jemals erwartet, dass der BDI mal einen Präsidenten bekommt, der in einem Schnellrestaurant sein erstes Geld verdient hat - in einer Zeit, als dort die Kartoffeln noch von Hand geschält wurden? So aber wird es kommen, wenn der Verband der Empfehlung seines Präsidiums folgt: Das hat am Montag den 63-jährigen Kempf als Nachfolger für Ulrich Grillo vorgeschlagen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er es wird.

Kempf ist ein ungewöhnlicher, wenngleich nicht völlig überraschender Vorschlag. Denn aus der Schnellküche hatte sich der Mann rasch emporgearbeitet zum Filialleiter, parallel schloss er sein Betriebswirtschafts-Studium ab. Er wechselte 1978 zum Vorläufer der Wirtschaftsprüfergesellschaft Ernst & Young und von dort 1991 zur Nürnberger Software-Genossenschaft Datev. 25 Jahre gehörte er ihrem Vorstand an, davon 20 Jahre als Chef. 2011 wurde er Präsident des Digital-Branchenverbands Bitkom und zog für vier Jahre ins Präsidium des BDI ein - jenes Präsidium, das ihn nun einstimmig nominierte.

Auch für den Industrieverband ist das ein bemerkenswerter Schritt. Der amtierende Präsident Ulrich Grillo kommt aus der klassischen deutschen Industrie. Seine Grillo-Werke machen in Metallen und Chemie, ihre Geschichte geht bis zur Mitte des vorvergangenen Jahrhunderts zurück. Sein Vorgänger Hans-Peter Keitel kam aus der Bauindustrie, dessen Vorgänger Jürgen R. Thumann wiederum war Stahlunternehmer. Aber einen Präsidenten, der im weiten Reich des Digitalen zu Hause ist, hatte der Verband noch nie. "Er ist der richtige Mann am richtigen Ort", sagt Grillo über Kempf - gerade wegen dessen digitaler Expertise. Der BDI wird zum BDI 4.0.

Kempf lässt derlei Komplimente mit einem verschmitzten Lächeln und nicht ohne Genugtuung über sich ergehen. Im Frühjahr hatte er, mit 63, den Vorstandsvorsitz niedergelegt. An "Ruhestand" hatte er dabei noch nicht gedacht, seine ursprünglichen Pläne verrät er aber nicht. Zu dem Zeitpunkt hatte Grillo schon bei ihm angeklopft. Er sei zwar nicht mit einem Mangel an Selbstvertrauen ausgestattet, sagt Kempf. "Aber diese Frage hatte mich verblüfft." Nach einer gewissen Bedenkzeit habe er dann zugestimmt - aber nein, so drückt Kempf das nicht aus. Er sagt: "Dann habe ich dem Bauchpinseln nachgegeben." Ohnehin finde er: "Die Rente mit 63 ist eine Schnapsidee." Kurzum: An der Spitze des BDI könnte es künftig etwas lockerer zugehen als mit dem stets vom Scheitel bis zur Sohle korrekten Grillo.

Das sagen auch Leute, die beim Bitkom schon mit einem Verbands-Präsidenten Kempf zusammengearbeitet haben. Unprätentiös sei er, "menschlich geerdet". Dafür spricht, dass er ein Faible für Motorräder hat und offenbar gelegentlich zur Gitarre greift ("Stimmen wir unsere Instrumente, oder spielen wir sowieso Rock 'n' Roll?"). Wie es eben so ist, wenn der BDI einen Chef bekommt, der ein Schnellrestaurant von der anderen Thekenseite kennt.

Was all das für den BDI inhaltlich bedeutet, darüber schweigt sich Kempf einstweilen aus. Erst einmal müsse er schließlich gewählt werden, und im Übrigen sei jetzt noch eine ganze Weile Ulrich Grillo am Werk. Dessen zweite Amtszeit läuft bis Ende des Jahres. "Bis dahin bin ich es noch und zwar unvermindert engagiert", sagt Grillo. Und beim Rausgehen: "Wir sehen uns noch."

© SZ vom 14.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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