Nahaufnahme:Miss Ceta

Lesezeit: 2 min

"Es gibt in der Welt viele Kräfte, die neue Mauern errichten wollen. Ceta weist genau in die andere Richtung." Chrystia Freeland über Kanadas Handelsabkommen mit der EU. (Foto: oh)

Chrystia Freeland war Journalistin und Auslandskorrespondentin. Sie schrieb ein Buch über Wirtschaft - und wurde dann Ministerin.

Von Michael Bauchmüller

Der silberne Kassettenrekorder hat es Chrystia Freeland auf den ersten Blick angetan. "Wo haben Sie den denn her", ruft sie. "Ich hasse diese digitalen Aufnahmegeräte!" Freeland kennt sich damit aus, nicht, weil sie Kanadas Handelsministerin ist. Sondern weil sie lange damit gearbeitet hat. Bis 2013 war Freeland selbst Journalistin, Auslandskorrespondentin, hat andere interviewt. Heute sitzt sie nicht mehr hinter, sondern vor dem Aufnahmegerät.

Freeland, 47, hat die Seiten gewechselt, knapp drei Jahre ist es her. Da hatte es Justin Trudeau endgültig geschafft. Trudeau, später Chef der liberalen Partei Kanadas, hatte Freeland bei einer Lesung in Toronto kennengelernt. Das Buch, das da vorgestellt wurde, hieß wörtlich übersetzt "Die Plutokraten" und kam in Deutschland als "Die Superreichen" auf den Markt. Es ist eine Abrechnung mit Folgen der Globalisierung, mit wachsender Ungleichheit, dem Entstehen einer neuen Geld-Elite. Geschrieben hatte es, klar, Chrystia Freeland. Trudeau war von dem Buch so begeistert, dass er die Journalistin so lange belagerte, bis sie in die Politik wechselte, zunächst ins Parlament.

Inzwischen ist Trudeau Ministerpräsident und Freeland Ministerin. Eine liberale Partei, das ist in Kanada mehr SPD als FDP. Die kanadischen Liberalen verstehen sich als linksliberal. Während aber in Deutschland auch linksliberale Kräfte reihenweise Vorbehalte gegen das Handelsabkommen der EU mit Kanada, Ceta, vorbringen, kämpfen sie in Kanada dafür. So auch die zuständige Ministerin. Schon als Abgeordnete hatte sie die alte Regierung zu einem Abschluss gedrängt, jetzt kann sie ihn selber vorantreiben. "Wir fühlen eine große Nähe zu Europa", sagt sie, "wir fühlen uns europäisch." Wurzeln ihrer eigenen Familie reichen in die Ukraine, sie selbst hält dem Land immer noch die Treue. Allein diese Nähe spreche für das Abkommen mit Europa. Hinzu komme, dass die Globalisierung "unter Stress" gerate. "Es gibt in der Welt viele Kräfte, die neue Mauern errichten wollen", sagt sie.

"Ceta weist genau in die andere Richtung." Geht es nach ihr, könnte das Handelsabkommen schon Anfang des kommenden Jahres in Kraft treten. Kanada verspricht sich davon fast ein Viertel mehr Handel mit der EU, zusätzlichen Warenaustausch von 26 Milliarden Euro. Lange war zuletzt noch an dem fertig verhandelten Abkommen gedoktert worden, vor allem auf Initiative aus Deutschland. Die Kritik war hier am lautesten, wegen der schwer durchschaubaren Schiedsgerichte, die auch Ceta vorsah. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, als Sozialdemokrat eine Art Parteifreund Freelands, verlangte ordentliche Schiedsgerichte für Konflikte zwischen Staaten und Investoren. So oft habe sie mit ihm telefoniert, sagt Freeland, "dass ich wusste, wenn Sigmars Tochter Husten hat". Diesen Donnerstag hat sie ihn in Berlin besucht. Und d as neue Verfahren, das ist inzwischen fest vereinbart.

Es sind nach wie vor die Superreichen, die Freeland umtreiben. Durch neue Technologien entstünden immer neue Monopole, schwant ihr - und damit neue Ungleichheit. Ähnlich wie in der industriellen Revolution gehe Fortschritt einher mit Ungerechtigkeit. "Die Lösung war auch damals keine ökonomische, sondern eine politische: die Erfindung des sozialen Wohlfahrtsstaates." Auch jetzt sei die Zeit wieder reif für politische Entscheidungen, etwa gezielter Umverteilung von reich zu arm. Um aber etwas umverteilen zu können, brauche es eine wachsende Wirtschaft - etwa durch einen wachsenden Handel mit Europa. Dafür kämpft sie nun.

"Es ist ein echtes Privileg, in der Regierung zu sein", sagt sie. "Trotzdem hoffe ich, irgendwann wieder schreiben zu können."

© SZ vom 15.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: