Nahaufnahme II:Der Aufhörer

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"Ich will nochmals ein neues Kapitel in meinem beruflichen Leben aufschlagen." Martin Blessing (Foto: dpa)

Martin Blessing mag nicht mehr Commerzbank-Chef sein, er lehnt das Angebot ab, seinen Vertrag zu verlängern. Nun ist 2016 Schluss

Von Meike Schreiber

Zuletzt wirkte Martin Blessing wie ein Mann, der mit sich im Reinen ist. Auf dem traditionellen Sommerfest mit Journalisten vor wenigen Wochen präsentierte der Commerzbank-Chef mit kaum verhohlener Freude einen Werbespot seines Geldinstituts, in dem indirekt, aber doch vernehmlich die Deutsche Bank aufs Korn genommen wurde - dass seit einiger Zeit vergleichende Werbung im deutschen Fernsehen erlaubt ist, kam dem gelegentlich zum Sarkasmus neigenden Blessing also durchaus entgegen. Und tatsächlich fühlte sich das Leben für den langjährigen Commerzbank-Chef zuletzt wohl leichter an als noch vor wenigen Jahren, als er eine Art Dauer-Prügelknabe der Finanzbranche war.

Letzteres hing auch und vor allem mit Blessings mangelndem Zeitgespür zusammen: Ins Amt kam der Vorstandschef im Mai 2008, also just zu einem Zeitpunkt, als die größte Finanzkrise seit den 1930er-Jahren Fahrt aufnahm. Mitte September des gleichen Jahres, quasi am Vorabend der Lehman-Brothers-Pleite, verkündete der Bremer die Übernahme des Konkurrenten Dresdner Bank, die er sich gut 5,5 Milliarden Euro kosten ließ und die in die Teilverstaatlichung der Commerzbank mündete. Noch immer hält der Bund 15 Prozent an Deutschlands zweitgrößter Bank.

Inzwischen freilich hat der leidenschaftliche Läufer und Tennisspieler sein Gespür für den richtigen Zeitpunkt wiedergefunden: Am Sonntagabend gab die Commerzbank überraschend bekannt, dass der 52-Jährige seinen bis Oktober 2016 laufenden Vertrag zwar erfüllen, aber nicht verlängern werde. Nach "langem und intensivem Nachdenken" habe er entschieden, das Angebot nicht anzunehmen, teilte er mit. Nach 15 Jahren im Vorstand, davon die Hälfte als Vorstandschef, wolle er "nochmals ein neues Kapitel in seinem beruflichen Leben aufschlagen". 2016 sei ein guter Zeitpunkt für einen Führungswechsel in der Bank. Klaus-Peter Müller, Aufsichtsratschef des Konzerns und Blessings direkter Vorgänger, äußerte sein Bedauern über dessen Ausscheiden. "Ich bedauere diese Entscheidung sehr und hätte mir eine Vertragsverlängerung gewünscht. Ich respektiere aber die Entscheidung", sagte er.

Tatsächlich gilt die frühere Krisenbank inzwischen weitgehend als saniert. Nach sieben dürren Jahren steht für die Aktionäre nicht nur erstmals wieder eine Dividende in Aussicht; die Commerzbank erwirtschaftete zuletzt auch wieder steigende Gewinne - wenngleich immer noch keine Traumrenditen. Am Montag veröffentlicht die Bank die Zahlen zum dritten Quartal.

Auch dass die Commerzbank zuletzt stark in das traditionell wachstumsschwache Privatkundengeschäft investiert hat, zahlte sich bislang aus: Seit 2012 lockt die Commerzbank Neukunden - zum Ärger der Konkurrenz von Sparkassen und Volksbanken - nicht nur mit Begrüßungsgeld für das Girokonto sowie den besagten TV-Spots, sie hält auch demonstrativ an ihrem Filialnetz fest. Damit gewann das Institut 666 000 neue Kunden. Das Ziel, bis Ende 2016 mehr als eine Millionen neue Kunden einzusammeln, ist in greifbarer Nähe.

So gelang es Blessing zuletzt erstaunlich gut, seine Zahlen als nachhaltige Erfolgsgeschichte zu verkaufen. Ob sie es wirklich sind, wird im kommenden Jahr womöglich sein Nachfolger zeigen. Neue Chefs nämlich neigen dazu, eventuell zu optimistisch bewertete Bilanzposten gleich in den ersten Wochen abzuwerten.

In jedem Fall wird Blessing seine Entscheidung eng mit seiner Frau Dorothee abgestimmt haben, die es erst vor gut einem Jahr von der US-Investmentbank Goldman Sachs zum Konkurrenten JP Morgan zog, wo sie das deutschsprachige Investmentbanking leitet. Wie so ein Wechsel gelingen kann, wird er sich also bei ihr abschauen können.

© SZ vom 02.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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