Nahaufnahme:Genervter Genforscher

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"Ein Viertel unserer Beschäftigten in Cambridge sind Ausländer aus anderen EU-Ländern." John Burt (Foto: oh)

Der Brexit bereitet dem britischen Firmenchef John Burt Sorgen. Sein Unternehmen ist auf Spitzenkräfte aus dem Ausland angewiesen, aber darf er sie auch künftig engagieren?

Von Björn Finke

Ein großer, stählern glänzender Kessel, daneben wuchtige Schränke. Am Kessel läuft Dampf wie Wasser herunter: Hier werden Blutproben mit flüssigem Stickstoff gekühlt. Das Blut stammt unter anderem von Spendern aus London, und der Kühlraum befindet sich in einem hässlichen Flachbau am Rande der Universitätsstadt Cambridge. Dort hat das Gentechnikunternehmen Abzena seinen Sitz auf einem Forschungscampus. Die börsennotierte Firma profitiert von Londons Anziehungskraft für Ausländer. "In London leben Menschen aus ganz unterschiedlichen Teilen der Welt. Deshalb bieten die Blutproben aus der Stadt genügend genetische Vielfalt für unsere Tests", sagt John Burt, der Vorstandschef.

Abzenas Belegschaft ist ebenfalls international: 120 Mitarbeiter sind am Stammsitz in Cambridge tätig und 80 in den Vereinigten Staaten. "Ein Viertel unserer Beschäftigten in Cambridge sind Ausländer aus anderen EU-Ländern", sagt der promovierte Molekularbiologe Burt. Die konservative Premierministerin Theresa May hat sich bereits festgelegt, dass sie die Einwanderung von EU-Bürgern nach dem Brexit begrenzen will. Das schürt Ängste in Hochschulen und Forschungsabteilungen. Wobei der 48-jährige Engländer erwartet, Unternehmen wie das seine werden in Zukunft weiterhin spezialisierte Wissenschaftler ins Land holen dürfen.

Er hofft es, weiß es aber nicht. Unklar ist auch, welchen Bedingungen der Handel mit der EU unterliegen wird. Auf die Post-Brexit-Beziehungen müssen sich die britische Regierung und Brüssel erst in mühsamen Verhandlungen einigen. Das werde Jahre dauern, sagt der frühere Unternehmensberater, der die Firma seit 2011 führt. "Die Unsicherheit nach dem Referendum erschwert die Planung", klagt er. Immerhin hilft der Absturz des Pfundkurses Abzena, denn zwei Drittel der Umsätze stammen von amerikanischen Kunden. Deren Zahlungen in Dollar sind nun mehr wert.

Das Unternehmen, es ging vor zwei Jahren an die Börse, ist eine von vielen Gentechnikfirmen aus Cambridge. Nirgendwo sonst in Europa ist die Zukunftsbranche stärker als in der altehrwürdigen Hochschulstadt. Abzena verdient damit Geld, für Pharmakonzerne an Proteinen und Antikörpern zu forschen und diese zu verbessern. So hat der Betrieb eine Methode entwickelt, Arzneien - etwa Chemotherapie-mittel - an Antikörper zu kleben. Der Patient erhält die Antikörper gespritzt; diese greifen Krebszellen an und setzen da zielgenau ihr mitgeführtes Chemotherapiegift frei. Verwenden Pharmaunternehmen Abzenas patentierte Technik, erhalten die Cambridger Lizenzeinnahmen. Noch schreibt die Firma Verluste, doch in zwei Jahren peilt John Burt Gewinne an.

Abzena nutzt keine Forschungsgelder der EU, aber andere britische Gentechnik-firmen und Universitäten profitieren von Zuschüssen aus Brüssel, zum Beispiel aus dem Programm "Horizon 2020". Nach dem Brexit wird auch die Europäische Arzneimittelagentur aus London wegziehen, eine EU-Behörde, die eine wichtige Rolle bei der Zulassung von Medikamenten spielt. "Wenn ich mit Kollegen von anderen Biotechfirmen spreche, ist deren größte Sorge die Unsicherheit darüber, was das alles für die Zukunft heißt", sagt Burt. Er befürchtet, dass die Ungewissheit Investoren aus dem Ausland abschrecken werde.

Der Hauptgrund für ihn, beim Referendum für den Verbleib zu stimmen, sei gewesen, dass dem Königreich die Zusammenarbeit mit anderen EU-Staaten helfe, sagt er: "Außerhalb der Union sind wir doch nur eine kleine Insel mit weniger Einfluss." Zudem wende man sich nicht einfach von Freunden und Nachbarn ab. 52 Prozent der Wähler sahen das allerdings dezidiert anders als John Burt.

© SZ vom 16.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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