Nahaufnahme:Freigeist für Freihandel

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Verbraucherschutz-Chef Müller überrascht gern mit seiner eigenen Meinung. Das war schon immer so. Diesmal enttäuscht er die TTIP-Gegner - und macht es sich damit nicht leicht.

Von Claus Hulverscheidt

Manchmal sagt Klaus Müller Sachen, die einem anständigen Globalisierungskritiker wahrlich den Angstschweiß auf die Stirn treiben können. "Ich bin ausdrücklich für den Freihandel - als Verbraucherschützer kann man ja gar nicht dagegen sein", ist so ein Satz, den man von vielen erwartet hätte, aber nicht unbedingt vom Chef des Bundeszentrale Verbraucherverbands (VZBV). Doch Müller, immerhin so etwas wie erster Anwalt des deutschen Konsumenten, hat sich schon immer den Luxus einer eigenen Meinung geleistet. Das war so in den Neunzigerjahren, als der damals blutjunge finanzpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion manch spinnerte Idee seiner Parteifreunde einfach ignorierte. Das war so in seiner Zeit als Umweltminister in Kiel, und das ist heute immer noch so.

Nun also ist es die Handelspolitik und das geplante, derzeit auf Eis liegende TTIP-Abkommen von EU und USA. Müller hätte es sich leicht machen und die Wir-wollen-kein-Chlorhühnchen-Rhetorik mancher deutscher TTIP-Gegner übernehmen können. Stattdessen verweist der 46-Jährige darauf, dass offene Grenzen und Märkte den Bürgern in den letzten Jahrzehnten "eine riesige Auswahl an Waren zu niedrigen Preisen" beschert hätten. Die Losung laute daher: "Freihandel ja, aber bitte gut gemacht", so Müller. "Die Interessen der Verbraucher müssen die Messlatte sein."

Um zu verhindern, dass wegen des "Winterschlafs" von TTIP und des Stabwechsels im Weißen Haus der Dialog über eine bessere Gestaltung des Welthandels zum Erliegen kommt, hat sich Müller in Washington tagelang mit Kollegen, Politikern und Beamten aus Europa und den USA beraten. Dabei ging es zunächst einmal darum zu ergründen, wie die Handelsdebatte eigentlich so schieflaufen konnte. Drei Punkte haben die Fachleute identifiziert: "die Behandlung von TTIP als geheime Kommandosache, die ungeklärte Frage, wem ein solcher Vertrag eigentlich nutzen soll, und der Umstand, dass Handelsexperten meinten, sich plötzlich um Dinge wie Arbeitnehmerrechte, Verbraucherschutz, Umwelt und Gesundheit kümmern zu müssen".

Statt die Verhandlungen derart zu überfrachten und sie zudem von Menschen führen zu lassen, die im Verdacht stehen, der verlängerte Arm heimischer Konzerne zu sein, will Müller Handelsgespräche wieder auf ihren ursprünglichen Kern, den Abbau von Zöllen und Importquoten, reduzieren. Über alle anderen Themen sollten dagegen die zuständigen, mit den Themen vertrauten Minister und Kommissare verhandeln. "Dass das geht, zeigen sehr gute Vereinbarungen wie das europäisch-amerikanische Abkommen über Bio-Lebensmittel", so der gebürtige Wuppertaler. "Diese Abmachung war allerdings auch nie als Handelsvertrag deklariert und stand deshalb auch nicht im Verdacht, dass hier heimlich die Deregulierungswünsche einer bestimmten Branche umgesetzt werden sollen."

Ähnliche, dem Verbraucher unmittelbar nutzende Vereinbarungen hielte Müller in vielen weiteren Bereichen für möglich. Dazu zählen aus seiner Sicht eine Angleichung der Standards im Onlinehandel, die Einführung eines einheitlichen Umtausch- und Rückgaberechts für im Ausland bestellte Waren, die Senkung der hohen Roaming-Gebühren für Telefonate zwischen Europa und den USA oder weitere Reiseerleichterungen für Touristen.

Dass man das Vertrauen der TTIP-Kritiker nicht einfach zurückgewinnen wird, indem man ein großes Abkommen in viele kleine splittet und die Verhandlungsführer austauscht, weiß natürlich auch Müller. "Das geht nicht mit einem Fingerschnippen - und echte Freihandelsgegner kriege ich mit einer solchen Strategie auch nicht überzeugt. Aber vielleicht die Pragmatiker." Menschen also, wie Müller selber einer ist.

© SZ vom 30.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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