Nahaufnahme:Die Dame

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"Nach sieben Jahren bei Easyjet erschien es mir richtig, nun das Angebot von ITV anzunehmen." Carolyn McCall (Foto: N/A)

Die Medienmanagerin und britische "Dame" Carolyn McCall sanierte Easyjet, nun wechselt sie zum Fernsehen.

Von Björn Finke

Ryanair-Chef Michael O'Leary gab sich gewohnt uncharmant. Carolyn McCall wurde 2010 zur Chefin der britischen Fluggesellschaft Easyjet ernannt. Auf die Frage, ob er McCall schon einmal getroffen habe, antwortete O'Leary damals: "Jesus, nein. Irgendein altes Medien-Schätzchen." McCall, heute 55, konnte tatsächlich keinerlei Erfahrung in der Luftfahrt-Branche vorweisen. Sie kam vom Verlag der Zeitung Guardian, den sie seit 2006 geleitet hatte. Nun zieht es die Managerin zurück ins Mediengeschäft. Am Montag gab Easyjet bekannt, dass McCall zum Jahresende aufhören wird, um dann Chefin beim britischen Privatfernsehsender ITV zu werden, der genau wie Easyjet Mitglied im Londoner Börsenindex FTSE 100 ist.

Die Britin ist nur eine von sieben Frauen, die einen der 100 größten börsennotierten Konzerne des Königreichs führen. "Nach sieben Jahren bei Easyjet erschien es mir richtig, nun das Angebot von ITV anzunehmen", sagt die Historikerin und Politikwissenschaftlerin. Zumal sich der Schritt finanziell lohnen wird: Im vergangenen Jahr kassierte McCall 1,5 Millionen Pfund bei Europas viertgrößter Fluggesellschaft. Beim Sender ITV soll ihr Gehalt vergleichbar dem ihres Vorgängers Adam Crozier sein, heißt es. Und der bekam zuletzt 3,4 Millionen Pfund inklusive Boni. Ein weiterer Vorteil dürfte sein, dass sie mehr Abende zu Hause mit ihrem Mann und den drei Kindern verbringen kann, die in einem hübschen Pendlerdorf im Nordwesten Londons leben. Als Easyjet-Chefin musste sie ständig zwischen den Standorten der Billigfluggesellschaft in Europa herumjetten. ITVs Zentrale ist in London.

Vermutlich wird sie auch nicht die Sticheleien von Stelios Haji-Ioannou vermissen, dem britisch-zyprischen Gründer von Easyjet. Der ist immer noch Großaktionär des Konzerns und kritisiert immer mal wieder öffentlich das Management. Bereits im vergangenen Jahr soll die Einzelhandelskette Marks & Spencer versucht haben, McCall als Chefin abzuwerben, aber sie hatte kein Interesse. Dass McCall, die als Tochter eines britischen Managers in Bangalore in Indien geboren wurde, derartig begehrt ist, dürfte an ihrer Bilanz bei Easyjet liegen. Als sie den Posten 2010 antrat, war die zweitgrößte Billigfluggesellschaft des Kontinents berüchtigt für Verspätungen und schlechten Kundenservice; die Stimmung in der Belegschaft war mies.

McCall machte sich selbst ein Bild. Sie flog mehrmals die Woche mit Easyjet, sprach mit Passagieren und Besatzungen. Schließlich bekam sie die Probleme in den Griff. Unter ihrer Führung stiegen Umsatz und Gewinn, der Aktienkurs verdreifachte sich in ihrer Amtszeit. Für ihre Verdienste um die Luftfahrt im Königreich wurde sie 2016 zur "Dame" erhoben.

Jetzt verlässt die Managerin das Unternehmen in schwierigen Zeiten, und einen Nachfolger gibt es noch nicht. Am Tag nach dem EU-Referendum vor einem Jahr sank die Aktiennotierung um 22,3 Prozent - der Absturz spiegelt die Ängste der Anleger wider, dass die britische Fluggesellschaft nach dem Brexit 2019 nicht mehr ohne Weiteres Ziele in der EU ansteuern kann. Am Freitag verkündete der Konzern, zur Sicherheit eine Tochtergesellschaft in Wien zu gründen und eine österreichische Betriebserlaubnis zu beantragen. Auch der Verfall des Pfundkurses seit der Volksabstimmung belastet Easyjet, denn er macht in Dollar gehandeltes Kerosin teurer. Als Resultat schrumpfte der Gewinn im abgelaufenen Geschäftsjahr.

McCalls neue - und alte - Branche durchläuft ebenfalls Turbulenzen. Die Werbeeinnahmen im Fernsehen sinken wegen der Konkurrenz durch Internet-Anzeigen. Dank ihrer Zeit beim Guardian-Zeitungsverlag wird der ITV-Chefin dieses Problem bekannt vorkommen.

© SZ vom 18.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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