Nahaufnahme:Die Angst geht um

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Der Milliardär Guo Wengui twittert aus dem Exil in New York. Da Twitter in China gesperrt ist, verfolgen viele Chinesen die Tweets über einen VPN-Dienst.

Von Christoph Giesen

Der Kurznachrichtendienst Twitter ist in China gesperrt. Wer dennoch lesen möchte, was etwa US-Präsident Donald Trump gerade treibt, muss einen VPN-Dienst buchen. Diese Anbieter betreiben Server überall auf der Welt - es sind die Zwischenstationen auf dem Weg ins freie Internet. Über diesen Umweg kann man auf all die zensierten Websites zugreifen. Immer mehr Chinesen installieren sich dieser Tage VPN-Software auf ihren Computern. Donald Trump interessiert sie aber nicht sonderlich, sondern Guo Wengui, ein chinesischer Ex-Milliardär, der in New York lebt und unter @kwokmiles im Stundentakt twittert. Und vor allem Chinas Elite ist deshalb sehr besorgt. Denn Guos Tweets haben es in sich. "Wir müssen einige Räuber in diesem Land ausrotten", sagt er. Und wen er damit meint, kann jeder Chinese mit VPN-Zugang nachlesen.

Wang Qishan, zum Beispiel, nach Staat- und Parteichef Xi Jinping immerhin der zweitmächtigste Mann Chinas. Wang sei in Bestechungen verwickelt und habe etliche Affären, schreibt Guo. Just dieser Wang organisiert seit knapp fünf Jahren die weitreichende Antikorruptionskampagne der Partei. Oder der Konzern HNA, der sich jüngst mit knapp zehn Prozent bei der Deutschen Bank einkaufte und der in den vergangenen Monaten für mehr als 40 Milliarden Dollar weltweit auf Einkaufstour gegangen ist: Guo erklärt, in Wahrheit werde das Unternehmen von einigen mächtigen Familien aus Peking kontrolliert. HNA bestreitet das. Der Chef einer milliardenschweren Immobilienfirma hat sogar Klage bei einem Gericht in New York eingereicht - wegen übler Nachrede. Guo behauptet, dass ein Großteil der Aktien in Wahrheit mächtigen Funktionären gehöre.

Das Problem an Guos Tweets: Was wahr ist und was erdacht, lässt sich nicht überprüfen. Für viele Chinesen ist er ein Held, jemand, der die vermeintliche Wahrheit ausspricht - nicht wie die lammfromme und streng zensierte Staatspresse. Dieser Guo kann aber auch unbarmherzig sein. Als ein stellvertretender Bürgermeister in Peking ihm einmal bei einem Immobilienprojekt im Weg stand, besorgte er ein Sex-video, das den Politiker mit seiner Geliebten zeigte. Der Mann verlor seinen Job und sitzt seitdem im Gefängnis.

Bis vor wenigen Jahren noch gehörte Guo selbst der Pekinger Elite an. Milliardäre und Parteifunktionäre - das war lange eine symbiotische Beziehung. Die einen hatten Macht, die anderen Geld und Jobs für die Kinder der Politiker. Leute wie Guo haben viel gesehen und viel gehört. Genauso Xiao Jianhua. Ebenfalls lange Zeit ein Milliardär im Exil. Ende Januar wurde er in Hongkong in seinem Hotel gekidnappt. Wo er heute steckt, ist nicht bekannt.

Geboren wurde Guo als eines von zehn Kindern während der Kulturrevolution in der ostchinesischen Provinz Shandong. Laut Pass 1967. Guo sagt allerdings, er sei erst 1970 auf die Welt gekommen. Nach der Mittelschule war Schluss, zeitweilig saß er sogar im Gefängnis.

Nach seiner Entlassung 1991 brachte ihn eine Geschäftsfrau mit reichen Investoren zusammen. Er baute ein Hotel in Zhengzhou, der Hauptstadt der Provinz Henan in Zentralchina. Schnell wurde die Herberge zum Treffpunkt der örtlichen Parteikader. Und bald schon baute Guo in Peking. Eine Finanzsparte kam hinzu, und er beteiligte sich an einer Versicherung.

2014 schätzte Chinas Reichenliste Hurun Guos Vermögen auf 2,3 Milliarden Dollar. Im selben Jahr verließ er China, nachdem er sich mit einem Geschäftspartner beim Kauf eines Brokerhauses überworfen hatte. Der Mann landete im Gefängnis. Inzwischen lässt China Guo per Interpol-Haftbefehl suchen. Doch der twittert einfach weiter.

© SZ vom 07.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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