Nahaufnahme:Der Zögling

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Yi Gang wird Chef der chinesischen Zentralbank. Es gibt ein paar drängende Probleme, die er schnell in Angriff nehmen muss.

Von Christoph Giesen

Der gute Wim Duisenberg residierte noch im EZB-Turm in Frankfurt, und auch der legendäre Alan Greenspan hatte noch ein paar Jahre als Fed-Chef vor sich, als im Dezember 2002 Zhou Xiaochuan zum Gouverneur der chinesischen Volksbank bestellt wurde. Mehr als 15 Jahre ist das her. Auf Duisenberg folgte Jean-Claude Trichet, dann Mario Draghi. In Washington übernahm erst Ben Bernanke, dann Janet Yellen, vor wenigen Wochen schließlich Jerome Powell. Nur der ewige Zhou blieb. Jetzt tritt er ab. Nach über 15 Jahren bekommt China einen neuen Zentralbankchef. Der Nationale Volkskongress in Peking hat Zhous Stellvertreter Yi Gang am Montag zum obersten Währungshüter bestimmt.

Der 60-Jährige Yi ist Zhous Schützling und ein Mann der Zahlen. 14 Jahre verbrachte er in den Vereinigten Staaten, wo er unter anderem als Ökonom arbeitete und an der Indiana University lehrte. 2008 wurde er zu Zhous Stellvertreter berufen. Seitdem hat er maßgeblich die Geld- und Währungspolitik der Volksrepublik mitbestimmt. Von 2009 bis 2016 leitete er zudem die Devisenaufsicht.

Yi gilt als reformfreudig, so unabhängig, wie etwa Mario Draghi oder Jerome Powell, ist Chinas neuer Notenbankchef jedoch nicht. Die Wirtschaftspolitik der kommenden Jahre steuert vor allem Xi Jinpings enger Berater Liu He, der zum Vizepremier mit Zuständigkeit für Finanzfragen berufen wurde. Zudem leitet Liu seit vergangenem November auch den neu gegründeten Finanzstabilitätsrat, der alle relevanten Behörden, aber auch die Zentralbank kontrollieren soll. Seit 2014 führt Liu bereits die Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Finanzen der Kommunitischen Partei; das Gremium kann Beschlüsse von Ministerien aushebeln. Im Vergleich dazu ist Yis politischer Einfluss deutlich geringer, er ist lediglich Kandidat im Zentralkomitee der Partei und dort nicht einmal stimmberechtigt. Die richtungsweisenden Entscheidungen fallen mehrere Etagen höher. Im Vorfeld des Volkskongresses war gemutmaßt worden, dass Liu auch die Volksbank leiten könnte - neben all seinen anderen Ämtern. Deutlicher hätte man nicht eingestehen können, dass die Zentralbank unter der Fuchtel der Regierung steht.

"Er ist ein wichtiges Symbol für Kontinuität in der Geldpolitik", meint dennoch Yu Yongding, ein früherer Notenbankberater. Denn: Yi hat sich in der Vergangenheit für eine Liberalisierung der Zinssätze und Währungen ausgesprochen sowie vor Risiken durch exzessives Kredit- und Geldmengenwachstum gewarnt. Schon bald steht er vor einer ersten Bewährungsprobe im neuen Amt: Am Mittwoch könnte die US-Notenbank erneut ihre Zinsen erhöhen. Wie wird die chinesische Nationalbank darauf reagieren? Mit einer eigenen Zinserhöhung? Die Spannung ist groß.

Auch im Inland sind die Herausforderungen außerordentlich. Die Verschuldung ist zu einem der drängendsten Probleme geworden. Im Mai 2017, schreibt der China-Wissenschaftler und Ökonom Victor Shih, habe die Gesamtverschuldung in der Volksrepublik, also die Verbindlichkeiten aller Privathaushalte, sämtlicher Unternehmen und des Staates 254 Billionen Yuan betragen. Das sind 32 Billionen Euro und entspricht 328 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Besonders dramatisch ist der rasante Anstieg. Als 2008 in Peking die Olympischen Spiele ausgerichtet wurden, lag sie noch bei etwa 145 Prozent. Seitdem hat sich Chinas Wirtschaftsleistung jedoch mehr als verdoppelt - in absoluten Zahlen sind also die Verbindlichkeiten um mindestens das fünffache gestiegen. "China als Ganzes ist ein Schneeballsystem", fürchtet Victor Shih. Eine gewaltige Aufgabe für den neuen Notenbankchef Yi Gang.

© SZ vom 20.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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