Nahaufnahme:Der Sherpa

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"Top-Ökonomen scheinen gelegentlich zu vergessen, was die Grundlagen für Wohlstand in Europa sind: Stabilität, Solidarität und ein Miteinander auf Augenhöhe." Ludger Schuknecht (Foto: Imago)

Ludger Schuknecht bereitet künftige G-20-Gipfel vor. Der Volkswirt ist Schäubles Mann für Spezialaufträge.

Von Cerstin Gammelin

Freitagnacht in Shanghai, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat mit der globalen Gemeinde der G-20-Kollegen zu Abend gegessen und lässt den langen Tag in engerem Kreise bei Rotwein ausklingen. Hinten links in der Runde sitzt Ludger Schuknecht, 53, und hört seinem Chef zu. Knapp 24 Stunden später, Pressekonferenz, dasselbe Bild. Schäuble redet, Schuknecht hat sich unter die Zuhörer gemischt. Es ist eine Konstellation, die typisch ist für den Chefökonomen aus dem Bundesfinanzministerium: Er steht immer am Rande und doch mittendrin.

Der 53 Jahre alte promovierte Volkswirt ist Schäubles Mann für Spezialaufträge, bevorzugt internationale. Gerade hat er einen übernommen, der so anstrengend wie sensibel ist, dass Schuknecht in den nächsten zwei Jahren kaum zum Ausspannen kommen wird. Schäuble hat ihn zu seinem Sherpa für G-20 befördert. Verantwortlich für die globale Gemeinde war Schuknecht zwar schon in den vergangenen Jahren. Aber weil G-20 aus deutscher Sicht noch nie so wichtig war, wie es jetzt geworden ist, hat das Bundesfinanzministerium den Posten formalisiert und einen offiziellen Sherpa benannt. Schuknecht ist praktisch das Pendant zu Lars-Hendrik Röller, der im Auftrag der Bundeskanzlerin die Treffen der globalen Gemeinde vorbereitet.

Dass die Bundesregierung der G-20 eine ganz neue Bedeutung beimisst, liegt daran, dass China in diesem Jahr und Deutschland im kommenden Jahr das Gremium präsidieren. Es ist eine Konstellation, die in der Bundesregierung beinahe elektrisierend wirkt. Bisher, so heißt es vertraulich, war es ja nur möglich, mit den Chinesen über komplizierte diplomatische Kanäle zu kommunizieren. Ohne direkte oder persönliche Absprachen, nur über offizielle Wege. Der chinesische Apparat galt als Blackbox. Und nun steht der Paradigmenwechsel an. Da Chinesen und Deutsche wegen ihrer aufeinanderfolgenden G-20-Präsidentschaften gemeinsam die globalen Themen setzen müssen, sind die Chinesen gezwungen, sich zu öffnen - und persönliche Absprachen auf Arbeitsebene zu treffen. Deutsche Beamte hoffen, dass sie Einblick in Verwaltungsstrukturen bekommen, ihre Gesprächspartner kennenlernen und dass Kontakte entstehen, die langfristig die Beziehungen vereinfachen.

Schuknecht darf als bestens geeignet für den Posten gelten. Einerseits, weil er vor seinem Wechsel ins Bundesfinanzministerium beim Internationalen Währungsfonds in Washington, bei der Welthandelsorganisation in Genf und bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt gearbeitet hat. Aber auch wegen seiner persönlichen Attitüde. Er tritt dezent-zurückhaltend auf, nicht nur im Smalltalk, sondern auch im Internet, wo er, anders als viele seiner Kollegen, nicht auf Wikipedia zu finden ist. Sprichwörtlich ist seine Ausdauer, mit der er solide Staatsfinanzen und Stabilität als Voraussetzung für Wohlstand propagiert - was die Chinesen ähnlich sehen.

Wer den G-20-Sherpa lebhaft erleben will, dem sei empfohlen, eine Debatte über Austerität oder Konjunkturpakete anzustoßen. Bei solchen Gelegenheiten kann der Chef der Grundsatzabteilung grundsätzlich werden und schon mal provokante Papiere verfassen oder internationale Ökonomen wie Piketty & Kollegen des Irrtums bezichtigen: "Selbst Top-Ökonomen scheinen gelegentlich zu vergessen, was die Grundlagen für Wachstum und Wohlstand in Europa sind: Stabilität, Solidarität und ein Miteinander auf Augenhöhe."

Ansonsten legt Schuknecht Wert darauf, dass Privates auch privat bleibt, man muss ihn schon selbst fragen, um zu erfahren, dass er verheiratet ist und drei Kinder hat. Eine weitere Eigenschaft, mit der er bei den chinesischen Kollegen punkten dürfte.

© SZ vom 29.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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