Nahaufnahme:Arbeiter-Kapital

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"Angesichts der Angriffe auf die Gewerkschaften brauchten wir einen neuen Ansatz, der mehr Einfluss für die Arbeiter versprach." Carmen Rojas. (Foto: oh)

Carmen Rojas hilft jungen Unternehmen im Silicon Valley beim Start ins Geschäftsleben. Voraussetzung ist eine Idee, die US-Arbeitnehmern hilft.

Von Guido Bohsem

Die Lage der amerikanischen Gewerkschaften ist erbärmlich. Der Organisationsgrad in den Betrieben liegt bei ganzen sieben Prozent. In Deutschland ist er deutlich höher, in der Stahlbranche sogar über 90 Prozent. Besonders in den neuen Technologie-Unternehmen im Silicon Valley fällt es den Arbeiterführern schwer, Fuß zu fassen. Die Gehälter sind gut, Gewerkschaften werden als störend, ja altmodisch empfunden. Um die Tech-Giganten herum ist aber eine Dienstleistungsindustrie entstanden, bei der häufig kein auskömmlicher Lohn gezahlt wird für das enorm teure Leben zwischen San Francisco und San José.

Carmen Rojas, 38, geht einen neuen Weg, um der Sache der Gewerkschaften wieder zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen. Zusammen mit David Rolf, dem Vize-Präsident der Dienstleistungsgewerkschaft, arbeitete sie die Idee einer Wagniskapitalgesellschaft der Gewerkschaften aus. "Uns war klar, dass wir angesichts der Angriffe auf die Gewerkschaften einen neuen Ansatz brauchten, einen, der mehr Einfluss für die Arbeiter versprach", erklärt Rojas ihre Überlegungen. So kam die Idee zustande, sich eine Unternehmung zu schaffen, die der Sache der Gewerkschaften unabhängige Einnahmen verspricht.

The Workers Lab (www.theworkerslab.org) nahm im vergangenen September die Arbeit auf. Ziel der Kapitalgeber- und Berater-Firma ist es, Unternehmen oder Modelle an den Markt zu bringen, mit denen Arbeitnehmer in den Vereinigten Staaten gestärkt werden können. Bislang haben sich 280 Bewerber um das gewerkschaftliche Kapital beworben. Neun davon wurden ausgewählt, und an vier hat sich Workerslab beteiligt: Mit 150 000 Dollar über neun Monate sowie mit Trainings und Beratung bei der Entwicklung des Geschäftsmodells, sagt Rojas. "In diesem Jahr werden wir rund 1,5 Millionen Dollar investieren." Geldgeber sind die Gewerkschaften und wohltätige Institutionen wie etwa die Ford Stiftung oder die von Investorlegende George Soros gegründete Open Society Foundation.

Die Voraussetzungen für die Bewerber sind ähnlich wie bei den vielen anderen Kapitalgebern im Valley auch: "Ein Team muss zeigen, dass das Unternehmen einen nachhaltigen Gewinn generieren kann und sich auch in anderen Regionen anwenden lässt." Eine andere entscheidende Bedingung komme laut Rojas allerdings hinzu: "Das Unternehmen muss die Rechte der US-Arbeiter stärken."

So investierte Workers Lab zum Beispiel in das Restaurant Opportunity Center (ROC). Das ist eine Internet-Plattform, auf der Tausende Restaurant-Angestellte quer durchs ganze Land angemeldet sind. "Das ROC bietet das einzig verfügbare Trainingsprogramm, mit dem sich schlecht bezahlte Angestellte für besser bezahlte Jobs qualifizieren können", so Rojas. Finanziert werde die Plattform durch Restaurant-Betreiber, die eine einheitliche Ausbildung ihrer Angestellten sicherstellen wollten.

Hilfe bei der Weiterentwicklung des Geschäftsmodells gibt der Workers Lab auch Contratados, einer Art Yelp für Migranten-Arbeiter. Arbeitnehmer aus Mexiko und Lateinamerika können dort Unternehmen in den USA bewerten, bei denen sie zeitweise angestellt waren. Fünf Sterne erhält ein guter Arbeitgeber und einen Stern ein schlechter. Auf diese Weise können sich andere Arbeitnehmer informieren, bevor sie in die USA reisen, um dort zu arbeiten.

Rojas selbst stammt aus einer Einwandererfamilie, ihre Eltern arbeiteten in schlecht bezahlten Jobs. Das prägte die Berkeley-Absolventin. "Ideal wäre es, wenn wir Tausende Unternehmen mit unabhängigen Einnahmen schaffen könnten, die sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Amerika einsetzen und die Arbeiterschaft stärken", sagt sie.

© SZ vom 02.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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