Nahaufnahme:Alle reden mit

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Zufällig ausgewählte Bürger wie die 23-jährige Jorina Suckow begleiten die Endlager-Suche. Bisher war Atommüll für die Studentin kein Thema, jetzt geht dafür ihre Freizeit drauf.

Von Christian Endt

Jorina Suckow, 23, war gerade auf dem Weg nach Hause, als ihr Handy klingelte. "Interessieren Sie sich eigentlich für die Endlagerung?", lautete die ungewöhnliche Frage des Anrufers. Allzu viel hatte sich Suckow bis dahin nicht mit Atommüll beschäftigt. Aber interessiert war sie, das schon irgendwie. Sie blieb also in der Leitung, ließ sich Informationen schicken, fuhr ein paar Wochen später von Hamburg nach Kassel zu einem Treffen. Das war im vergangenen Herbst. Und der Beginn eines spannenden Experiments in Demokratie.

Inzwischen ist Suckow Mitglied im Nationalen Begleitgremium. Wenn Behörden demnächst anfangen, einen Lagerort für die strahlenden Überreste des nuklearen Zeitalters zu suchen, soll dieser Rat dafür sorgen, dass die Öffentlichkeit mitreden kann. Sechs der neun Mitglieder sind Fachleute, darunter der ehemalige Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) und mehrere Professoren. Suckow und zwei weitere sind mithilfe des Zufalls ausgewählte Bürger: Fast 70 000 Menschen hat die Uni Bamberg im Auftrag des Bundesumweltministeriums angerufen und gefragt, ob sie Lust dazu hätten. 123 davon fuhren zu den Treffen, am Ende wurde gewählt.

Eigentlich hat Jorina Suckow kaum Zeit für das Ehrenamt: Die Studentin lernt gerade für ihr juristisches Staatsexamen und arbeitet in einer Anwaltskanzlei. Da hat sie ihre Stunden jetzt reduziert. Warum tut sie sich das an? "Ich sehe das ein bisschen als meine Bürgerpflicht", sagt sie jetzt in einem Hotel in Berlin, wohin sie am Vortag für eine Sitzung gefahren ist, die fast sieben Stunden dauerte. Jetzt ist Samstag, eigentlich würde sie heute Tennis spielen, stattdessen organisiert das Begleitgremium eine öffentliche Anhörung. "Schlaf ist überbewertet", sagt Suckow und lacht, dabei wirkt sie sehr ausgeschlafen. Die anderen jungen Leute in der engeren Auswahl hätten ähnlich wenig Zeit. Einer muss es ja machen. Zur Vorbereitung auf die Anhörung liest sie Hunderte Seiten Gutachten. Und sagt, sie wisse immer noch vieles nicht, möchte sich als Nächstes in die Historie der Atomabfälle einarbeiten.

Wenn das Gremium tagt, lässt Suckow meistens die anderen reden. Wenn sie dann spricht, hören deshalb alle am Tisch zu. "Es ist ein Umfeld, wo ich mich traue, was zu sagen", sagt Suckow. "Wenn ich etwas anders sehe, äußere ich das auch." Suckow sucht gerade noch ihre Rolle in der Gruppe, die zugleich selbst noch nach ihrer Rolle sucht. Gerade berät der Bundestag erst ein Gesetz, das festlegen soll, wie viel das Nationale Begleitgremium mitzureden hat.

Wie groß die Erwartungen sind, zeigt sich bei der Anhörung in Berlin. Fast zweihundert Leute kommen. Viele reisen aus dem Wendland an, wo sie den Anti-Atom-Protest seit Jahrzehnten üben und nun verhindern wollen, dass der Salzstock Gorleben als Endlager ausgewählt wird. Andere wissen erst seit Kurzem, dass sie sich überhaupt für Atommüll interessieren. Wie Suckow wurden sie zufällig angerufen und engagieren sich nun weiter, obwohl sie nicht ins Gremium gewählt wurden.

Bisher geht es in der Debatte überhaupt nicht darum, wo der Atommüll am Ende hinkommt. Sondern wie das Verfahren aussehen soll, in dem das Endlager gesucht wird. Jorina Suckow übernimmt beispielsweise die Moderation einer Arbeitsgruppe, bei der es um den Rechtsschutz innerhalb dieses Verfahrens geht. Acht Leute sitzen an einem Samstagnachmittag in einem kahlen, kalten Seminarraum in Kreuzberg und diskutieren darüber, welches Verwaltungsgericht für Klagen gegen Endlager-Bescheide zuständig sein soll, wenn es solche Bescheide irgendwann mal gibt. Man muss schon ungeheuer viel Leidenschaft mitbringen, um mit solchen Fragen seine Freizeit zu verbringen.

© SZ vom 20.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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