Mode made in Germany:Lagerkoller in Metzingen

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Genug vom hohen Standard: Das schwäbische Modeunternehmen Hugo Boss und sein Outletcenter nerven die Bewohner der kleinen Stadt Metzingen.

Bernd Dörries

Eigentlich ist die Stadt schon lange gespalten. Wenn man auf der Bundesstraße 28 durch Metzingen fährt, sieht man auf der einen Seite Fachwerkhäuser mit Blumenrabatten und auf der anderen Seite Rabattschilder von Boss, Adidas und Joop. Auf der linken Seite sind die Straßen gepflastert, die Leute holen sich Schweinehals mit Kartoffelsalat am Mittagstisch der Metzgerei. Und auf der rechten Seite kommen Menschen bis aus Asien an den Rand der Schwäbischen Alb und rennen mit Coffee to go und Tüten durch die Läden. Das sind die zwei Seiten der Stadt Metzingen. Viele Bürger glauben, die eine Seite profitiere von der anderen. Andere aber meinen, die beiden Welten hätten sich mittlerweile zu weit voneinander entfernt.

Haute Couture in Metzingen: Eine der bekanntesten deutschen Modemarken verhilft der Kleinstadt zu hohem Standard. (Foto: Foto: ddp)

Weiter Weg für einen billigeren Anzug

Ulrich Lorch sitzt in seiner Zahnarztpraxis in der Mitte des alten Metzingen. Wenige Meter weiter stehen die sieben Keltern, alte Holzgebäude, in denen früher die Weintrauben gepresst wurden. Jahrelang waren sie die Sehenswürdigkeit Metzingens. Bevor Hugo Boss seinen Fabrikverkauf eröffnete und 70 andere Marken nachzogen. Mittlerweile kommen 2,5 Millionen Besucher im Jahr nach Metzingen, das nur 22.000 Einwohner hat. An vielen Tagen sind die Schnäppchensucher in der Überzahl. "Die Einstellung dieser Leute ist mir sehr fremd", sagt Lorch. "Ich verstehe nicht, wie man aus Düsseldorf hierher fährt, nur weil es einen Anzug billiger gibt."

Der Zahnarzt sagt, er kaufe seine Hosen auch von Boss. Nur eben nicht im Fabrikverkauf in Metzingen, sondern in einem Fachgeschäft in Reutlingen, zehn Kilometer weiter, zum normalen Preis aber dafür mit Beratung. Lorch sagt, man könne ihm also nicht vorwerfen, grundsätzlich gegen Boss zu sein. Lorch ist Vorsitzender einer Bürgerinitiative, die verhindert hat, dass Boss sein neues Zentrallager in Metzingen baut, mit 400 neuen Arbeitsplätzen. Am Sonntag haben die Bürger von Metzingen gegen das Lager gestimmt, mit 61,2 Prozent. Der Oberbürgermeister war so entsetzt, dass er gleich zurückgetreten ist. Das Ergebnis sei bedauerlich, sagt Philipp Wolff von Hugo Boss. "Es sollte eigentlich möglich sein, dass ein Weltkonzern sich ausdehnt."

Links vom Ortsausgang wollte Boss bauen. Eine Halle von 300 Meter Länge, 200 Meter Breite und 20 Meter Höhe. Das klingt nach einer Katastrophe für eine intakte Natur. Das Grundstück liegt aber eingezwängt zwischen einem Gewerbegebiet, einer Tankstelle und der neuen Umgehungsstraße. Boss wollte die Halle grün streichen und auf dem Dach einen Garten anlegen. Die Bürgerinitiative hielt das Gebäude für einen massiven Eingriff in die Natur.

Tarn-Look

In einer Broschüre schreiben die Gegner: "Die architektonische 'Textilhülle' soll in den Farben der Natur gehalten werden: grün. Wie passt sich dieses grün gehaltene Gebäude im Winter bei Schnee in die Landschaft ein?" Im vergangenen Winter waren es gerade mal ein paar Tage, an denen in Metzingen Schnee lag. Und auch das dunkle Holz der Weinkeltern im alten Metzingen wurde an diesen Tagen nicht mit weißen Tarnplanen verhängt. "Wir haben nichts gegen Boss, der hat Metzingen viel gegeben", sagt Lorch in seiner Praxis noch einmal.

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Viele wissen wahrscheinlich gar nicht, dass es wirklich mal einen gab, der Hugo Boss hieß. Er gründete 1923 einen Betrieb, der Arbeitsuniformen herstellte. Ende der sechziger Jahre übernahmen die Enkel Jochen und Uwe Holy den Laden und machten ihn Schritt für Schritt zu einem internationalen Modekonzern.

Heuschrecke im beschaulichen Metzingen

Ende der Achtziger war es sehr angesagt, Sweatshirts mit beflockten Boss-Aufdruck zu tragen. Die Anzüge waren damals so altbacken, dass sie jeder Metzinger problemlos tragen konnte. Mittlerweile ist Boss mehr Mailand und New York als Schwäbische Alb. Die Gebrüder Holy verkauften ihre Anteile Anfang der Neunziger an den italienischen Konzern Valentino, der im Jahr 2006 wiederum vom Finanzinvestor Permira gekauft wurde. Eine Heuschrecke im beschaulichen Metzingen, das erschreckte die Leute. Sie machen sich Sorgen, ob Boss hier weiter 2000 Menschen beschäftigen wird. Oder ob die Firma einfach irgendwo anders hingeht, wo es billiger ist.

Eigentlich könnte man es als gutes Zeichen werten, dass der neue Eigentümer das Zentrallager und die 400 Arbeitsplätze in Metzingen ansiedeln wollte. Ein Pfand auf die Zukunft, ein bisschen Sicherheit. Für die Bürgerinitiative war es das Gegenteil. Liest man die Broschüre der Initiative und hört sich an, was Zahnarzt Lorch zu sagen hat, dann ergibt sich eine seltsame Melange aus Argumenten: Das Lager ist zu groß. Die Arbeiter verdienen zu wenig. Man hat doch schon Vollbeschäftigung.

Die Heuschrecken machen Firmen platt und sind eh schnell wieder weg. Großunternehmen zahlen keine Steuern. Im Lager will eh keiner arbeiten. Die da oben machen, was sie wollen. Die Feldkrähe ist gefährdet. Man sieht nur das Schlechte, fühlt sich betrogen und bedroht. Es ist nicht ganz klar, wie eine solche Weltsicht nach Metzingen kommen konnte.

Dieter Hauswirth (CDU) ist hier seit zehn Jahren Oberbürgermeister und er wäre es auch gerne noch ein wenig geblieben. "Ich bin geplättet", sagt er auch Tage nach dem Bürgerentscheid. "Ich bedauere, dass man die Menschen am ehesten mobilisieren kann, wenn man gegen etwas ist." Er ist zurückgetreten, weil er das Gefühl hat, dass die Bürger auch gegen ihn abgestimmt haben, gegen seine grundsätzlichen Überzeugungen. In den vergangenen Jahren hat die Stadt unter Hauswirth viel investiert. In Kindertagesstätten, in die Schulen und ambulante Pflege. "Die Metzinger sind einen hohen Standard gewohnt. Ich dachte, dessen sind sich die Leute bewusst", sagt Hauswirth. Das Niveau würde sich ohne Boss und Outlets nicht halten lassen.

In Ruhe arbeiten

Natürlich war der Fabrikverkauf immer ein Thema in der Stadt. Einmal in der Woche trifft sich der Oberbürgermeister mit dem Leiter der Outlet-Geschäfte, um zu besprechen, was gerade ansteht. Welche neuen Gebäude entstehen, wo es mehr Parkplätze braucht. Jahrelang war es ziemlich chaotisch gewesen, haben die Metzinger ihre Wohngebiete mit Poldern und Schranken vor den Besuchermassen schützen müssen. "Die Stadt konnte der rasanten Neuentwicklung oft nur hinterherhecheln", sagt Hauswirth, 57. Mittlerweile gibt es genügend Parkhäuser, am Freitag eröffnete Hauswirth den neuen Abschnitt der Umgehungsstraße. Es sah eigentlich gut aus.

Manche fragen Hauswirth in diesen Tagen, ob denn Hugo Boss überhaupt noch nach Metzingen passe. Er erzählt dann eine Geschichte von Walter Baldessarini, dem legendären Vorstandschef von Boss. Der wurde einmal vom italienischen Fernsehen in Mailand gefragt, was denn nun anstehe nach den großen Modeschauen. Zurück nach Metzingen, sagte Baldessarini. Warum in aller Welt Boss denn in der Provinz sitze, fragte das Fernsehen. Weil man hier in Ruhe arbeiten könne, sagte Baldessarini.

Boss will sein Zentrallager nun im zehn Kilometer entfernten Nürtingen bauen. Auch dort hat sich schon eine Bürgerinitiative gegründet.

© SZ vom 6.8.2008/kim/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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