Mindestlohn:Ein bisschen mehr Glück

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Die Proteste haben geholfen: Demonstranten für mehr Lohn am 1. Mai dieses Jahres in Los Angeles. (Foto: Sandy Huffaker/AFP)

Die Proteste haben geholfen: In Los Angeles gibt es womöglich bald einen Mindestlohn von 15 Dollar - das dürfte Signalwirkung für ganz Amerika haben.

Von Kathrin Werner, New York

Die Menschen warten still auf die Entscheidung. Auf den schweren, dunklen Holzbänken zwischen den mächtigen Marmorsäulen lauschen sie den Stadträten von Los Angeles. Dann die Worte, auf die alle gewartet haben: "Das Gesetz ist angenommen." Los Angeles verabschiedet einen Mindestlohn in Höhe von 15 Dollar - eine Zahl, die vor Kurzem noch unerreichbar hoch klang. Die Menschen springen auf, jubeln, klatschen, recken die Fäuste in die Luft. Es ist der größte Erfolg für die Arbeiterklasse seit Jahren. "Hilfe ist auf dem Weg für eine Million Angelenos, die in Armut leben", sagt der Bürgermeister Eric Garcetti. "Ich habe die Mindestlohn-Kampagne gestartet, um für Aufschwung in unserer Stadt zu sorgen. Und weil der Mindestlohn kein Armutslohn sein sollte in Los Angeles."

Die Regierung in Washington schafft es schon seit Jahren nicht, den USA-weiten Mindestlohn zu erhöhen, der bei 7,25 Dollar stagniert. Präsident Barack Obama ist dafür, die Republikaner, die den Kongress dominieren, blockieren aber seine Pläne. Ein Arbeiter, der Vollzeit für den bundesgesetzlichen Mindestlohn arbeitet, bekommt im Jahr 15 080 Dollar, das lässt schon eine zweiköpfige Familie unter die Armutsgrenze rutschen. In teuren Städten wie Los Angeles kann man davon nicht leben. Hinzu kommt, dass viele Arbeiter nur für einzelne Schichten eingeteilt werden und keine Vollzeit-Jobs finden. Viele beziehen zusätzlich Sozialhilfe oder Lebensmittelmarken - der Staat finanziert die Billiglöhne.

Die Mehrheit der Bundesstaaten und auch etliche andere Städte haben höhere Mindestlöhne, die die Arbeiter oft allerdings noch immer zu niedrig finden. Auch New York diskutiert gerade über einen höheren Mindestlohn. Dass sich Los Angeles, die zweitgrößte Stadt der Vereinigten Staaten, für 15 Dollar entscheidet, hat Signalwirkung. Etwa 800 000 Menschen bekommen eine Gehaltserhöhung. Von Juli kommenden Jahres an soll der Stundenlohn von derzeit neun Dollar schrittweise angehoben werden, bis auf 15 Dollar im Jahr 2020. Das Gesetz gilt für Firmen mit mehr als 26 Beschäftigten, um kleine Unternehmen zu schützen, die Konkurrenz von Rivalen mit niedrigeren Löhnen außerhalb der Stadtgrenzen fürchten. Ab 2021 gilt das Gesetz dann auch für Firmen mit weniger Mitarbeitern. Noch ist es nicht verabschiedet. Das Stadtparlament muss ein zweites Mal darüber abstimmen, damit es in Kraft treten kann. Da sich die Abgeordneten bei der ersten Abstimmung am Dienstag mit 14 Stimmen und nur einer Gegenstimme für den Mindestlohn von 15 Dollar ausgesprochen haben und der Wirtschaftsentwicklungs-Ausschuss einstimmig dafür ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass er tatsächlich bald Gesetz wird.

Konservative Politiker sehen in der Entscheidung einen Jobkiller

Die Handelskammer und andere Wirtschaftsverbände protestieren gegen die höheren Mindestlöhne. Sie würden Unternehmen dazu zwingen, ihre Mitarbeiterzahlen zu reduzieren oder aus der Stadt zu ziehen. Was ein höherer Mindestlohn mit Arbeitsplätzen und dem Wirtschaftswachstum macht, ist unter Volkswirten heiß umstritten. Insbesondere konservative Politiker halten ihn für einen Jobkiller. Der Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugman argumentiert dagegen, dass es für die einzelnen Unternehmen sogar besser sei, wenn sie höhere Löhne zahlen müssen: "Wenn man Arbeiter besser bezahlt, bleiben sie länger im Unternehmen, die Moral ist besser und sie sind produktiver." Auch die Supermarktkette Walmart, Amerikas größter privater Arbeitgeber und der Inbegriff für schlechte Arbeitsbedingungen, hat gerade mit Hinweis auf die Wirtschaftlichkeit die Gehälter der Mitarbeiter auf mindestens neun Dollar erhöht - glücklichere Arbeiter arbeiteten besser. Experten erwarten, dass Walmarts Entscheidung Bedeutung über die Einkommen der 1,3 Millionen Mitarbeiter in den USA hinaus haben wird. Andere Unternehmen dürften nachziehen, weil ihre Leute sonst kündigen und zu Walmart wechseln könnten - außerdem steigt der politische Druck.

Das Center for Economic and Policy Research hat mit offiziellen Zahlen belegt, dass die Zahl der Arbeitsplätze in den 13 Bundesstaaten, die Anfang 2013 die Mindestlöhne hochgesetzt haben, schneller wuchs als in Staaten mit stagnierenden Regeln. In den vergangenen Monaten haben sich die Minilöhner deutlich besser organisiert, die Fast-Food-Arbeiter haben sich zum Beispiel mit Verkäufern, Kindererziehern, Pflege- und Putzdiensten sowie Flughafen-Mitarbeitern zur Organisation "Fight for 15" zusammengeschlossen. Sie fordern, dass auch die Arbeiter von der Erholung der Volkswirtschaft seit dem Ende der Wirtschaftskrise profitieren. Die US-Durchschnittslöhne sind in den vergangenen Jahren nur um zwei Prozent jährlich gestiegen, nur knapp mehr als die Inflation. Noch immer leben 14,5 Prozent der Amerikaner unter der Armutsgrenze, mehr als 45 Millionen Menschen. In Los Angeles sind es gar 18 Prozent. Ein Teil dieser Menschen ist nicht arbeitslos, es sind " Working Poor", die zwei oder drei Jobs gleichzeitig haben, aber trotzdem nicht genug zum Leben.

© SZ vom 21.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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