Mieten:Bibliothek der Dinge

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Früher haben sich Nachbarn fehlende Dinge über den Zaun gereicht, heute leiht man sich übers Internet. (Foto: Getty Images)

Die großen Händler bieten immer mehr Dinge zum Verleih an, anstatt sie zu verkaufen. Das ist charmant, lohnt sich aber für die Kunden nicht immer.

Von Vivien Timmler

Drei Mal mühte sich die neue Bohrmaschine durch die Wand der nicht mehr ganz so neuen Wohnung. Seitdem steht sie in der Abstellkammer. Auch die Spiegelreflexkamera hielt vor Monaten das letzte Mal einen Moment fest, im toskanischen Spätsommer. Und die Nähmaschine wird allerhöchstens einmal im Jahr vom Dachboden geholt, wenn die Tochter ein Karnevalskostüm braucht.

Knapp 1600 Euro sind die drei Gegenstände wert, die im Haushalt der Münchnerin Anne Grötzner ihr Dasein fristen, Seite an Seite mit dem plötzlich verschmähten Spielzeug ihrer Kinder. Einer Studie des Verbraucherservice Bayern zufolge befinden sich in jedem deutschen Haushalt durchschnittlich ungenutzte Gegenstände im Wert von etwa 1000 Euro. Die ihren seien keine klassischen Fehlkäufe, sagt Grötzner, ab und an brauche sie ja schließlich alle Gegenstände. Aber muss sie die deswegen auch gleich besitzen?

Eigentum verliert zunehmend an Bedeutung, Verantwortung wird zur Last

Leihen statt kaufen, teilen statt behalten: Auf diesen Grundsätzen basiert die "Sharing Economy", die Ökonomie des Teilens. Mitwohnzentralen und Car Sharing-Plattformen waren bislang die erfolgreichsten Umsetzungen. Doch aus der anfänglichen Konsumalternative ist längst eine Lebenseinstellung geworden. Dinge zu besitzen wird für viele immer unattraktiver. Vor allem junge Menschen legen Wert darauf, flexibel zu sein. Eigentum wird zur Last. Hinzu kommt der Aspekt der Nachhaltigkeit: Wer tauscht und teilt, schmeißt weniger weg.

Nach den Start-ups versuchen nun auch mehr und mehr etablierte Unternehmen, durch Miet-Modelle neue Kunden hinzuzugewinnen. Der Versandhändler Otto etwa verleiht allerlei technisches Gerät über seine Leih-Plattform Otto Now, die Elektrokette Media-Saturn kooperiert für ihr Angebot mit dem Berliner Miet-Start-up Grover. Das Konzept ist simpel: Eine Virtual Reality Brille etwa kostet im Handel knapp 600 Euro. Weil der Kunde sie zunächst aber nur ausprobieren möchte, kann er sie für 18 Euro monatlich mieten. Anschließend kann er kaufen oder zurückschicken.

Das lohnt sich jedoch nicht immer: Bei vielen Produkten beträgt die monatliche Miete acht bis zehn Prozent des Kaufpreises. Je länger ein Kunde ein gemietetes Gerät behält, desto näher kommt er dem Preis - und steht nach Ablauf der Miete ohne Gegenwert da. Es lohnt sich deshalb, zu rechnen, nach wie vielen Monatsmieten der Kaufpreis überschritten wäre.

Hinzu kommt, dass viele Portale Mindestmietzeiträume voraussetzen. Bei Media-Saturn beträgt dieser in der Regel nur einen Monat, bei Otto Now hingegen drei bis sechs Monate. Den Unternehmen zufolge werden die Leih-Angebote vor allem für technische Neuheiten wie VR-Brillen oder Drohnen genutzt. Auch Smartphones sind beliebt. Bei Otto Now leihen zudem viele Kunden Haushaltsgeräte wie Wasch- oder Kaffeemaschinen. Zahlen nennen beide Unternehmen jedoch nicht.

Teuer kann es zudem bei Schäden werden: Angemessene Gebrauchsspuren bei Rückgabe sind vertraglich zwar abgesichert, bei Schäden zahlt jedoch der Mieter. Es empfiehlt sich daher, vor Abschluss des Mietvertrags zu klären, ob die eigene Haftpflichtversicherung Schäden an und Diebstähle von gemieteten Objekten abdeckt.

Kaum abgesichert, dafür weniger kommerziell unterwegs ist, wer sich auf Nachbarschaftsplattformen umschaut. Junge Unternehmen wie Peerby aus Amsterdam konzentrieren sich darauf, Menschen aus Nachbarschaften zusammenzuführen, damit sie Dinge miteinander teilen können. Stellt man eine Anfrage, wird diese sofort an alle Mitglieder der Plattform in einem bestimmten Umkreis ausgespielt. Das lohnt sich besonders in Großstädten - und ist häufig kostenlos. Im Gegensatz zu Plattformen wie Airbnb wollen die Nutzer daran nichts verdienen, sondern anderen helfen. Da sich die Leih-Historie der eigenen Nachbarschaft bis zu zwei Jahre zurückverfolgen lässt, ist außerdem direkt ersichtlich, wer schon einmal Leiter, Bohrmaschine oder Picknickdecke verliehen hat. Das größte Manko: Macht sich jemand mit dem geliehenen Gegenstand aus dem Staub, kann der Dieb kaum ausfindig gemacht werden. Einen Identitäts-Check gibt es auf Peerby nicht.

Schwierige Kamera

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(Foto: imago/MITO)

Für eine gute Foto- oder Videokamera kann man einen ganzen Monatslohn ausgeben. Umso bedauerlicher ist es, wenn das teure Gerät dann nur zur Einschulung der Tochter oder für den Urlaub aus dem Regal geholt wird. Günstiger ist es, eine Fotoausrüstung für besondere Anlässe zu mieten. Das geht bei großen Elektronikmärkten, aber auch beim klassischen Foto-Fachhändler. Doch der Praxistest zeigt: Allzu spontan sollten Hobbyfotografen sich das nicht überlegen. Etwa sieben Tage Lieferzeit benötigt zum Beispiel der Online-Anbieter Grover, der auch mit der Elektronikkette Mediamarkt kooperiert. Bei Fachhändlern wie Calumetphoto lohnt es sich, das gewünschte Gerät rechtzeitig zu reservieren und im Laden abzuholen. Denn dann kann der Hobbyfotograf eventuelle Beulen, Kratzer oder fehlende Teile direkt vor Ort melden. Besonders wichtig ist die Bedienungsanleitung. Denn leider gilt: Eine gute Kamera macht nicht automatisch gute Bilder, und teure Geräte haben oft eine komplizierte Steuerung. Der Hobbyfotograf muss sich also auch mit der geliehenen Ausrüstung beschäftigen, um schöne Bilder zu bekommen (Foto: Imago).

Luftbett statt Sofa

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(Foto: imago stock&people)

Die vorsichtige Frage des früheren Schulfreundes kam am Dienstagabend: "Du, ich suche einen Schlafplatz für Donnerstag. Könntest du wohl ...? Also nur, wenn du willst...?" Wollen, ja, das ist keine Frage. Aber die alte, etwas olle Schlafcouch hat den Umzug in die neue Wohnung nicht miterleben dürfen. Es muss also Ersatz her, eine andere Schlafcouch, zur Not eine große Luftmatratze. Und das binnen zwei Tagen. Auf der Leihplattform "Peerby" können Nutzer mit wenigen Klicks eine Umfrage starten. Alle Nachbarn im Umkreis von 5 Kilometern, die registriert sind, bekommen das Gesuch angezeigt. Und das sind offenbar ganz schön viele. Schon nach wenigen Minuten kommt das erste Angebot, es folgen drei weitere noch am gleichen Tag. Das überzeugendste ist ein handliches Luftbett, das lässt sich sogar in der U-Bahn transportieren. Eine Woche kann die vier Kilometer entfernt wohnende "Nachbarin" es entbehren. Geld möchte sie für die Leihgabe nicht, auch keinen Pfand. "Darauf basiert das System ja, dass man anderen vertraut", sagt sie. Und wer weiß: Vielleicht kann ihr ja auch jemand helfen, wenn sie bald nach einer Bohrmaschine oder einem Sonnenschirm sucht (Foto: Imago).

Fit im Wohnzimmer

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(Foto: mauritius images)

Es hat schon etwas Erleichterndes, so ohne Schrankwand, Bücherregale und Sofagarnitur durchs Leben zu gehen. Endlich genug Platz für ein temporäres Fitnessstudio im Wohnzimmer! Beim Ausleihen der Geräte gibt es allerdings zwei Probleme: Die Anlaufzeit und die Mindestmietzeit. Bei Otto-now etwa, dem Leihservice des Versandhändlers, dauert die Lieferung etwa zwei Wochen. Im mehrwöchigen Auswärtseinsatz mal eben einen Crosstrainer leihen geht also praktisch nicht, zumal die Mindestmietdauer sechs Monate beträgt. Aber für zu Hause? Kein Problem. "Wir haben bislang wenige Modelle zur Auswahl, dafür aber praktisch alles Neugeräte", sagt die Stimme im Call Center. Man liefere zumeist direkt vom Hersteller aus. Alle Achtung, dann sind zwei Wochen sogar schnell. Fitnessstudio-Leiter wissen: Die Bestellung von Neugeräten dauert in der Regel acht bis zwölf Wochen. Kostenpunkt der Leihe: Für etwa 20 Euro im Monat gibt es einen Crosstrainer, Laufbänder und Ergometer kosten um 40 Euro. Durch eine längere Laufzeit lassen sich die Mietpreise drücken. Dann allerdings würde sich je nach Modell womöglich ein Kauf lohnen (Foto: Mauritius).

Günstige Kärcherei

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(Foto: picture alliance / dpa-tmn)

Jedes Jahr im Frühling macht die Heimwerkerin klar Schiff auf ihrem Balkon im fränkischen Kleinstadtidyll. Sie pflanzt neue Blumen, holt die Möbel vom Dachboden und putzt den Dreck vom Winter weg. So sehr sie es auch genießt, das erste Mal im Jahr auf der Sonnenliege zu entspannen - fast genauso viel Freude bereitet es ihr, den dreckigen Boden der Terrasse mit dem Hochdruckreiniger blitzeblank zu spritzen. Allerdings ist das gute Teil nicht gerade günstig, etwa 100 Euro kostet ein Gerät mittlerer Qualität im Handel. Ganz schön viel für eine halbe Stunde Spaß im Jahr. Weil das Teil dazu sperrig ist und auf dem Dachboden viel Platz braucht, leiht die Heimwerkerin es Frühling für Frühling beim Baumarkt um die Ecke. Dass dies keine so kluger Idee war wie gedacht, wurde ihr erst in diesem Frühling bewusst. Denn der Gärtner, der schon den Vorgarten pflegt, kärchert den schmutzigen Balkonboden schneller und für weniger Geld, als die Leihe kostet. Sie hat nun die Wahl: Do-it-yourself-Gaudi mit dem Hochdruckreiniger für ein paar Euro mehr oder von der Sonnenliege aus dabei zusehen. Eine knifflige Entscheidung (Foto: dpa).

Turbo-Grillen

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(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Brotschneidemaschinen, Snowboardschuhe, Kochtöpfe, Einrad: Die Regale im Berliner Leih-Laden "Leila" drohen unter dem Sortiment zusammenzubrechen. Das erste Geschäft Deutschlands, das seine Waren an die Kunden verleiht statt sie zu verkaufen, befindet sich im wohlhabenden Stadtteil Prenzlauer Berg. Wer ausleihen will, muss einen Euro im Monat zahlen und einen Gegenstand überlassen. Dies sei kein soziales Projekt, sagt Diane, die den Laden mitgegründet hat. Es gehe um Recycling. Um eine Alternative zur Wegwerfgesellschaft. Aus einer Kiste, in der sie einen Grill aufbewahrt, zieht Diane ein Gerät, das einem Teppichklopfer ähnelt. "Ein elektrischer Grillanzünder", sagt sie. "Den schiebt man unter die Kohle und dann geht das total schnell." Eine Woche später bedeckt ein Haufen Holzkohle die heiße Kelle. Sofort steigt Rauch auf, der Stahl-Klopfer glüht rot zwischen den schwarzen Brocken. Innerhalb von Minuten kann man grillen. Beeindruckend. Spätestens Anfang Juni will Diane den Anzünder zurück. Da feiert sie das fünfte Jubiläum des Leih-Ladens. Hauptsache, bis dahin hat auch jemand den Grill zurückgebracht (Foto: dpa).

Viele Start-ups sind allerdings mit genau dieser Idee in den vergangenen Monaten gescheitert, darunter das Hamburger Start-up Niriu. In Zeiten, in denen es über Weiterverkaufsplattformen wie Ebay denkbar einfach ist, Gebrauchtes zu kaufen und anschließend wieder zu verkaufen, scheint das Leihen von Alltagsgegenständen nicht reizvoll genug, so die Gründer damals. Fest auf dem Miet-Markt etabliert hat sich hingegen das Start-up Erento: Dort gibt es nicht nur Hochdruckreiniger und Kettensägen, sondern auch einen Minibagger oder Gabelstapler zu leihen. Für ein außergewöhnliches Leiherlebnis.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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