Lebensversicherung:Plötzlicher Reichtum

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Wird die Lebensversicherung fällig, muss eine Entscheidung her: Ausgeben, verschenken, eine Sofortrente abschließen?

Von Berrit Gräber, München

Wie Millionen Bundesbürger, hat auch Christine Maier (Name geändert) mehr als 30 Jahre lang konsequent auf diesen Tag hin gespart. Jetzt, kurz vor ihrem 60. Geburtstag, ist es endlich so weit: Die Lebensversicherung wird fällig - und die Münchnerin mit einem Schlag um gut 115 000 Euro reicher. Das Geld aus dem privaten Altvertrag kommt steuer- und abgabenfrei aufs Konto. Doch die bevorstehende Auszahlung macht der Freiberuflerin zu schaffen. Zum einen bekommt sie wegen stark gesunkener Überschussbeteiligungen mehr als 20 000 Euro weniger, als bei Vertragsabschluss prognostiziert. Außerdem weiß sie noch nicht, wie sie das Geld weiter investieren soll. Sie will möglichst lang davon zehren können. Das ist eine echte Herausforderung im Dauerzinstief. Also: Wohin mit dem Geld?

Vor dieser schwierigen Entscheidung stehen jährlich viele Hunderttausend Sparer, die - meist im Alter von Anfang 60 - plötzlich über die weitere Verwendung hoher Summen entscheiden müssen. Für die meisten geht es um richtig viel Geld. Insgesamt zahlten die deutschen Lebensversicherer allein im vergangenen Jahr gut 84,4 Milliarden Euro an ihre Kunden aus, so der Versicherungsverband GDV in Berlin. Das macht 231 Millionen Euro pro Tag. Für Kunden, die tatsächlich 30 Jahre lang die regelmäßigen Einzahlungen durchgehalten haben, sind es im Schnitt knapp 80 000 Euro, die dann plötzlich zur Überweisung anstehen, wie der Branchendienst Map-Report berechnet hat. Im Vergleich dazu muss Christine Maier mit noch mehr Geld jonglieren, das es zu erhalten und möglichst zu mehren gilt.

Ginge es nach ihrer Assekuranz, dann sollte sie möglichst die ganze Summe umgehend wieder in eine Rentenversicherung stecken. Der Versicherungsvertreter saß bereits bei ihr im Wohnzimmer. Sein Angebot verspricht eine lebenslange Absicherung: Fließt die Auszahlung als Einmalbetrag in einen Sofortrenten-Vertrag, bekommt sie Monat für Monat eine Rente überwiesen, sicher und garantiert bis zu ihrem Tod. Ohne Gesundheitsprüfung. Für 100 000 Euro bekäme sie monatlich eine Mindestrente von etwa 320 Euro in Aussicht gestellt. Noch nicht dazugerechnet sind die Überschüsse, welche die Versicherung in Zukunft mit ihrem Geld erwirtschaften will. Zugreifen oder ablehnen?

Manche finanzieren mit ihrer Lebensversicherung eine Karibik-Kreuzfahrt, andere sparen lieber. (Foto: Chris Melzer/dpa)

Nach den neusten Berechnungen von Finanztest gibt es spürbar bessere Sofortrentenangebote am Markt. Vergleichen sei wichtig, sagt Test-Expertin Katharina Henrich. Grundsätzlich haben aber alle Offerten einen dicken Haken, wie die Fachfrau betont: Der Kunde muss mindestens um die 90 Jahre alt werden, damit sich der Kapitaleinsatz auch wirklich lohnt. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt für Männer laut Statistischem Bundesamt aber bei nur etwa 78 Jahren, für Frauen bei gut 82 Jahren. "Das Produkt ist eine Wette auf ein sehr langes Leben", warnt Merten Larisch, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Bayern. Nur wer so alt wird wie Ex-Kanzler Helmut Schmidt oder Schauspieler Johannes Heesters, für den wird die Sofortrente tatsächlich zum Geschäft. Bei den anderen verdient letztlich vor allem die Versicherung.

Der Versicherer würde die Summe am liebsten gleich wieder selbst einstreichen

Sehr viel mehr als ein Prozent Rendite, sei damit jedoch ohnehin nicht zu erzielen, winkt Larisch ab. Da helfen auch die viel beschworenen Überschüsse nichts, die zusätzlich in Aussicht gestellt werden. Sie hängen von der Zinslage am Markt, von der Börse, den Anlagegeschäften des Versicherers und anderen Faktoren ab. Das Plus kann, muss aber nicht fließen. Überschussprognosen sollten niemals den Ausschlag zur Unterschrift geben, mahnt Larisch zur Vorsicht. Wer eine Sofortrente außerdem abschließt, gibt viel Geld aus der Hand. An die Summe kommt der Verbraucher nicht mehr ran. Was Anleger wie Christine Maier außerdem bedenken müssen: Sterben sie früh, ist ihr Kapital verloren. Die Erben bekommen davon nichts. Sollen die Angehörigen abgesichert werden, muss die Extra-Todesfall-Leistung meist teuer erkauft werden.

Das Geld selbst ausgeben oder den Enkeln schenken - das können durchaus Optionen sein, sagt Larisch. Wer wie Christine Maier aber gern ein kleines Zubrot zur Altersrente hätte, flexibel bleiben will und an die Kinder denkt, der solle das Geld lieber abseits einer Versicherung anlegen, rät der Verbraucherschützer. Zum Beispiel mit Festgeldkonten oder einem Bankentnahmeplan. In dieser Niedrigzinsphase ist damit jedoch kaum Rendite zu machen. Risikoscheue Anleger hätten auch die Möglichkeit, Geschäftsanteile bei Genossenschaftsbanken zu zeichnen, empfiehlt Vermögensberater Andreas Görler aus Berlin.

Für manche Mütter kann es sinnvoll sein, Geld in die Rentenkasse nachzuzahlen

Katharina Henrich von Finanztest hat noch eine ungewöhnliche Alternative parat: So kann es sich für Mütter lohnen, eine Einmalzahlung in die gesetzliche Rentenkasse zu investieren. Das gilt für alle, die vor 1955 geboren wurden und noch nicht auf fünf Jahre Mindestversicherungszeit für einen Rentenanspruch kommen. Wer 2015 für ein Jahr Lücke beispielsweise den Mindestbeitrag von gut 1020 Euro nachzahlt, sichert sich damit mehr als 100 Euro Rente lebenslang. Maximal sind Einzahlungen von 13 576 Euro möglich.

Wer mit seinem Geld aus der Lebensversicherung Gewinn machen möchte, für den "geht jedoch kein Weg an der Börse vorbei", sagt Larisch. Dies sei auch für Senioren sinnvoll. "Ganz ohne Beimischung von Aktien oder aktienähnliche Anlageformen ist keine wirklich vernünftige Rendite erzielbar", sagt Manfred Rath von der KSW-Vermögensverwaltung in Nürnberg. Da 60-Jährige statistisch gesehen derzeit noch eine Lebenserwartung von etwa 20 Jahren haben, sei das Börsenrisiko überschaubar. Mit einer vorsichtig austarierten Anlagemischung seien Gewinne von vier bis fünf Prozent im Jahr realistisch.

Für Christine Maier ist die Entscheidung nach einem Beratungstermin beim Profi gefallen: Eine Sofortrente kommt für sie nicht in Frage - niemand in ihrer Familie erreichte bisher die 96 Lebensjahre von Altkanzler Schmidt. Sie wird sich mit gut 30 Prozent ihrer Auszahlung aufs Börsenparkett wagen und Indexfonds ETFs kaufen. Der Rest kommt erst einmal für fünf Jahre auf Festgeldkonten, die derzeit knapp zwei Prozent Zinsen bieten, sowie in die Tilgung eines noch offenen Kredits. Eine lebenslange Rentengarantie erhält sie damit zwar nicht. Sie wahrt aber höhere Gewinnchancen, geht trotzdem noch auf Nummer sicher und kann schnell flüssig werden, wenn es mal eng wird.

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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