Lebensmittelbetrug:Europas Verbraucher sollen vor Ekel-Essen geschützt werden

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  • Internationale Ermittler fanden zuletzt in vielen Ländern tonnenweise verdorbene, gepanschte oder gefälschte Lebensmittel.
  • Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt schlägt nun auf europäischer Ebene vor, Referenzzentren für die Echtheit von Lebensmitteln zu gründen.

Von Kristiana Ludwig und Vivien Timmler, Berlin/München

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hat im europäischen Agrarrat vorgeschlagen, Referenzzentren für die Echtheit von Lebensmitteln zu gründen. Das berichteten Mitarbeiter seines Hauses am Mittwoch im Landwirtschaftsausschuss des Bundestags. Hintergrund ist eine Rekordmenge gefälschter Nahrungsmittel und Getränke, die Ermittler aus 57 Nationen zwischen November und Februar entdeckt hatten. Weltweit waren 10 000 Tonnen und eine Million Liter manipulierter Waren aufgetaucht, überwiegend Zucker, Oliven, Fleisch und Alkohol. In Deutschland gab es kaum Funde. Hier wurden allerdings auch nur einige hochpreisige Fischarten kontrolliert, nämlich 40 Tonnen japanischer Aal, 6,7 Tonnen Rotbarsch und insgesamt 2, 3 Tonnen verschiedener Snapperarten. In letzteren wurden Giftstoffe nachgewiesen. Zudem wurden bei 24 Zwischenhändlern und in 21 Restaurants Dokumente überprüft. Die Ermittler postierten sich an Grenzeingangsstellen am Hamburger Hafen und am Frankfurter Flughafen.

Koordiniert wurde die groß angelegte Aktion "Operation Opson V" von den internationalen Sicherheitsbehörden Europol und Interpol. Sie hatten es den EU-Mitgliedsstaaten selbst überlassen, worauf sie die Kontrollen ausrichten wollten, auch die Teilnahme war freiwillig. Deutsche Polizeibehörden hatten sich der Aktion zum ersten Mal angeschlossen. Hier hatten sich allerdings nur vier der 16 Bundesländer beteiligt: Hamburg, Hessen, Thüringen und Bayern. Lebensmittelkontrollen sind in Deutschland Ländersache.

Besonders bei verarbeiteten Waren ist die Gefahr hoch

Es sei jedoch ein Fehler zu glauben, dass es hierzulande keine gefälschten Lebensmittel gebe, nur weil bei den Kontrollen keine gefunden wurden, warnen Verbraucherschützer. "Das europäische Überwachungssystem ist zwar gut, aber gerade die Hersteller müssen die Eingangskontrollen weiter verschärfen", sagt Daniela Grehl von der Verbraucherzentrale Bayern. Da zudem lediglich Stichproben stattfänden, könne man den Import von Fälschungen nach Deutschland nicht ausschließen.

Besonders bei verarbeiteten Lebensmitteln gilt die Gefahr als hoch, dass Teile der Inhaltsstoffe von gefälschten Lebensmitteln stammen. Beispielsweise wurden im Sudan fast neun Tonnen mit Kunstdünger gestreckter Zucker gefunden. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass dieser hierzulande als gewöhnlicher Haushaltszucker in den Regalen steht, da in Deutschland die Betriebe Südzucker, Nordzucker und Pfeifer & Langen die Zuckerproduktion fast gänzlich unter sich aufteilen; Süßwarenproduzenten und Getränkehersteller beziehen jedoch mehr als 15 Prozent ihres benötigten Zuckers aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Der Sudan ist eines davon.

Auch die europäischen Außengrenzen haben viele der entdeckten Fälschungen trotz eines verbesserten EU-Schnellwarnsystems passieren können. So wurden 85 Tonnen gefärbte Oliven in Italien, mehrere Kilogramm Affenfleisch in Belgien und tausende Liter gepanschter Alkohol in Griechenland gefunden. "Was einmal im europäischen Markt ist, zirkuliert hier auch", warnt Grehl, "der Weg nach Deutschland ist dann nicht mehr weit." Potenziell betroffene Produkte müssten daher in Zukunft noch genauer beobachtet werden.

Landwirtschaftsminister Schmidt hat im Oktober 2015 einen Expertenbeirat Lebensmittelbetrug im Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit angesiedelt, der nun Amt und Ministerium in ihrer Arbeit unterstützen soll. Für die verbraucherpolitische Sprecherin der Linken, Karin Binder, reicht das nicht aus: "Die amtliche Lebensmittelüberwachung soll für überregional beziehungsweise international handelnde Unternehmen auf die Bundesebene übertragen werden", sagt sie. Aus dem Ministerium heißt es: Die Referenzzentren "sollen Fachwissen und praktisches Know-how" vermitteln.

© SZ vom 14.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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:10 000 Tonnen gefälschte Lebensmittel - und nichts davon in Deutschland?

Das Affenfleisch wurde in Belgien gefunden, falscher Zucker im Sudan. Verbraucherschützer fürchten jedoch, dass auch hierzulande Fälschungen in den Regalen stehen.

Von Vivien Timmler

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