Künstliche Intelligenz:Die verkannte Chance

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Rocket-Internet-Gründer Oliver Samwer fordert Fortbildungen, um die Scheu vor Robotern und intelligenten Computern zu nehmen. (Foto: Stephan Rumpf)

Viele haben Angst vor dem Wandel durch digitale Technologien. Dabei bringt der Wandel auch viel Gutes.

Von Helmut Martin-Jung

Es war einmal ein kleines Onlineschuhhaus. Eines, das mit einer verteufelt guten Werbekampagne ("Schrei vor Glück") dem sonst so körperlosen Onlinehandel ein Stück Emotionalität verlieh. Und das nicht ganz nebenbei damit auffiel, dass es auch das so simpel wie nur möglich regelte, was das Schuhekaufen im Netz schwierig macht: Man muss die Dinger ja probieren, doch bei Zalando kann man, was nicht passt oder gefällt, zurückschicken. Und zwar sehr bequem. Über Jahre wuchs Zalando zwar, doch Gewinne - Fehlanzeige. Aber auch das ist vorbei. Heute ist Zalando, gemessen an seinem Börsenwert von etwa zehn Milliarden Euro, Deutschlands größter Handelskonzern, und ist mehr wert als die Commerzbank oder der Energieversorger RWE. Doch auch das ist vermutlich nur der Anfang. Denn das Unternehmen will mehr. Es könnte beispielsweise zu einer europaweiten Plattform für Modeunternehmen werden, ähnlich wie Amazon es für viele andere Branchen bereits geworden ist.

Doch nicht nur der Aufstieg von Zalando zeigt: Technologien wie Datenanalyse und künstliche Intelligenz können als unglaublich beschleunigende Kräfte wirken. Bei Zalando etwa sind schon heute die Daten, die das Unternehmen sammelt, ein ganz entscheidender Faktor. Nicht nur das, was die Kunden kaufen oder zurückschicken, auch was sie auf der Website des Unternehmens wie lange ansehen, wird erfasst und fließt ein in einen gewaltigen Datenpool, für den sich auch die kleineren Anbieter unter dem Dach Zalandos interessieren, die mit ihrem kleineren Kundenstamm niemals an diesen Schatz gekommen wären.

Solche riesigen Datensammlungen auszuwerten, "das kann die Welt verändern", sagt Charles-Édouard Bouée, der Vorstandschef der Beratungsgesellschaft Roland Berger beim SZ-Wirtschaftsgipfel, bei dem er unter anderem mit Oliver Samwer auf dem Podium saß. "Daraus ergeben sich gewaltige Chancen für die Wirtschaft."

Das sahen auch die anderen Podiumsteilnehmer so, Ann-Kristin Achleitner, Wirtschaftsprofessorin und Aufsichtsrätin in mehreren großen Unternehmen, sowie Tim Clark, Chef der Fluggesellschaft Emirates. Allerdings, so warnte der Brite Clark sehr eindringlich: "Das europäische Establishment hat lange nicht darauf gehört, was das Volk denkt." Die Politik müsse erst einmal wieder verstehen lernen, was die Bürger wirklich bewege, bevor man sie mit Herausforderungen wie künstlicher Intelligenz und Robotern konfrontiere. Diese würden viele, die in eher einfachen Berufen arbeiteten, als Bedrohung empfinden, nicht als Chance. "Warum fühlen sich so viele im Abseits?", fragte er. Das müsse die Politik herausfinden und dieser negativen Stimmung begegnen.

Aber wie? Oliver Samwer, Chef der Start-up-Schmiede Rocket Internet, gibt zu, dass sich vor allem ältere Beschäftigte in klassischen Industrien davor fürchteten, durch Roboter oder intelligente Computer ersetzt zu werden. Wenn die Regierungen aber investierten, zum Beispiel in Fortbildung, dann lasse sich das managen, glaubt der Internet-Unternehmer.

Ann-Kristin Achleitner geht einen Schritt weiter: Künstliche Intelligenz werde zwar viele Jobs ersetzen, "aber es entwickelt sich auch Neues". Der Bildungssektor müsse sich verändern. Die Ausbildung an den Hochschulen werde starken Veränderungen unterworfen werden, zum Beispiel durch Onlinekurse, aber nur eine Ausbildung zu absolvieren, sei heute nicht mehr genug. Lebenslanges Lernen hält sie für unverzichtbar, auch die älteren Beschäftigten müssten dabei mitgenommen werden.

Zalando ist das Paradepferd aus dem Stall Rocket Internet der Brüder Marc, Oliver und Alexander Samwer. Mehr als 150 Unternehmen umfasst ihr Reich: Vom deutschen Start-up Westwing, einem Onlinehändler rund ums Wohnen, bis hin zu Zalando-Klonen in Indien und Südostasien, ist vieles dabei. Aber weniges darunter ist profitabel oder zumindest auf einem Kurs, der es für einen Käufer interessant machen würde.

Oliver Samwer wird trotzdem nicht müde, um Vertrauen für sein Internet-Imperium zu werben. Es ist das einzige, das den meisten einfällt, wenn Vergleiche mit den USA oder auch mit Asien gezogen werden. An der Börse ist es mit der Aktie bergab gegangen, im Vergleich zum Höchststand kurz nach dem Börsengang im Oktober 2014, hat sie gut die Hälfte ihres Wertes verloren.

Aber hat Europa noch eine Chance, wenn Großbritannien die EU verlassen will und der künftige US-Präsident eine eher protektionistische Politik betreiben wird? Oliver Samwer gibt Europa durchaus eine Chance. "Jedes große Internetunternehmen wurde erst vor zehn oder 15 Jahren gegründet, früher hätte man doch der Sohn von Krupp sein müssen, um so etwas zu schaffen." Am Ende, ist er sich sicher, habe der Fortschritt in den meisten Fällen mehr Jobs geschaffen, als er vernichtet habe. Der lebenserfahrene Airline-Chef Clark pflichtet ihm bei. "Die Digitalisierung wird mehr Jobs schaffen, da bin ich sehr optimistisch. Wir kommunizieren es nur nicht gut."

© SZ vom 21.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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