Künstliche Intelligenz:Die Maschinendenker

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Hiro gegen AlphaGo, Frankfurt gegen Silicon Valley - nun tritt das deutsche Unternehmen Arago in den Wettkampf um die beste künstliche Intelligenz mit Google. Wer wird gewinnen?

Von Kathrin Werner, New York

Chris Boos kann nicht gut sehen. Er blinzelt aus himmelblauen Augen in die Welt, aber in seinem Gehirn kommt nicht viel davon an, was vor diesen Augen passiert. Wenn Ärzte seine Gehirnströme messen, ist im visuellen Cortex, der Sehrinde, nicht viel los. Aber jetzt kommt das Interessante, sagt Boos - und es hat direkt mit seinem Arbeitsgebiet der künstlichen Intelligenz zu tun: Wenn er Mathe-Aufgaben löst, leuchtet seine Sehrinde im Gehirn plötzlich wie verrückt auf. Boos kennt sich aus mit dem Gehirn, weil sein Unternehmen Arago es so gut wie möglich nachbauen will. "Wir wollen eine Maschine entwickeln, die intelligent denkt und handelt", sagt er. "Dazu müssen wir erst einmal verstehen, was das bedeutet und wie das menschliche Gehirn arbeitet."

Das Denkorgan ist unglaublich komplex, sagt er, verschiedene Bereiche sind ganz unterschiedlich aufgebaut, können verschiedene Aufgaben übernehmen - und von Aufgabe zu Aufgabe wechseln. Menschen lernen von Erfahrungen anderer, sie können logische Schlüsse ziehen, riesige Datenmengen speichern und verbrauchen dabei im Vergleich zu einem Computer noch nicht einmal besonders viel Energie, sagt Boos. "Es ist schlicht unmöglich, das Gehirn zu reproduzieren."

"Es ist schlicht unmöglich, das Gehirn zu reproduzieren", sagt der Erfinder Chris Boos

Grund zum Aufgeben ist das nicht, im Gegenteil, es feuert den 43-Jährigen an. Er ist Deutschlands wohl erfolgreichster Artificial-Intelligence-Erfinder, seine Frankfurter Firma Arago verkauft bereits künstliche Intelligenz an große Unternehmen, die damit ihre IT-Abteilungen von vielen Routinearbeiten befreien können. Jetzt hat er seinem Maschinengehirn Hiro eine Aufgabe gestellt, mit der das menschliche Denken schon stark gefordert ist: Hiro soll das Computerspiel Civilization spielen und dabei die besten Menschen besiegen.

Vor einigen Monaten hat AlphaGo, ein Maschinengehirn der Google-Tochter Deepmind, gegen den besten menschlichen Spieler im asiatischen Brettspiel Go gewonnen. Anders als etwa Schach-Computer, die nur Spielzüge auswendig lernen, entwickelten die Google-Programmierer Algorithmen für AlphaGo, die selbständig lernten, indem der Rechner Hunderte Millionen Mal gegen sich selbst spielte. Auch AlphaGo ist dem Gehirn nachempfunden, es besteht aus einem vernetzten Signalsystem, einem künstlichen neuronalen Netzwerk. Wenn AlphaGo eine Entscheidung traf, die sich als richtig erwies, sendete dies eine positive Nachricht an das Signalsystem. Es lernte von einem gewissen Zeitpunkt an allein und gewann mit Spielzügen, auf die kein Mensch gekommen wäre. Go ist eine Sache der Intuition, es gibt mehr Auswahlmöglichkeiten als Atome im Universum. Kaum jemand dachte, dass die künstliche Intelligenz gewinnen könnte.

Nun tritt ein deutsches Unternehmen in den Wettkampf um die beste künstliche Intelligenz mit Google. "Civilization ist noch komplexer als Go, es gibt noch mehr Auswahlmöglichkeiten", sagt Boos. "Und wir geben Hiro weniger Zeit dafür, das Spiel zu lernen, als AlphaGo hatte." Hiro steht für "Human Intelligence Robotically Optimized", also "roboteroptimierte menschliche Intelligenz", aber das stimmt natürlich nur zum Teil, denn Boos weiß, dass das Maschinengehirn mehr schlecht als recht kopiert, wie Denken funktioniert. Aber Hiro ist gut darin, die Konsequenzen von einer Entscheidung zu berechnen. Und das hilft bei dem sehr komplexen Spiel Civilization. Die Spieler simulieren über mehrere Jahrtausende eine menschliche Gesellschaft, sie kontrollieren Politik, Städtebau, Wirtschaft, Militär und Forschung. Je weiter die Zivilisation fortschreitet, desto mehr Entscheidungen müssen sie treffen, und alle haben langfristige Auswirkungen, welche Gesellschaft das Spiel gewinnt.

Seit drei Wochen bringt das Arago-Team Hiro die Regeln bei. Inzwischen hat die Computersoftware sie schon so weit verstanden, dass sie gegen richtige Menschen antreten kann. Ab sofort spielt Hiro gegen 30 der besten Civilization-Spieler. Nach jedem Spielzug fragt der Computer die Menschen, warum sie ihre Entscheidungen getroffen haben und speichert ihre Überlegungen in der Software ab.

So wird Hiro immer schlauer, bis er im Oktober im Finale gegen den besten Spieler antritt. "Wir werden gewinnen", sagt Boos. Warum ist das so wichtig? Weil er den Konzernmanagern, die seine Software kaufen, eine Anwendung zeigen kann, die sie mehr interessiert als Routinearbeiten ihrer IT-Abteilungen, sagt er. Aber es geht vor allem darum, zu zeigen, wie Computer das Denken lernen. Dazu braucht es einen komplexen, aber begrenzten Rahmen, für den Maschinen sehr gezielte Fähigkeiten erwerben. Würde man das Können von AlphaGo, vor allem gutes Sehen, mit der strategischen Planung von Hiro verknüpfen, käme man einer wirklich intelligenten künstlichen Intelligenz schon viel näher - aber so gut wie das menschliche Gehirn wäre sie trotzdem nicht, weil sie nur einen Bruchteil davon kann, sagt Boos.

So schnell übernehmen Maschinen also nicht die Macht. "Die Ängste und der Hype da draußen", sagt der Arago-Chef, "haben auch damit zu tun, dass viele nicht so richtig verstehen, womit wir es bei künstlicher Intelligenz überhaupt zu tun haben."

© SZ vom 01.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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