Künstliche Intelligenz:Die große Sockenfrage

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Was verkauft sich besser: Vom Algorithmus oder von Menschen entworfene Socken? Und was bringt es, wenn man es weiß? (Foto: Cole Bennetts/Getty Images)

Wer bestimmt, was wir künftig anziehen? Roboter oder Stylisten? Der Online-Herrenausstatter Outfittery startet dazu ein kleines Experiment.

Von Michael Kläsgen, München

Es geht nur um Socken, aber im Grunde genommen ist es eine Frage, die derzeit viele Menschen umtreibt, darunter Onlinehändler, Anwälte, Versicherer, Entwickler von autonomen Fahrzeugen und natürlich auch Millionen Kunden: Wer ist besser, Mensch oder Maschine? Oder im konkreten Fall: Was verkauft sich von Dezember an besser? Die Socke, die Stylisten von Outfittery entworfen haben? Oder die Socke, die ein Algorithmus aus den Daten der 500 000 Stammkunden des Online-Herrenausstatters entwickelt hat?

Bei dem Berliner Start-up ist man selbst gespannt, wie die Antwort ausfallen wird, ohne dass die Gründerinnen Julia Bösch und Anna Alex für sich in Anspruch nehmen würden, damit das große Mensch-Maschine-Rätsel zu lösen. Wobei: Für sich im Kleinen haben sie die Frage schon geklärt. "Wir glauben nicht, dass künstliche Intelligenz die Menschheit übernehmen wird. Wir glauben an die Kombination von künstlicher Intelligenz und menschlichem Dazutun," sagt Bösch.

Daraus kann man schlussfolgern, dass die Algorithmus-Socke erstens keine Blaupause für den Rest des Outfittery-Outfits von der Hose bis zum Hut werden wird. Und zweitens, dass die etwa 150 Stylisten der Firma, die meist Frauen sind und die Hälfte der Mitarbeiter repräsentieren, vorerst nicht arbeitslos werden. Im Gegenteil: Auf sie kommt es in Zukunft nach Einschätzung von Bösch sogar besonders an. "Stylisten werden bei uns wichtiger bleiben als Algorithmen", sagt sie. "Maschinen können nur das wiederholen, was es in der Vergangenheit gab. Also zum Beispiel für Bestandskunden auf der Basis aller Informationen die Kleidungsstücke herausfiltern, die diesem Kunden wahrscheinlich am besten gefallen. Aber der Stylist kann ein mutiges Teil dazulegen, auf das keine Maschine gekommen wäre, das aber den Kunden überzeugt."

Selbstverständlich ist das vorläufige Bekenntnis zu den Stylisten nicht. Die Konkurrenz setzt den Fokus klar auf künstliche Intelligenz (KI) ohne menschliche Stylisten. KI gehört zur Mode inzwischen wie Nadel und Faden. Sie soll helfen, den neusten Trend aufzuspüren. Viele Modehändler nutzen sie, um Kunden die passende Größe oder Lieblingsfarben vorzuschlagen. Stitch Fix, der US-Abo-Dienst für Damenmode, analysiert beispielsweise das Nutzerverhalten seiner Kundinnen in Social Media und empfiehlt ihnen daraufhin bestimmte Stilrichtungen.

Der Allesverkäufer Amazon, der sich zunehmend auch in der Mode ausbreitet, scheint in KI sogar einen Schlüssel zu sehen, den Weltmarkt zu knacken. Amazon nutzt zum einen ein Maschinenlernprogramm aus Israel, das Outfits danach beurteilt, ob sie modisch sind. Auf diese Weise will der US-Konzern verstehen, wie Modetrends entstehen und wieder vergehen und dieses Wissen entsprechend für seine Modelinie Amazon Find nutzen.

Zum anderen lässt der Versandhändler ein Team in San Francisco an einem Algorithmus basteln, der wie ein Stylist Mode designt und sie seinen Kunden empfiehlt, nachdem er Bilder verschiedener Modestile etwa auf Instagram oder Pinterest ausgewertet hat. KI ersetzt in dem Fall den Stylisten. Ein Ansatz, den die Experten des Londoner Centre for Fashion Enterprise (CFE) für zum Scheitern verurteilt halten. "Ich glaube nicht, dass man die menschliche Kreativität je durch eine Maschine ersetzen kann", sagt Ishwari Thopte vom CFE.

Julia Bösch drückt das so ähnlich aus: "Mode ist ein sehr emotionales Thema, und die menschliche Komponente ist nicht durch Maschinen ersetzbar", sagt sie. Da spielen Fragen mit hinein wie: "Was trage ich? Was drücke ich darüber aus? Wer bin ich? Da sind viele irrationale Komponenten dabei." Sie lassen sich am besten im persönlichen Gespräch fassen, das bei Outfittery am Anfang eines jeden Kundenkontakts steht: das Telefonat. So unmittelbar kann gegenwärtig noch kein Fashion Robot in Kontakt mit dem Kunden treten, jedenfalls wenn der Stylist klug fragt. Deswegen nennt sich Outfittery selbst auch nicht Online-Herrenausstatter, sondern Personal Shopping Service, aber so ähnlich macht das die Konkurrenz von Modomoto, Stitch Fix und Amazon auch.

Wem gehört also die Zukunft, Mensch oder Maschine? Und gilt das für ein T-Shirt genauso wie für einen Anzug? Bösch sagt: "Der Stylist deckt mit seinen persönlichen Fragen den Teil ab, den KI noch nicht leisten kann." Fußballer erhalten dann Jeans mit breiteren Beinen, Haustierbesitzer wetterfeste Kleidung und Väter mit Kleinkindern keine weiße Hemden. Nur: Irgendwann wird KI auch das leisten können. Schon jetzt merkt sie sich die vielen Kundenwünsche besser als ein Mensch und hilft, Einkauf und Lagerbestand zu optimieren. Warum sollte sie nicht auch designen können? Das Socken-Experiment wird eine Antwort liefern - aber wohl nicht des Rätsels Lösung.

© SZ vom 29.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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