Krach bei Eisenbahngewerkschaft:Transnet-Chef Krauß tritt ab

Lesezeit: 3 min

In der Eisenbahngewerkschaft Transnet rumort es. Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr gibt es einen Wechsel in der Top-Position.

Michael Bauchmüller und Detlef Esslinger

Es war ein Rückzug mit Ansage. Seit Wochen war Lothar Krauß abgetaucht. Der Chef der Bahn-Gewerkschaft Transnet hangelte sich von Gremium zu Gremium, für Medien war er nicht zu sprechen, und für den Vorstand der Deutschen Bahn auch nicht. Am Mittwoch, vier Tage vor Beginn des Gewerkschaftstages in Berlin, gab er auf - nach gerade mal einem halben Jahr an der Spitze. Seine Begründung: Die Gewerkschaft erlebe gerade eine interne "Auseinandersetzung, die an Härte einen traurigen Höhepunkt gesetzt hat". Im Zentrum der Auseinandersetzung stand: der Vorsitzende selbst. Beim Gewerkschaftstag soll nun Alexander Kirchner, sein Vize, als Nachfolger antreten.

Transnet-Chef Lothar Krauß will zur inhaltichen Geschlossenheit beitragen und stellt seinen Posten zur Verfügung. (Foto: Foto: AP)

Krauß, 52, war im Mai plötzlich an die Spitze der Gewerkschaft gerückt. Mit einiger Chuzpe war seinerzeit sein Vorgänger Norbert Hansen als Arbeitsdirektor in den Vorstand der Deutschen Bahn eingezogen. Wer schon immer vermutet hatte, Hansen sei weniger der Fürsprecher der Eisenbahner als der von Bahnchef Hartmut Mehdorn, fühlte sich bestätigt. Krauß allerdings galt auch nie als sonderlich renitent gegenüber der Bahn. Dass Transnet zusammen mit der Partnergewerkschaft GDBA kürzlich für die nächste Tarifrunde gleich zehn Prozent mehr Lohn für die Bahn-Beschäftigten verlangte, war dann plötzlich sehr offensiv. Es dürfte auch als Botschaft an die Basis gemeint gewesen sein.

Nichts als Geeiere

Doch das Echo war gering. Wer sich unter Funktionären der Gewerkschaft nach den Wahlchancen von Krauß umhörte, der erhielt Geeiere zur Antwort: "Da will ich den Delegierten nicht vorgreifen", "Dazu will ich mich nicht äußern", so klangen die Antworten, und auch die nur versehen mit der Bitte, nicht mit Namen zitiert zu werden. Im Transnet-Bezirk Nord gab es kürzlich eine Probeabstimmung, Ergebnis: 75 Prozent - gegen Krauß. Nach SZ-Informationen fand der Kandidat auch bei den Kollegen im Westen wenig Anhänger, "und im Osten sah es noch düsterer aus", heißt es in Gewerkschaftskreisen. Vorsichtshalber rechnete man schon einmal aus, auf wie viel Stimmen der Chef kommen könnte. Überschlägig waren es an die 56 Prozent - für einen Gewerkschaftsboss ein katastrophaler Wert. Am Mittwoch trat die Gewerkschaftsspitze deshalb zusammen, zur Sitzung des Hauptvorstands, zur Krisensitzung. Ein Treffen, bei dem Bahn-Arbeitsdirektor Hansen mit seinen Ex-Kollegen die anstehende Tarifrunde diskutieren wollte, sagte Krauß ab.

Lesen Sie weiter, worin das mangelnde Vertrauen begründet ist.

Das mangelnde Vertrauen dürfte auch mit dem Kurs der Gewerkschaftsspitze bei der Bahn-Privatisierung zusammenhängen. Über Jahre hinweg hatte Transnet kühn an der Seite des Bahn-Managements gestanden - während viele Mitglieder nicht verstanden, was dies der Belegschaft eigentlich bringen soll. Die Situation für den Gewerkschaftsvorstand war damit schon heikel genug, bevor er sich im Frühjahr und Sommer unmöglich machte. Zuerst handelte noch Hansen mit der Bahn eine Beschäftigungssicherung bis 2023 aus, von der sich rasch herausstellte, dass sie keine war. Unmittelbar darauf wechselte Hansen auf den hochdotierten Bahn-Posten. Und dann wurde bekannt, dass der Bahnvorstand - also auch Hansen - im Fall eines Börsengangs eine "Event-Tantieme" erhalten soll, und dies sogar bei einem mauen Erlös von 3,5 Milliarden Euro. Ausgerechnet Hansens Nachfolger Krauß gehört dem vierköpfigen Personalausschuss des Aufsichtsrats an, der die Boni abnickte.

Tödliche Tantieme

Seither war der neue Chef nicht mehr aus dem Schlingern gekommen. Erst äußerte er sich tagelang gar nicht. Dann verteidigte er die Tantieme. Dann forderte er eine Sondersitzung des Aufsichtsrates - zu der es aber nie kam. In einem Brief an seine Funktionäre versuchte Krauß sich Ende Oktober zu rechtfertigen. Doch er redete zwei Seiten lang um den Brei herum. "Nur mit klaren Entscheidungen können wilde Spekulationen schnell beendet werden", befand er. Alles andere "ist auf Dauer für unsere Gewerkschaft schädlich. Dies kann nicht länger hingenommen werden". Die entscheidende Frage, warum er dem Bonus überhaupt zustimmte, ließ Krauß offen.

Mit der Folge, dass die Debatte über das Themengebräu Börsengang/Hansen/Krauß/Boni gar kein Ende mehr nahm. "Derzeit können Sie bei uns nichts mehr sachlich diskutieren", sagt ein Funktionär. Im Mai, als Krauß durch Hansens Wechsel vorrückte, fand er dessen Übertritt zur Bahn noch "vollkommen okay". Am Mittwoch, als er seinen Posten los war, formulierte er anders: "Der Wechsel des Vorsitzenden Hansen ins Arbeitgeberlager hat bei vielen Mitgliedern Wut und Ärger ausgelöst und ihr Vertrauen in die Führung erschüttert."

Alexander Kirchner, der neue Kandidat, war bereits im Mai für den Vorsitz im Gespräch; damals kam er aber nicht an Krauß vorbei. Kirchner, 52, ist bei Tarifrunden seit Jahren Verhandlungsführer der Gewerkschaft. Er fing 1973 bei der Bahn in Limburg an, wo er zum Energieanlagen-Elektroniker ausgebildet wurde. 1983 wurde er hauptberuflicher Personalrat, 1991 wechselte er zur "Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands", wie Transnet damals hieß.

In einem Punkt folgte Kirchner am Mittwoch der Linie von Krauß aus den vergangenen Tagen: Er wollte sich nicht öffentlich äußern. Dass die Gewerkschaft aber offenbar nicht nach der Devise "Weiter so" verfahren will, ging aus der Erklärung von Krauß hervor. Der Noch-Vorsitzende schrieb: Transnet müsse "die Politik auffordern, nicht nur krampfhaft über das Beschaffen von Geld durch Verkauf von Bahnaktien nachzudenken, sondern endlich die Arbeitnehmer zu schützen". Die wären nämlich die Verlierer eines "ungebremsten Wettbewerbs auf der Schiene". Erstmals also ging die Gewerkschaft auf Distanz zum Börsengang - wahrscheinlich zum Entsetzen des Bahn-Vorstands, vielleicht zur Erleichterung ihrer Mitglieder.

© SZ vom 20.11.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: