Konjunktur:Wenn das mal gut geht

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Es wäre zu schön, wenn es immer weiter aufwärts ginge mit der Weltwirtschaft. Doch je länger der Aufschwung dauert, desto wahrscheinlicher wird sein Ende. Die Länder sind dafür schlecht gerüstet.

Von Catherine Hoffmann

Eine höhere Lebenserwartung scheint nicht nur den Menschen beschieden zu sein. Auch die Weltwirtschaft wächst nun schon seit mehr als sieben Jahren ohne Unterbrechung, neuerdings sogar recht schwungvoll: Die Ökonomen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft erwarten, dass das globale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem und dem kommenden Jahr um 3,7 und 3,8 Prozent zulegen wird. Eine Zeit lang wurden die guten Nachrichten von dem politischen Lärm übertönt, den Trump, Erdoğan, Putin und ihre europäischen Sympathisanten machten. Doch nun ist der Lärm leiser geworden und man hört den Wirtschaftsmotor schnurren.

Deutschland steht sogar am Beginn eines Booms. Der Export läuft auf hohen Touren. Nach vielen enttäuschenden Jahren haben die Bundesbürger mehr Geld in der Tasche und sie geben es gern aus. Das Ifo-Geschäftsklima zeugt von der glänzenden Stimmung in der deutschen Wirtschaft. Egal, ob Industrie, Großhandel oder Bau - die Manager sind überaus zufrieden. Das Gute dabei: Läuft die Wirtschaft erst einmal, dann läuft vieles wie von selbst. Mehr Jobs, mehr Konsum, mehr Steuern. Das Land erlebt, wie der von der Finanzkrise so jäh unterbrochene Aufschwung kraftvoll weitergeht.

Der Aufschwung in den USA wird im März 2018 der zweitlängste der Nachkriegszeit

An den Börsen wurde schon ausgiebig gefeiert. Seit Ende 2009 stehen die Zeichen auf "kaufen". Am deutschen und am amerikanischen Aktienmarkt konnten die Anleger ihr Vermögen seither mehr als verdoppeln. So mancher Beobachter warnt schon wie einst US-Notenbankchef Alan Greenspan vor irrationalem Überschwang - und ist damit vielleicht wie Greenspan 1996 ein paar Jahre zu früh dran.

Sieht man sich die Prognosen von OECD, Internationalem Währungsfonds und vielen Banken an, wird klar, was die Konjunkturforscher für das wahrscheinlichste weltwirtschaftliche Szenario halten: mehr Wachstum. Überraschend viel Wachstum, in den Schwellenländern noch mehr als in den Industrieländern. Die Experten scheinen einem einfachen Motiv zu folgen: Die hohen Zuwachsraten von heute sind die beste Prognose für das Wachstum von morgen. Nicht ein einziger erwartet eine Rezession im nächsten Jahr, also einen Rückgang der Wirtschaftsleistung.

Hauptsache Geld? China macht immer mehr Schulden. Das Graffiti zeigt den früheren Staatschef Mao Zedong mit Währungszeichen. (Foto: Johannes Eisele/AFP)

Nun könnte hier die Geschichte enden. Alles gut, schönen Dank! Für Andrew Bosomworth geht die Arbeit an diesem Punkt erst los. Den Investmentchef des Vermögensverwalters Pimco für Deutschland macht die große Zuversicht stutzig. "Wirtschaftsforscher sind bekanntlich nicht besonders gut darin, die nächste Rezession vorherzusehen", sagt er. "Im März nächsten Jahres wird der Aufschwung in den USA der zweitlängste der Nachkriegszeit sein mit 107 Monaten. Je länger er anhält, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es so weitergeht." Bosomworth glaubt, dass die USA in den nächsten zwei bis drei Jahren in eine Rezession rutschen werden.

Auch die längste Wachstumsphase endet irgendwann, stirbt durch einen Schock - einen Handelskrieg, den Kollaps des Euro, einen sprunghaften Anstieg des Ölpreises - oder schlicht an Altersschwäche: Wenn die Konjunktur überhitzt und die Börsen zu sehr übertreiben, müssen die Notenbanken die Zinsen schneller erhöhen als ihnen lieb ist.

Bei steigenden Zinsen verschlechtern sich die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen. Konzernen und Haushalten fällt es schwerer, ihre Schulden zu bedienen. Am Aktienmarkt würde es krachen, Vermögen würde vernichtet und die Konsumenten gäben weniger Geld aus. Der Aufschwung nähme ein jähes Ende. Das Ergebnis: eine klassische Rezession.

Klingt unwahrscheinlich? Besser, man ist darauf vorbereitet. "Das globale Wirtschaftswachstum ist heute so stetig wie zuletzt in den Jahren 2003 bis 2006 - man weiß, was danach kam", sagt der Volkswirt und Anlagestratege Bosomworth, zu dessen Job eine große Portion Skepsis gehört. 2007 kam die Subprime-, später die Eurokrise. Die Konjunktur brach ein und an den Börsen wurde es sehr ungemütlich.

Auch der nächste Abschwung könnte schmerzhaft werden, denn der Absturz von damals hat tiefe Narben hinterlassen. Drei Entwicklungen bereiten Ökonomen besonders große Sorgen: Die weltweit hohe und steigende Verschuldung, die Erschöpfung der Geldpolitik und der anhaltende Populismus, der zwar leiser geworden ist, aber noch immer lebendig ist.

"Chinas Schuldenproblem ist in den vergangenen Jahren immer ernster geworden."

Die Welt hat so viele Schulden angehäuft wie noch nie in der Geschichte. Staaten, Unternehmen und Privatleute schulden ihren Gläubigern heute 217 Billionen Dollar, schätzt das Institute of International Finance (IIF), der Weltverband der Banken. Zur Einordnung: Eine Billion hat zwölf Nullen und setzt sich aus 1000 Milliarden zusammen. Das Ausmaß des Schuldenbergs beträgt 327 Prozent der jährlichen globalen Wirtschaftsleistung. Allein die Staaten sind mit 88 Prozent verschuldet. Nur zur Erinnerung: Ein Konvergenzkriterium für die Staaten der Euro-Zone war ursprünglich eine Staatsverschuldung von höchstens 60 Prozent. Aber das schafft noch nicht einmal Deutschland, auch wenn es nah dran ist und als einziges der G-7-Länder heute keine höhere Schuldenquote hat als vor zehn Jahren. In Kanada, Frankreich, Italien, Japan, Großbritannien und in den USA ist sie in dieser Zeit gewaltig gestiegen. Immerhin hat sich die Zunahme in den Industrieländern verlangsamt, während sie sich in den aufstrebenden Volkswirtschaften beschleunigt hat.

Beängstigend ist die Entwicklung in China. "Chinas Schuldenproblem ist in den vergangenen Jahren immer ernster geworden", sagt Sonja Gibbs, Senior Director für die globalen Kapitalmärkte beim IIF. Die Verschuldung von Staat, Unternehmen und Privatpersonen, gemessen am BIP, hat sich im vergangenen Jahrzehnt auf 304 Prozent verdoppelt, Chinas Schulden sind inzwischen also dreimal so groß wie seine Wirtschaftskraft. Das sind Zahlen, die man aus Ländern kennt, die später in die Krise geschlittert sind. "Firmen sind dabei mit Abstand die größten Schuldner, vor allem Staatsbetriebe", sagt Gibbs.

Kommt es zum Abschwung, wird der gewaltige Schuldenberg der Welt zum Problem. Denn in einer Rezession wird es schwer, alle Schulden zu bedienen. Im schlimmsten Fall dürfte es zu Ausfällen kommen, wenn Privatleuten, Unternehmen oder sogar Staaten das Geld ausgeht.

Doch die Schuldenblase und die sorglosen Anleger sind nicht das einzige Problem der Weltwirtschaft. Wenn in zwei oder drei Jahren tatsächlich die nächste Rezession käme, hätten die Notenbanken in den USA, in Europa und Japan nur einen kleinen Handlungsspielraum. In der Finanzkrise vor zehn Jahren konnten Federal Reserve und Europäische Zentralbank ihre Leitzinsen noch schnell von fünf oder vier Prozent auf beinahe null senken. Doch heute stehen die Leitzinsen noch immer nahe dem Nullpunkt. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich die Geldpolitik bald schon normalisiert. Mario Draghi und Janet Yellen stünden, kehrte die Krise schnell zurück, fast mit leeren Händen da.

Weil zudem die Staatsschulden bereits gewaltig sind, sind auch groß angelegte staatliche Konjunkturpakete in der industrialisierten Welt kaum vorstellbar. 2008 pumpten die Regierungen noch Abermilliarden in die Wirtschaft. Heute können sich nur wenige ein Konjunkturprogramm leisten, darunter die Vereinigten Staaten und Deutschland.

Aber werden sie es auch tun?

Gerade in Deutschland gibt es starke Vorbehalte gegen das Geldausgeben, auch in schlechten Zeiten. Erst recht ist man gegen eine aggressive Fiskalpolitik, die als Antwort auf eine Wirtschaftskrise aber nötig sein könnte. Schnell sein und viel tun, zeigt die jüngste Arbeit der Ökonomen Alan Auerbach und Yuriy Gorodnichenko, ist am Ende aber besser als eine vorsichtige Herangehensweise - auch für die Staatsfinanzen.

© SZ vom 23.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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