Konjunktur weltweit:Erfolg macht einsam

Deutschland 2011 - eine zufriedene Wirtschaftsnation: Autohersteller fahren Sonderschichten, Konzerne stellen Tausende Mitarbeiter ein, Handwerker haben selbst im Winter volle Bücher. Doch die Republik braucht Erfolge der anderen Euro-Länder.

Markus Balser

Wie geht es dem Land? Hans-Werner Sinn gibt die Antwort am liebsten in Zahlen. Für den Ökonomen bewegt sich das Schicksal der Republik in Prozentpunkten rauf oder runter. Quartal für Quartal trägt er seit Jahren emotionsfrei vor, was Konjunktur hat. Doch als der Chef des Ifo-Instituts kurz vor Weihnachten die jüngsten Wirtschaftsdaten seiner Forscher vorstellte, brach es förmlich aus ihm heraus: Fast vier Prozent Wachstum der deutschen Wirtschaft in diesem Jahr - das habe es seit Jahrzehnten nicht gegeben, schwärmte Sinn. "Die Konjunktur ist das reinste Wintermärchen."

Deutscher Automarkt im Plus

Starke Säule des Exports: der deutsche Automobilbau.

(Foto: dpa)

Deutschland Anfang 2011 - das ist eine zufriedene Wirtschaftsnation. Optimismus macht sich breit. Fabriken stehen unter Dampf. Autohersteller fahren Sonderschichten. Großkonzerne wie die Lufthansa stellen Tausende neue Mitarbeiter ein. Handwerker haben selbst im Winter volle Bücher. Importe und Exporte wachsen mit bislang kaum gekannten Raten von 20 Prozent. Kein Zweifel: Deutschland hat die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit im Rekordtempo überwunden. Das Land verbuchte 2010 den stärksten Aufschwung seit der Wiedervereinigung. Mehr als 40 Millionen Deutsche haben heute Arbeit - so viele wie noch nie. Die Arbeitslosigkeit sank erstmals wieder für mehrere Monate unter die Marke von drei Millionen. Der Optimismus der Bundesregierung scheint kaum zu bremsen. "Wir sind auf der Schnellstraße zur Vollbeschäftigung", jubelt auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP).

Schon jetzt ist klar: 2010 wird als Ausnahmejahr in die Geschichte eingehen. Und es scheint fröhlich weiterzulaufen.

Die Angst um den Euro hält den Außenwert der gemeinsamen Währung niedrig: Das hilft den Firmen beim Export in Länder wie China und Brasilien.

Aus Rücksicht auf das schwache Südeuropa wird die Europäische Zentralbank auf drastische Zinserhöhungen verzichten: Das fördert Investitionen.

Der Rückgang der Arbeitslosigkeit lässt die Löhne steigen: Das hilft dem Konsum.

Die US-Wirtschaft fasst dank lockerer Geldpolitik der Notenbank und neuer Steuersenkungen langsam Tritt. Auch davon profitieren deutsche Exportfirmen.

Aufstieg zum Superstar

Nicht einmal die Angst vor einer neuen Krise kann daran etwas ändern. Während in Europa ein Staat nach dem anderen an den Rand der Pleite gerät, während internationale Organisationen vor neuen Handelskriegen warnen und seltene Rohstoffe knapp werden. Während immer neue Schreckensszenarien zum Platzen der Immobilienblase in China oder zu einer möglichen Rezession in den USA kursieren. Während überall auf dem Globus große Risiken lauern, erlebt Deutschland ein wundersames Wachstum. Dabei war die Bundesrepublik ein ganzes Jahrzehnt lang das Schlusslicht Europas. Zwischen 1995 und 2005 ist die Wirtschaft hier zu Lande gerade mal um 15 Prozent gewachsen. In der gesamten EU erreichte das Plus 24 Prozent, die USA wuchsen sogar um 40 Prozent. Geplagt von Selbstzweifeln und Abstiegsängsten begegneten die Deutschen dem Phänomen der Globalisierung. Vorbei. Aus dem kranken Mann Europas ist binnen 18 Monaten die Konjunkturlokomotive des Kontinents geworden. Der Boom ist hart verdient und wird von Reformen und Lohnzurückhaltung begünstigt. Das verleiht Stabilität.

Schatten an der Wand

Getrieben aber wird er vor allem von einer üppigen Geldversorgung. Überall auf der Welt pumpen Notenbanken neue Finanzmittel in die Märkte. Das Exportland Deutschland profitiert vom expansiven Kurs in Schwellenländern und in den USA. Innerhalb eines Jahres, gab das Statistische Bundesamt am Freitag bekannt, legten die deutschen Exporte um mehr als 20 Prozent zu. Dank extrem niedriger Euro-Zinsen kommt nun auch die Binnenwirtschaft auf Touren, der Konsum wächst. Die Importe steigen auf den höchsten Wert seit 1950. Der Aufschwung steht damit auf zwei Säulen: Die Unternehmen investieren, die Konsumenten gehen einkaufen. Man solle keine Probleme an die Wand malen, wo es keine gibt, erwidert Wirtschaftsminister Brüderle all jenen Kritikern, die vor Gefahren für den Aufschwung warnen. Doch ob der Boom 2011 tatsächlich in derart hohem Tempo weiterläuft, ob die Weltwirtschaft auf ein "deutsches Jahrzehnt" zusteuert, wie es optimistische Ökonomen vorhersagen, ist fraglich. Den Aufschwung dürfte gerade das bremsen, was ihn so außergewöhnlich macht: Seine Einsamkeit.

Kein anderer großer westlicher Industriestaat kann eine ähnliche Erholung vorweisen wie die Bundesrepublik. Deutschland war 2010 das wachstumsstärkste Land im Klub der G 7, der führenden Industriestaaten. Der Boom wird an Schwung verlieren, wenn die Konjunktur in den großen Absatzmärkten nicht mit dem deutschen Wachstum Schritt hält. Vor allem die Kluft zwischen Deutschland und dem übrigen Europa, das für mehr als 40 Prozent der deutschen Exporte steht, wird größer. Während die hiesige Industrie auf Hochtouren arbeitet, herrscht vielerorts Flaute. Wohin die deutschen Exporteure auch blicken: Die Aussichten auf ihren wichtigsten Märkten trüben sich ein. Viele Regierungen kämpfen auf Druck der Europäischen Union gegen die Haushaltsdefizite. Das alles droht, die Konjunktur abzuwürgen.

Vor allem die schwachen Euro-Länder sind gefordert. Sie müssen ihre Firmen fit machen, Staatsfinanzen sanieren und Überversorgung abbauen. Deutschland braucht die Erfolge der anderen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: