Logistik:Wahnsinn der Lieferdienste

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Der Bestell-Boom im Internet führt zu immer neuen Botendiensten. Die Bürger werden die unsinnigen Lieferfahrzeuge in ihren Innenstädten nicht mehr lange tolerieren.

Kommentar von Michael Kuntz

Es ist nicht zu übersehen. Die virtuelle Welt des Internets ist nirgendwo so spürbar wie in den Innenstädten. Hier, wo neuerdings wieder junge Familien und ältere Menschen eine Lebensqualität entdecken, die sie in den uniformen Speckgürteln der Ballungsräume nicht finden. Die Stadt als Zuhause, wo viele Menschen auf engem Raum wohnen und ihre Bedürfnisse ausleben. Zu denen zählt nun auch, sich zunehmend Dinge frei Haus liefern zu lassen.

Der Bestellboom führt allerorten zum Entstehen immer neuer Botendienste. Längst kommen nicht nur Briefträger und Paketzusteller frei Haus. Gebracht werden die Pizza, das Sushi, das vorgekochte Menü, der Wein, die Lebensmittel aus dem Supermarkt. Die Logistik entwickelte sich zu einem Wirtschaftszweig mit eindrucksvollen Zuwachsraten, mit bereits drei Millionen Beschäftigten und einer verheißungsvollen Zukunft, wie die Börsenpläne von Onlinehändler ahnen lassen.

Die Möglichkeiten für Finanzinvestoren mögen exzellent sein. Für die Beschäftigten sind sie es eher nicht, allen Beteuerungen der Branche zum Trotz. Angeblich sind die schlimmsten sozialen Missstände inzwischen beseitigt, so wird versichert. Doch es gibt ihn noch, den Subunternehmer im schrottreifen Kleinlaster mit notdürftig an der Scheibe befestigtem Firmenschild. Zumindest in der Weihnachtszeit wird er wieder das schlechte Image der Branche festigen. Auch der Dauerzoff von Amazon mit seiner Belegschaft spricht gegen die Illusion sich fair verhaltender Arbeitgeber. Streiks bei der Post wegen der Gründung von Billigfirmen machen ebenfalls sichtbar, mit welchen Bandagen gekämpft wird bei der Aufteilung eines Marktes, den einmal das Staatsunternehmen Bundespost beherrschte. In Großstädten kam der Briefträger zweimal täglich, dann hielt noch kurz ein Paketauto. So war es, und so wird es nie mehr sein.

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Die Bürger werden unsinnig viele Lieferfahrzeuge nicht dauerhaft tolerieren

Heute überflutet eine Kavalkade von Lastenträgern mit ihren Lieferfahrzeugen die Straßen. Sie parken gewohnheitsmäßig in der zweiten Reihe oder auf dem Bürgersteig - sie suchen die Kundennähe. Wirtschaftliche Haupthürde ist die Synchronisierung von Zusteller und Empfänger. Wenn der eine kommt, ist der andere oft nicht da. Verschärftes Herumkurven nach Büroschluss ist eine Antwort, um Menschen anzutreffen. Die freilich wirft Fragen auf, was die Entlohnung des Zustellpersonals angeht.

Die modernen Konkurrenten der alten Post sind kreativ in jeder Hinsicht. Verschließbare Behälter in Haustürnähe ersparen es abwesenden Bestellern, ihrer Sendung ein Stück entgegenkommen zu müssen - zu einem Paketshop oder einer Paketstation. Trotz solcher Tücken boomen Lieferdienste aller Art. Und nun versucht selbst der große Versandhändler Amazon mit eigenen Lieferfahrern seine Wertschöpfungskette zu verlängern. Die Citylogistik wird immer ausgefeilter. Fahrzeuge mit mehreren Kühlzonen ermöglichen die perfekte Zustellung von Nahrungsmitteln, wohltemperiert.

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Es ist wie in der Industrie 4.0. Auch in der Logistik kommunizieren Maschinen und Transportgüter längst elektronisch miteinander. Zur Logistik 4.0 freilich würde gehören, dass die Manager der Transportfirmen nicht wie jetzt gerade beim Logistik-Kongress in Berlin nur unverbindlich miteinander reden. Sie sollten gemeinsam ernsthaft überlegen, wie sie den Irrsinn bei der Citylogistik eindämmen könnten. Die Branche bemüht sich vergeblich um ein positives Image. Das ist nicht ohne Grund so. Intelligente Konzepte für die Verteilung von Waren in Städten gibt es. Doch sie werden kaum umgesetzt. Kreativität nicht nur bei der Eroberung von Marktanteilen wäre gefragt, auch gelebte gesellschaftliche Verantwortung.

Die Bürger werden die volkswirtschaftlich und ökologisch unsinnig vielen Lieferfahrzeuge nicht dauerhaft tolerieren. Als Wähler werden sie Politikern Druck machen. Die können nicht ewig die Augen verschließen vor einem Wildwuchs auf den Straßen, den ihr Privatisierungswahn mit ausgelöst hat. Die Logistikbranche sollte gemeinsam handeln, bevor die Politik es für sie tut.

© SZ vom 29.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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