Lebensmittelhandel:Hilflos im Supermarkt

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Regional einkaufen ist das neue Bio - und ein lohnendes Geschäft für den Lebensmittelhandel. Doch die Verbraucher sind überfordert.

Kommentar von Silvia Liebrich

Frische Erdbeeren aus Spanien, Spargel aus Griechenland oder Paprika aus Marokko. Nach den kalten Monaten freut sich so mancher auf frische Früchte und knackiges Gemüse auf dem Teller. In der globalisierten Welt des Handels muss darauf heute auch im Winter niemand mehr verzichten. Doch weit gereistes Obst oder Gemüse hat inzwischen ein echtes Imageproblem. So verursacht der lange Transport jede Menge schädliche Treibhausgase. In trockenen Ländern wie Spanien löst der exzessive Gemüseanbau unter Plastikfolien eine bedrohliche Wasserknappheit aus. Hinzu kommt, dass nicht alles, was im Kühlregal zum Anbeißen aussieht, auch wirklich gut schmeckt, Beispiel Erdbeeren.

Immer mehr Konsumenten greifen deshalb lieber zu Produkten aus der Region. Manche stellen sogar ihre Ernährung darauf ein. Frische Erdbeeren essen sie nur dann, wenn sie auf den Feldern in der Umgebung reif werden. Sie bevorzugen Nudeln und Wurst, die in heimischen Gefilden hergestellt werden und bei denen auch die Zutaten von dort stammen. Dafür sind sie auch bereit, etwas mehr auszugeben. Viele Käufer wollen so ganz bewusst kleine deutsche Erzeuger unterstützen, die im globalen Wettbewerb zunehmend unter Druck geraten, weil sich dort fast alles nur noch um den Preis und weniger um die Qualität dreht.

Wo keine Regeln existieren, gibt es auch keine Verstöße

Regional einkaufen ist das neue Bio - und ein lohnendes Geschäft für den Lebensmittelhandel. Was Verbraucher schätzen, ist schließlich auch für den Umsatz gut. An Angeboten mangelt es nicht. Die Marktführer wie Aldi, Lidl, Rewe und Edeka und andere sind groß eingestiegen. Regionalmarken in Supermärkten vermehren sich auf fast wundersame Weise, sie heißen "Von Hier", "SoNaahe" oder "Landmarkt". Daneben finden Verbraucher jede Menge Siegel und Logos auf Verpackungen, mit denen die Hersteller eine regionale Herkunft versprechen. Ihre Zahl geht in die Hunderte.

Konsumenten sind mit dieser Informationsflut völlig überfordert. Ihnen bleibt nur, darauf zu vertrauen, dass regional drin ist, wo regional draufsteht. Denn im Vergleich zu "bio" ist der Begriff "regional" nicht geschützt und auch nicht gesetzlich definiert. Was regional ist, dürfen Hersteller und Handel selbst bestimmen und davon machen sie reichlich Gebrauch. Doch was ist im Rahmen und wann ist die Grenze buchstäblich überschritten? Darf eine Karotte, die in Brandenburg geerntet wird, in Rheinland-Pfalz als regionales Produkt verkauft werden? Ist ein Radius von 50 Kilometern angemessen oder sind 400 Kilometer auch noch in Ordnung? Alles Definitionssache - und jeder darf sich seine eigenen Regeln basteln.

Richtig kompliziert wird es bei verarbeiteten Lebensmitteln, die mehrere Zutaten enthalten. Ist ein Produkt regional, wenn nur die Hauptzutat heimisch ist, müssen es mehrere sein oder gar alle? Auch das ist eine Frage der Auslegung. Manche legen den Begriff so großzügig aus, dass selbst Kaffee aus Indonesien zum Regionalprodukt wird, obwohl dieser nur in Deutschland verarbeitet und verpackt wurde.

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Von Silvia Liebrich

Keine Handhabe gegen Schummeleien

Für Verbraucher ist das ein unbefriedigender Zustand. Es fehlt schlicht an Transparenz und Kontrolle. Der Begriff "Regionalprodukt" gleicht einer Blackbox. Gegen Schummeleien gibt es so gut wie keine Handhabe. Vieles von dem, was Verbraucher als Tricksereien empfinden, ist aus juristischer Sicht erlaubt, zum Beispiel frei erfundene Qualitätssiegel, die sich bei genauer Begutachtung als reiner Werbegag herausstellen.

Das Problem ist: Wo keine allgemein gültigen Regeln existieren, gibt es auch keine Verstöße. Die meisten Händler und Hersteller überwachen selbst, ob die eigenen Vorgaben eingehalten werden. Die meisten gehen dabei sicher gründlich vor, mit guten Absichten. Das allein genügt aber nicht, wenn der Markt völlig undurchsichtig ist. Für die Branche haben Regionalprodukte inzwischen eine ähnliche Bedeutung wie Bioware, und die macht mit neun Milliarden Euro Jahresumsatz knapp fünf Prozent des deutschen Lebensmittelhandels aus.

Klar definierte Regeln für Regionalprodukte sind deshalb ein Muss. Diese auszuhandeln ist Sache des Staates, gemeinsam mit der Lebensmittelbranche und Verbraucherschützern. Freiwillige Selbstverpflichtungen werden nicht ausreichen, wenn der Erfolg des Boomsegments von Dauer sein soll. Denn sollten sich Verbraucher bei regionalen Produkten getäuscht fühlen, dann werden sie diese auch nicht mehr kaufen. Ein Schutz des Begriffs liegt deshalb auch im wirtschaftlichen Interesse der regionalen Erzeuger und des Handels.

© SZ vom 07.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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