Steuern:Aufruhr um den Kinderfreibetrag

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Die Koalition erhöht den Kinderfreibetrag rückwirkend für 2014 nicht. Das könnte gegen die Verfassung verstoßen. (Foto: dpa)
  • 2014 hätte der Kinderfreibetrag angehoben werden müssen. Doch dazu kam es nicht.
  • Nun haben sich die Experten des Finanzausschusses auf einige steuerliche Maßnahmen verständigt - nicht aber auf eine nachträgliche Erhöhung des Kinderfreibetrages.
  • Juristen sagen, dass die Koalition gegen die Verfassung verstößt, wenn sie den Freibetrag nicht nachträglich erhöht.

Von Guido Bohsem, Berlin

Im November 2012 hätte eigentlich schon alles klar sein sollen. Damals nämlich veröffentlichte das Bundesfinanzministerium seinen Bericht über das steuerliche Existenzminimum und sah Handlungsbedarf. Zwar sei der Kinderfreibetrag im Jahr 2013 noch hoch genug. Doch schon 2014 werde er nicht mehr ausreichen und müsse angehoben werden.

Dazu kam es nicht, weil es zunächst die schwarz-gelbe Koalition versäumte, sich darauf zu verständigen, und auch die große Koalition über die Frage schon vor Monaten in Streit geriet. Und es wird wohl auch künftig nicht dazu kommen. Am Mittwoch verständigten sich die Experten des Finanzausschusses zwar auf ein ganzes Paket steuerlicher Maßnahmen: Ein höherer Kinderzuschlag ab Mitte 2016, ein höherer Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, vier Euro mehr Kindergeld 2015 und noch mal zwei Euro mehr 2016. Sogar zu einer Minderung der kalten Progression hat sich die große Koalition durchgerungen. Für die nachträgliche Erhöhung des Kinderfreibetrages war das offenbar nicht möglich.

In Euro und Cent dürften die Eltern den Verzicht auf den höheren Freibetrag nicht groß spüren. Insgesamt hätte das Vorhaben zu Mindereinnahmen von 110 Millionen Euro geführt. Das ist ein verhältnismäßig geringer Betrag, angesichts der gut 178 Milliarden Euro, die in diesem Jahr aus der Einkommensteuer fließen werden. Und doch berührt das Vorgehen der großen Koalition beim Kinderfreibetrag die ureigenen Rechte der steuerzahlenden Eltern.

Denn nach überwiegender Einschätzung von Steuerjuristen und Finanzexperten muss die Koalition den Kinderfreibetrag eigentlich erhöhen. Sie verstößt gegen die Verfassung, wenn sie es nicht tut.

Grob gesagt, darf nach Ansicht des Verfassungsgerichts ein bestimmter Anteil des Lohns nicht besteuert werden, weil dieses Geld die Existenz des Menschen absichert. Das geschieht bei Berufstätigen mit dem Grundfreibetrag, bei Kindern (über die Eltern) mit dem Kinderfreibetrag.

Opposition und Experten sprechen von Verfassungswidrigkeit

Für Steuerexperten ist das Vorgehen der Koalition empörend. "Das ist ein Skandal ", sagte etwa der Geschäftsführer des Neuen Verbandes der Lohnsteuerhilfevereine (NVL), Uwe Rauhöft. Es handele sich um eine beispiellose Arroganz der Politik, den Kinderfreibetrag nicht zu erhöhen, obwohl der Schritt verfassungsmäßig geboten und schon längst überfällig sei. "Union und SPD haben sich bei dem Thema in eine Blockadehaltung manövriert, die nicht zu akzeptieren ist." Es könne nicht im Belieben des Gesetzgebers stehen, das steuerliche Existenzminimum zu berücksichtigen. Der NVL werde über seine Mitgliedsverbände die Möglichkeit prüfen, ein Musterverfahren anzustreben.

Der Berliner Steuerprofessor Frank Hechtner wirft der Koalition vor, mit dem Verzicht auf die Erhöhung des Freibetrages willentlich in einen verfassungswidrigen Zustand hineinzulaufen. Auch er meint: "Es ist davon auszugehen, dass schon bald die ersten Musterprozesse geführt werden." Der angerichtete politische Schaden sei weitaus höher als die Einnahmeeinbußen des Staates. So werde das Vertrauen auf eine verlässliche und systematische Steuerpolitik erschüttert.

Auch die Opposition protestierte. Die steuerpolitische Sprecherin der Grünen, Lisa Paus, warf der SPD Versäumnisse vor. Die SPD habe die seit eineinhalb Jahren verschleppte Anpassung der Steuergesetze immer wieder damit begründet, mehr für Familien rausholen zu wollen. "Jetzt steht fest: Noch nicht einmal das Verfassungsnotwendige setzt die Koalition für die Familien um." Die Grünen wollen deshalb an diesem Donnerstag eine namentliche Abstimmung im Bundestag beantragen, um den Grundfreibetrag auch für 2014 rückwirkend zu erhöhen. SPD und Union machen sich derweil gegenseitig dafür verantwortlich, eine verfassungsgemäße Regelung verhindert zu haben. "Wir hätten gerne den Kinderfreibetrag für 2014 rückwirkend angehoben", sagte der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Lothar Binding der SZ. "Leider konnten wir diese steuerpolitische Entlastung bei unserem Koalitionspartner nicht durchsetzen."

Die Steuerexpertin der Union, Antje Tillmann (CDU), wies Bindings Aussagen zurück. Die Union habe bereits einen Formulierungsvorschlag zur rückwirkenden Anhebung des Kinderfreibetrages vorgelegt. ‎"Die SPD hat diese Frage aber immer mit einer Anhebung des Kindergeldes für 2014 verknüpft." Einen Finanzierungsvorschlag für die zu erwartenden Mehrkosten von 320 Millionen Euro habe die SPD aber nicht vorgelegt, zumal dieses Mittel nach der Vereinbarung im Koalitionsvertrag aus dem Etat von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) hätten fließen müssen. "Da Maßnahmen innerhalb der Koalition immer gemeinsam beschlossen werden, ist es dann nicht zur Anhebung des Kinderfreibetrages 2014 gekommen", sagte Tillmann der SZ.

Liegt die Schuld beim Koalitionspartner? "Wir hätten gerne den Kinderfreibetrag für 2014 rückwirkend angehoben", sagt ein Sprecher der SPD-Fraktion. (Foto: Jan Woitas/dpa)
© SZ vom 18.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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