Kapitalismus in der Krise:"Die Menschen könnten die Exzesse vergessen"

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Der Psychologe Schmitt erklärt, warum überbezahlte Investmentbanker schon bald in Vergessenheit geraten könnten.

Alexander Hagelüken

Professor Manfred Schmitt, 54, forscht an der Universität Landau bevorzugt über Gerechtigkeit und Emotionen. Er sagt: Die Menschen haben ein Gespür für Verhältnismäßigkeit. Deshalb haben exzessive Managergehälter den Ruf des Kapitalismus ruiniert. Und: Wenn Arbeitnehmer ungerecht behandelt werden, schadet das dem ganzen Unternehmen.

Händler an der New York Stock Exchange, dem Zentrum des Kapitalismus. (Foto: Foto: AFP)

Süddeutsche Zeitung: An Umfragen lässt sich ablesen, dass die Deutschen den Kapitalismus für ungerechter halten als früher. Woran liegt das?

Schmitt: An mehreren Gründen. Die Deutschen finden, dass die Globalisierung den Wettbewerb verzerrt. Sie würden den Wettbewerb mit indischen oder chinesischen Arbeitnehmern nur als fair empfinden, wenn die Lohnunterschiede geringer wären. So aber glauben viele Deutsche, dass sie keine Chance haben.

SZ: Ist die Wirtschaftswelt ungerechter geworden, oder wird es nur so empfunden?

Schmitt: Das soll jeder Zeitungleser selber beurteilen. Ich stelle aber fest, dass es ein Gefühl der Ohnmacht gibt. Historisch gesehen führt das Empfinden von Ungerechtigkeit meist zu einer Anpassung des Rechts - also zu einer Veränderung des globalen Wirtschaftssystems in eine gerechtere Richtung. Weil jedoch die Globalisierung sehr rasch geschieht und die Anpassung langsam, fühlen sich die Deutschen ohnmächtig.

SZ: Was finden Arbeitnehmer gerecht?

Schmitt: In der Arbeit und anderen Lebensbereichen gilt, dass Gleiches als gerecht empfunden wird. Etwa gleicher Lohn. Eine Abweichung davon bedarf einer guten Begründung. Akzeptiert wird vor allem mehr Lohn wegen mehr Leistung. Und Bedürftigkeit als Grund, jemand ohne Leistung Geld zu geben.

SZ: Laut Studien lehnen Menschen eine Gehaltserhöhung um fünf Prozent ab, wenn ihr gleich verdienender Kollege zehn Prozent mehr bekommen soll. Sie wollen lieber einen gleichen, aber niedrigeren Lohn für beide. Warum?

Schmitt: Dieses Phänomen kennt man aus vielen Untersuchungen. Beim Diktatorspiel kann die Person A einen Geldbetrag zwischen sich und Person B nach Belieben aufteilen. B hat aber ein Vetorecht - wenn sie Nein sagt, kriegt keiner etwas. Vernünftig für B wäre es, jeden Betrag größer als null Euro zu nehmen. Die Studien zeigen aber: Wenn A 70 zu 30 aufteilt, legt B ein Veto ein - obwohl B damit null statt 30 Euro bekommt. Menschen sind bereit, Opfer zu bringen, um Gerechtigkeit zu sichern.

SZ: Sind die stark gestiegenen Managergehälter deshalb so verheerend für den Ruf des Kapitalismus? Weil sie zu stark von der Gleichheit abweichen?

Schmitt: Ja, absolut. Menschen haben ein Gespür für Verhältnismäßigkeit. Es ist ihnen nicht zu vermitteln, dass ein US-Investmentbanker tausendmal so viel verdient wie eine Putzfrau.

SZ: Wie hoch müssen Managergehälter sein, um akzeptiert zu werden?

Schmitt: Es gibt Studien, wie viel mehr ein Konzernchef verdienen kann als ein Arbeiter, ohne das Gerechtigkeitsgefühl zu verletzen. Akzeptiert wird höchstens das Zehn- bis Fünfzehnfache.

SZ: Bei einem deutschen Durchschnittslohn von 40.000 Euro im Jahr wären das 400.000 bis 600.000 Euro. Da ist Deutsche-Bank-Chef Ackermann mit 14 Millionen Euro Gehalt 2007 weit weg.

Schmitt: Ja, die Gehälter liegen häufig höher. Interessant ist, dass die Bundesregierung die Gehälter für Vorstände von Banken, die staatliche Hilfe wollen, auf eine halbe Million Euro fixiert - das entspricht dem Gerechtigkeitsgefühl.

SZ: Verbessert die Regierung die Akzeptanz des Kapitalismus stark, wenn sie Managergehälter generell deckelt?

Schmitt: Ja. Aber natürlich hat das Nebenwirkungen. Wenn kompetente Manager wegen niedriger Gehaltsgrenzen ins Ausland gehen, schadet das dem Land.

SZ: Umgekehrt gibt es ja auch Nebenwirkungen. Welcher Schaden entsteht, weil die Deutschen den Kapitalismus als ungerecht empfinden?

Schmitt: Man weiß, dass es Beschäftigte stark demotiviert, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Sie strengen sich weniger an, das ist die milde Variante, oder sie sabotieren den Betrieb.

SZ: Sind solche Schäden schon eingetreten, weil die Deutschen den Kapitalismus als ungerecht empfinden?

Schmitt: Schwer zu sagen. Die Deutschen haben wegen der Globalisierung mehr Angst vor Arbeitslosigkeit als vorher. Die Angst, entlassen zu werden, dämpft die Wirkung der Empörung über die empfundene Ungerechtigkeit. Da sind zwei Emotionen im Konflikt.

SZ: Glauben Sie, dass die Finanzkrise der Wendepunkt hin zu einem als gerechter empfundenen Kapitalismus wird?

Schmitt: Wenn die Krise schnell bewältigt wird, könnte ich mir vorstellen, dass die Menschen die überbezahlten Investmentbanker und all die anderen Exzesse vergessen. Menschen haben leider ein recht kurzes Gedächtnis, was solche Vorgänge betrifft. Vor dem Rinderwahnsinn BSE hat auch niemand mehr Angst.

SZ: Wie stark beeinflusst es Menschen, wenn sie etwas am Arbeitsplatz ungerecht finden?

Schmitt: Es gibt Experimente, bei denen ein Teil der Belegschaft anders behandelt wird. Das Ergebnis: Weniger Leistungen, mehr Diebstahl, mehr Fehlzeiten. Werden Arbeitnehmer extrem unfair behandelt, fehlen sie 20 Tage länger im Jahr als der Durchschnitt.

SZ: Was können Arbeitgeber und Vorgesetzte tun, um ein Gefühl der Gerechtigkeit sicherzustellen?

Schmitt: Wichtig sind Transparenz und Regeln. Beförderungen oder Versetzungen müssen begründet werden. Eine Regel muss immer gleich ausgelegt werden. Wer die Entscheidungen vornimmt, muss als neutral wahrgenommen werden. Man darf ihm nicht unterstellen können, dass er einen Vorteil aus der Entscheidung hat. Dazu kommt: Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie ein Mitspracherecht haben, dass sie einbezogen werden.

SZ: In der aktuellen Krise bauen viele Arbeitgeber Stellen ab. Können sie das überhaupt tun, ohne ein Gefühl extremer Ungerechtigkeit zu erzeugen?

Schmitt: Entlassungen werden vor allem dann als ungerecht empfunden, wenn sie gegen die erwähnten Regeln verstoßen. Wenn die Mitarbeiter kein Mitspracherecht haben, wenn sie nicht einbezogen werden. Und: Entlassungen sind schwerer zu ertragen, wenn ihre Ursache Missmanagement ist. Wenn dagegen eine Weltwirtschaftskrise für die Entlassungen verantwortlich ist, ertragen das die Menschen eher.

SZ: Das Management kann natürlich die Weltwirtschaftskrise als Vorwand benutzen, um mehr Mitarbeiter zu entlassen als nötig.

Schmitt: Klar.

SZ: Wird Gerechtigkeit bei uns anders definiert als in anderen Ländern?

Schmitt: In Nuancen schon. Amerikaner akzeptieren Gehaltsunterschiede eher als Skandinavier. Und wir stehen in der Mitte, wobei Ostdeutsche eher auf gleiche Löhne pochen als Westdeutsche.

SZ: Es heißt, die Deutschen seien neidischer als andere Völker. Stimmt das?

Schmitt: Ich kenne keine empirischen Untersuchungen, wonach Deutsche neidischer sind als andere.

SZ: Was Menschen als gerecht betrachten, ist das angeboren oder im Laufe des Lebens angeeignet?

Schmitt: Darüber streiten wir uns. Es gibt Hinweise, dass Gerechtigkeitsempfinden teils angeboren ist, weil auch Tiere ein natürliches Empfinden für Fairness haben. Sie bestrafen ein unfaires Mitglied der Gruppe, das einen Dritten schlecht behandelt hat, obwohl sie dabei ein Risiko eingehen. Ganz sicher ist das alles nicht, weil wir nicht ins Hirn von Raben oder Affen gucken können.

SZ: Wie stark sind Sie selbst von Gerechtigkeitsempfinden getrieben?

Schmitt: Sicher habe ich das Thema vor vielen Jahren auch deshalb gewählt, weil ich dafür empfindlich bin.

SZ: Spüren Sie Neid? Und wie gehen Sie als Forscher, der seine Gefühle analysieren kann, damit um?

Schmitt: Wenn ich Neid feststelle, frage ich mich, ob es sich um einen primitiven Neid oder begründbaren, also edlen Neid handelt. Im ersten Fall schäme ich mich, im zweiten nicht.

SZ: Haben Sie ein Beispiel?

Schmitt: Wenn ich mitbekomme, dass Kollegen früher berufliche Erfolge erzielen oder Auszeichnungen bekommen, beneide ich sie schon manchmal.

SZ: Werten Sie das dann als primitiven oder edlen Neid?

Schmitt: Als edlen (lacht).

SZ: Reagieren Menschen auf Ungerechtigkeiten gleich?

Schmitt: Nein. Die erste Gruppe ist sehr tolerant und erträgt viel, die zweite reagiert heftig emotional.

SZ: Welche Gruppe ist glücklicher?

Schmitt: Die erste, die Unsensibleren. Einfach deshalb, weil Ungerechtigkeit zum Alltag gehört. Je weniger man sich aufregt, desto glücklicher ist man.

© SZ vom 19.11.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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