Sparvorschläge der EU:Hollande legt sich mit Brüssel an

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Die EU spart sich das radikale Sparen: Sie entlässt Italien aus dem Defizitverfahren und gibt Frankreich sowie Spanien zwei Jahre mehr Zeit, um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen. Doch die Forderungen stoßen bei Frankreichs Präsident auf harsche Ablehnung.

Von Jannis Brühl

Die EU-Kommission hat ein Einsehen, das Deutschland nicht haben will: Sie gibt Frankreich, Italien und Spanien mehr Zeit, um zu sparen. Dafür müssen diese Länder ihre Arbeitsmärkte umbauen, Arbeitslose für die richtigen Berufe ausbilden - laut Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso sind allein 900.000 IT-Arbeitsplätze frei - und Dienstleistungsmärkte liberalisieren.

Die Defizitverfahren gegen Italien, Lettland, Ungarn, Litauen und Rumänien werden aufgehoben. Diese Länder haben ihre Neuverschuldung nach Ansicht der Kommission nachhaltig auf weniger als drei Prozent gesenkt.

Um in diesen Bereich zu kommen, erhalten Frankreich, Spanien, Slowenien und Polen zwei Jahre länger Zeit, Belgien ein Jahr mehr.

Diese Schritte der Kommission sind das bisher klarste Signal, dass Europa im Kampf gegen die Krise den Pfad der Austerität - also des strikten Sparens - verlässt. So nannte das Währungskommissar Olli Rehn natürlich nicht, als er an diesem Mittwoch die Beschlüsse und Empfehlungen vorstellte. "Rebalancieren" der Krisenstrategie heißt das vielmehr im Brüsseler Bürokratensprech, der niemandem wehtun soll. V or allem die hohe Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern gilt als größtes kurzfristiges Problem - noch vor Sanierung der Haushalte.

Seit langem sagen vor allem südeuropäische Politiker, die aus dem Norden verordnete Austerität zerstöre ihre Ökonomien, bevor sie tatsächlich helfe. Die Kürzungen verringerten die Nachfrage und das dämpfe das Wachstum.

Die Wirtschaftsdaten sind in der Tat nicht gut im Jahr vier der Euro-Krise: An diesem Mittwoch hat die OECD, die Organisation der Industrieländer, ihre Prognose für die Rezession in der Euro-Zone weiter nach unten korrigiert. Gingen die Experten bei ihrer Schätzung im November noch von einem Schrumpfen der Wirtschaft um 0,1 Prozent im Jahr 2013 aus, so rechnen sie nun mit einem Minus von 0,6 Prozent.

Die Entscheidungen und Empfehlungen der Kommission für ausgewählte Länder:

  • Eigentlich sollte das Defizit Frankreichs in diesem Jahr weniger als drei Prozent des Bruttoinlandprodukts betragen, nun dürften es allerdings 3,9 Prozent werden. Präsident François Hollande erhält jetzt zwei Jahre mehr Zeit, um den Wert zu senken. Die EU stellt allerdings Bedingungen (PDF): Arbeit müsse in Frankreich billiger werden, besonders die Sozialabgaben müssten gesenkt werden. Außerdem muss Frankreich das Rentensystem radikal umbauen. Zu Hause gibt es für Hollande aber keine Nachsicht wie in Brüssel. Er liegt im Clinch mit Notenbankchef Christian Noyer. Der drängt den Präsidenten, Ausgaben und Belastungen für Unternehmen radikaler zu kürzen - Arbeitslosenquote von fast elf Prozent hin oder her. Den Anteil der Sozialausgaben von derzeit 30 Prozent am Bruttoinlandsprodukt bezeichnete Noyer als untragbar. Dennoch wehrt sich Frankreichs Präsident Hollande gegen die Vorschläge. Er lasse sich nicht "diktieren, was wir zu tun haben", so Hollande am Rande eines Besuchs in der Region Midi-Pyrénées. Sie habe Frankreich lediglich zu sagen, dass die öffentlichen Finanzen in Ordnung gebracht werden müssten. Welcher Weg dahin der richtige sei, sage man selbst.
  • Auch wenn die Krise Deutschland am wenigsten trifft und der Staat von einem Defizitverfahren weit entfernt ist, hat die EU einige Empfehlungen an Kanzlerin Angela Merkel: Zum Beispiel müssten die Löhne steigen. Barroso sagte, sie sollten an die hohe deutsche Produktivität gekoppelt werden. Das Land arbeite immerhin bereits daran. Auf dem Arbeitsmarkt wünscht sich die Kommission Reformen von Berlin: Die Regierung müsse "die Umwandlung von atypischen Beschäftigungsverhältnissen wie Minijobs in nachhaltigere Beschäftigungsformen" erleichtern. Benachteiligte Menschen müssten besser ausgebildet werden. Zudem müsse "die Verfügbarkeit der Ganztagskindertagesstätten und -schulen erhöht" werden (Empfehlungen als PDF).
  • Italien darf das Defizitverfahren verlassen (PDF), obwohl der neue Ministerpräsident Enrico Letta neue Steuersenkungen vornehmen will, was weniger Staatseinnahmen bedeutet. Deshalb hatten Beobachter bis zuletzt gezweifelt, ob die EU Nachsicht mit Italien haben würde. Nun heißt es aus Brüssel, das Land habe es geschafft, das Defizit bei weniger als drei Prozent des Bruttoinlandprodukts zu halten - ein Wert, auf dem es vorerst bleibe.
  • Auch Spanien erhält zwei Jahre mehr Zeit. Das Land ist von Jugendarbeitslosigkeit mit am stärksten betroffen. Mehr als jeder zweite Junge hat keinen Job. Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte deshalb vehement den Aufschub von der EU gefordert. Es könne nicht sein, dass sein Land Geld ausgebe, um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, und dafür mit einem strengen Defizitverfahren bestraft werde. Das führt zu jener Frage, an der das System krankt: Wie sollen Defizitsünder bestraft werden? Neue Sanktionen würden die Wirtschaft nur noch weiter schwächen - was wiederum das Defizit weiter vergrößern könnte. Als Gegenleistung für den Aufschub soll Rajoy härter gegen Schwarzarbeit vorgehen und möglichst schnell Jugendliche in Jobs bringen.

Im Kampf gegen Arbeitslosigkeit und lahmendes Wachstum müssten alle Mitglieder zusammenstehen, sagte Kommissionspräsident Barroso: "Wir brauchen einen europäischen Konsens. Konsens ist entscheidend für Vertrauen." Dass die unterschiedlichen Strategien und Ungleichheiten in der Union weiter Zwietracht verursachen - dazu sagt er nichts. Das tat vielmehr der deutsche Energiekommissar Günther Oettinger. Der hatte am Vorabend auf einer Veranstaltung in Brüssel gelästert. Bulgarien, Rumänien und Italien seien "im Grunde genommen kaum regierbar", sagte er unter anderem. Darauf angesprochen, brachte Barroso die versammelte Presse zum Lachen: "Ich glaube, alle Staaten in Europa sind in der Lage, sich selbst zu regieren - wenn sie den Empfehlungen der Kommission folgen."

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