Japan: Wirtschaft in Not:Zu wenig Strom, zu viel Strahlung

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Japans Autokonzerne sparen verzweifelt Strom, der Hersteller einer nur dort produzierten Auto-Spezialfarbe muss gleich das komplette Werk räumen: Die Atomkatastrophe setzt der Wirtschaft schwer zu.

Silvia Liebrich

Die Folgen des verheerenden Erdbebens und der Atomkatastrophe von Fukushima bringen Japans Wirtschaft zunehmend in Bedrängnis. Immer deutlicher zeigt sich, dass das Land seine schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg vermutlich nicht ohne internationale Hilfe bewältigen kann.

Das waren Neuwagen, in alle Welt verschifft werden sollten. Geblieben ist nach dem Tsunami ein Schrotthaufen. (Foto: AP)

Seit dem Unglück sind die Ausfuhren von Gütern bereits deutlich zurückgegangen. Und Engpässe in der Stromversorgung führen dazu, dass mehr als zwei Wochen nach dem Beben viele japanische Firmen, die nicht unmittelbar von den Zerstörungen betroffen sind, nur eingeschränkt produzieren können. Die Industrie richtet sich darauf ein, dass dieser Zustand länger andauern wird.

Japans Autohersteller überlegen bereits, wie sie Strom sparen können. In Branchenkreisen hieß es am Wochenende, es werde an einem Rotationsplan gearbeitet, bei dem einzelne Hersteller abwechselnd die Produktion herunterfahren. Damit wollten die Produzenten unkontrollierte Stromausfälle, so genannte Blackouts, verhindern, die dann auftreten können, wenn die Stromnetze überlastet sind. Bei einem unerwarteten Ausfall von drei Stunden würde es zum Beispiel mindestens neun Stunden dauern, bis eine Karosseriefertigung wieder richtig anlaufen kann.

Enorme Produktionsausfälle

Die japanische Autoindustrie fabriziert seit dem Erdbeben nur noch eingeschränkt. Die acht größten Hersteller erwarten Produktionsausfälle von vorerst mindestens 365.000 Fahrzeugen. Wenn die Bänder nicht, wie geplant, wieder anlaufen, seien höhere Ausfälle nicht ausgeschlossen, sagen Branchenvertreter.

Die Folgen des Erdbebens belasten inzwischen die gesamte Branche. Einige Spezialfarben für die Autoindustrie sind weltweit knapp, weil ein Werk des Darmstädter Chemie- und Pharmakonzerns Merck in Japan geschlossen bleibt. Es liege nur 45 Kilometer von Fukushima entfernt und sei nach dem Beben evakuiert worden, sagte eine Firmensprecher. 160 Mitarbeiter und ihre Familien befänden sich in Sicherheit. Wann oder ob die Anlage überhaupt wieder in Betrieb geht, gilt als ungewiss. Merck stellt nach eigenen Angaben in Japan Pigmente für Lacke mit Glitzereffekt her. Das Werk in Japan sei weltweit das einzige, in dem das Spezialpigment Xirallic produziert werde, hieß es weiter.

Während einige deutsche Hersteller noch prüfen, ob sie auf Kurzarbeit umstellen, weil Bauteile aus Japan fehlen, zieht der amerikanische Hersteller Ford bereits erste Konsequenzen.

Die Arbeit im belgischen Werk in Genk soll vom 4. April an für fünf Tage ruhen. Bei dem Unternehmen will man dies als Vorsichtsmaßnahme verstanden wissen. Bisher gebe es keine Lieferprobleme, betonte ein Vertreter von Ford. Es gehe darum, einem Mangel an notwendigen Komponenten vorzubeugen.

In Japan wächst die Sorge, dass die Exporte des Landes weiter einbrechen könnten. Dies gilt auch für Lebensmittel. Länder wie Australien oder Singapur beschränkten aus Angst vor Verstrahlung die Einfuhr japanischer Lebensmittel stark, Deutschland kündigte verschärfte Kontrollen an. Am Dienstag wollen sich japanische Regierungsvertreter deshalb mit Mitgliedern der Welthandelsorganisation WTO beraten. Ziel sei es, eine Überreaktion an den Weltmärkten zu vermeiden, hieß es in Diplomatenkreisen.

Japan wolle die WTO an ihre eigenen Bestimmungen erinnern, wonach es verboten sei, ohne wissenschaftliche Beweise Handelsrestriktionen zu verhängen. Japan selbst hat strikte Lieferstopps für mehrere Gemüsearten und Milch aus der Region um Fukushima erlassen. Große internationale Reedereien kündigten unterdessen an, dass sie die Häfen von Tokio und Yokohama wegen der erhöhten Strahlenbelastung künftig nicht mehr ansteuern wollen.

Vielen japanischen Firmen geht nach der Katastrophe offenbar das Geld aus. Die Kreditanträge von Unternehmen hätten in den vergangenen zwei Wochen deutlich zugenommen, berichtete die Wirtschaftszeitung Nikkei am Sonntag. Die Firmen benötigten das Kapital, um Schäden zu beseitigen und den Betrieb aufrechtzuerhalten. Bei den größten Banken des Landes wurden demnach Kredite in Höhe von umgerechnet 22 Milliarden Euro beantragt. Allein Tepco, der Betreiber des havarierten Kraftwerkes von Fukushima, bat um 18 Milliarden Euro.

Das Bundesfinanzministerium stellt privaten Spendern sowie gemeinnützigen Organisationen und Unternehmen, die in Japan finanzielle Hilfe leisten wollen, Steuererleichterungen in Aussicht. Die Vereinfachungen gelten nach Angaben des Ministeriums vom 11. März bis zum 31. Dezember 2011.

© SZ vom 28.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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