200 Jahre Krupp:Der deutscheste aller Industriekonzerne

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Viele Krisen stand Krupp durch - das Ende des Zweiten Weltkriegs war fast auch das Ende des Unternehmens. Manche sagen, es sei die größte Leistung des Stahlkonzerns, dass er immer wieder überlebt habe. Von der "Dicken Bertha" über Wehrwirtschaftsführer bis zu Berthold Beitz: ein Rückblick auf die Geschichte eines sehr deutschen Industriekonzerns.

Karl-Heinz Büschemann

Der Auftrieb in der Villa Hügel wird bescheiden sein, gemessen an dem, was andere Unternehmen bei solchen Gelegenheiten veranstalten. Nur 200 Geladene werden sich am kommenden Sonntag auf dem Stammsitz der Industriellenfamilie Krupp in Essen einfinden, um das 200-jährige Bestehen des Ruhrunternehmens zu feiern, das heute Thyssen-Krupp heißt.

Industriekonzern Krupp
:Zweihundert - und trotzdem noch da

Viele Krisen stand Krupp durch - am Ende des Zweiten Weltkriegs lag das Unternehmen vollends am Boden. Manche sagen, es sei die größte Leistung der Firma Krupp, dass sie immer wieder überlebt habe. Ein Rückblick auf die Geschichte des deutschesten Industriekonzerns.

Von Veronika Bürklin und Florian Ladurner

Klicken Sie auf das Bild, um zum interaktiven Zeitstrahl zu gelangen und einen Blick auf die 200-jährige Geschichte von Krupp zu werfen.

Bundespräsident Christian Wulff wird eine Rede halten, die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, der Bürgermeister von Essen und der große alte Mann von Krupp, Berthold Beitz, werden feierliche Worte finden. Der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim wird am Flügel den festlichen Klang beisteuern. Man gibt sich bescheiden. Mitten in einer Finanzkrise und am Anfang einer neuen Wirtschaftsflaute wollen die Krupp-Manager den Eindruck einer rauschenden Riesensause vermeiden. Denn so makellos ist die Geschichte des vielleicht deutschesten aller Industriekonzerne auch wieder nicht.

Der junge Friedrich Krupp, ein Erbe wohlhabender Eltern, gründete im Jahr 1811 einen Steinwurf vom Essener Stadtzentrum entfernt eine kleine Schmiede, aus der später der Weltkonzern wurde. Der Name Krupp stand bald für Stahl den lange keiner so haltbar hinbekam wie die Essener. Krupp sorgte für Eisenbahnen, baute bald auch Waffen, deren berühmtestes Exemplar der 42-cm-Mörser ("Dicke Bertha") im Ersten Weltkrieg war. Die Essener erfanden vor knapp 100 Jahren den rostfreien Edelstahl und gaben ihm den Namen Nirosta.

Krupp-Produkte standen für Innovation, und die Firma wurde zum Symbol für den Aufstieg Deutschlands als Industrienation. "Krupp hatte die größte Bedeutung in den Jahren 1860 bis 1918", urteilt ein Wirtschaftshistoriker. Aber der Name Krupp steht bis heute auch für Krisen. Mehrmals stand das Traditionsunternehmen am Rand der Pleite. Manche Fachleute behaupten, die Hälfte der 200 Jahre von Krupp könnten als Krisenzeit eingestuft werden. In Essen sagen deswegen manche, die große Leistung bestehe darin, dass das Unternehmen noch immer existiert.

Von den fünf Familien-Eigentümern, die der Konzern von 1811 bis 1967 hatte, war nur einer wirklich erfolgreich. Alfred, der Sohn von Gründer Friedrich, machte aus der Sechs-Mann-Werkstatt des Vaters bis zu seinem Tode 1887 einen Weltkonzern mit 20.000 Beschäftigten. Alfred setzte die stolze Villa Hügel als sein Wohnhaus und unübersehbares Familien-Denkmal in die Essener Parklandschaft über der Ruhr.

Krupp und die Weltkriege

Aber Alfred legte schon im neunzehnten Jahrhundert den Keim für die größte Katastrophe, die seine Firma durchleben sollte: den Zweiten Weltkrieg. Er begann mit dem Waffenbau, der das Unternehmen später in eine fatale Nähe zu den Mächtigen des Dritten Reiches brachte. Der Hitler-Krieg stoppte die Entwicklung der Firma wie kein Ereignis zuvor. Krupp hatte dem Nazireich Panzer, Abwehrkanonen oder Flugabwehrgeschütze geliefert. Hitler ernannte den Firmenchef Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und dessen Sohn Alfried zu Wehrwirtschaftsführern. Dafür mussten Familie und Unternehmen schwer büßen.

Krupp war am Ende des Krieges zu 30 Prozent zerstört. Weitere 40 Prozent wurden von den Alliierten demontiert. Das mächtige Unternehmen Krupp lag am Boden. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, der letzte Krupp in der Firmenspitze, wurde 1948 als Kriegsverbrecher wegen des Einsatzes von Zwangsarbeitern zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Krupp war jahrelang ohne Führung und konnte nie mehr an die alten Erfolge anknüpfen. "Damals haben wir 15 bis 20 Jahre verloren", sagt dazu heute ein Thyssen-Krupp-Vorstandsmitglied. Schon früher hatte Krupp mehr von den Kriegen profitiert als vom Frieden danach.

200 Jahre Krupp - Rauch und Dampf steigt in Duisburg aus den Schloten im Stahlwerk von ThyssenKrupp. (Foto: dpa)

Bald nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, den Preußen und Süddeutsche auch wegen der Überlegenheit ihrer Krupp-Waffen gewannen, ging eine schwere Wirtschaftskrise um die Welt. Alfred Krupp musste damals beim Kaiser um Hilfe betteln. Ähnlich war es nach dem Ersten Weltkrieg, der die Krupp'schen Werke zu 100 Prozent ausgelastet hatte. Der Versailler Friedensvertrag verbot den Deutschen die Waffenproduktion. Krupp konnte sich erst in den dreißiger Jahren erholen, als die Produktion der Waffen für den nächsten Weltkrieg begann.

Nach 1945 gestaltete vor allem einer die Entwicklung des Unternehmens: Berthold Beitz. Der von Krieg und Haft zermürbte Alfried Krupp hatte nach der vorzeitigen Haftentlassung den 40-jährigen Hamburger Versicherungsmanager im Jahre 1953 nach Essen geholt und dem jungen Mann mit dem eleganten Auftreten die Generalvollmacht zur Führung des Konzerns erteilt. Beitz sorgte dafür, dass Krupp nach 1967 kein Familienunternehmen mehr ist. Den letzten Familienerben, Arndt von Bohlen und Halbach, bugsierte er mit einer Millionenabfindung aus dem Unternehmen, das danach von einer Stiftung geführt wurde, deren Chef noch heute der inzwischen 98-jährige Beitz ist.

Aber auch unter seiner Regie des als Retter gefeierten Beitz taumelten die Essener bald wieder von einer Krise in die andere. Die Waffenfertigung hatten sie eingestellt. Die Stahlproduktion aber nicht und so kam es immer wieder zu Schieflagen. Mal lag es am Niedergang der Montanindustrie, mal an reinem Missmanagement.

Krupp musste sich 1967 von der Bundesregierung mit einer Kreditbürgschaft retten lassen. Als der Konzern 1976 schon wieder in Not war, half der Schah von Persien und beteiligte sich mit 25 Prozent an Krupp. Krupp verdiente meist zu wenig, manchmal entstanden sogar Verluste. Der Konzern lebte oft von der Substanz. Zwischen 1967 und 1989 hatte Krupp fünf Vorstandsvorsitzende. Einer war nur 66 Tage am Werk. Als Beitz achtzig wurde, räumte er reumütig ein: "Mein größter Fehler war, dass ich mich oft in Menschen getäuscht habe."

Die Wende kam 1989, als Gerhard Cromme den Chefstuhl bei Krupp übernahm. Unter der Regie des hochgewachsenen Niedersachsen wurde Krupp zwar nicht ertragreicher. Cromme, der seine Karriere bei dem französischen Unternehmen Saint Gobain begonnen hatte und bis dahin nicht zum Establishment der Ruhrbarone gehört hatte, änderte die Kuschelregeln im Revier wie kein anderer zuvor. Nur dank Crommes kompromissloser Fusionspolitik ist der Name Krupp nicht schon in den neunziger Jahren untergegangen.

Kaum war Cromme zwei Jahre als Krupp-Chef im Amt, da wagte er sich auf verbotenes Gelände. Mal wieder hatte eine Stahlkrise die deutschen Hüttenkonzerne zermürbt, aber keinem ging es so schlecht wie Krupp. Und trotzdem wagte zum ersten Mal ein Ruhr-Konzernchef eine feindliche Übernahme: Cromme übernahm den Dortmunder Konkurrenten Hoesch gegen den Willen von dessen Management und Belegschaft.

Der Lahme schluckt den Großen

1997 ging er noch einen Schritt weiter. Er startete die Attacke auf den viel besser dastehenden Düsseldorfer Konkurrenten Thyssen. Cromme brachte die Thyssen-Belegschaft und das halbe Ruhrgebiet gegen sich auf. "Hängt ihn auf", riefen damals wütende Demonstranten aus der Thyssen-Belegschaft, die um ihre Arbeitsplätze fürchteten. Zwei Jahre später war er am Ziel. "Wenn wir das jetzt nicht machen, gibt es Krupp in fünf Jahren nicht mehr", war damals Crommes Credo.

Die viel näher liegende Lösung, die Übernahme von Krupp durch Thyssen, konnte Cromme verhindern. Die Krupp-Stiftung, die damals die Hälfte am Unternehmen hielt, machte Krupp-Hoesch zu einer uneinnehmbaren Festung. Nur andersherum konnte es gehen: Der Lahme schluckte den Großen. Der damalige Thyssen-Chef Dieter Vogel sprach von "Wildwestmanieren".

Thyssen-Krupp hieß am Ende der Dax-Konzern, der heute mit rund 180.000 Beschäftigten einen Jahresumsatz von mehr als 40 Milliarden Euro macht. Bei der Namensfolge musste die Krupp-Seite nachgeben. Die Wahl der Düsseldorfer Thyssen-Zentrale als Konzernsitz verstärkte den Eindruck, der eigentliche Sieger im Machtkampf wäre Thyssen gewesen.

Doch die Fäden im Unternehmen wurden weiter von Berthold Beitz in der Villa Hügel gezogen. Noch heute ist Alfried Krupps Testamentsvollstrecker die letzte Instanz im Geschäft von Thyssen-Krupp mit Stahl und Aufzügen oder Autoteilen. Keine wichtige Entscheidung geht an dem 98-jährigen Patriarchen vorbei, der sich noch heute täglich ins Büro fahren lässt. Die Stiftung hält zwar nur noch ein Viertel des Kapitals von Thyssen-Krupp. Aber das reicht, um dafür zu sorgen, dass sich im Unternehmen nichts ändert.

Das ist für den heutigen Konzernchef Heinrich Hiesinger bedauerlich. Denn Thyssen-Krupp steckt wieder einmal in einer Krise. Der Konzern ist hoch verschuldet, hat viele Milliarden mit dem Bau eines Stahlwerks in Brasilien verloren und braucht dringend Geld. Doch die Stiftung würde einer Erhöhung des Kapitals nie zustimmen. Das würde dem Konzern neue Bewegungsfreiheit geben, aber das Vetorecht, die einzige Macht der Stiftung, wäre ebenfalls dahin.

© SZ vom 16.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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