IWF-Bericht:Nach dem Lob ist vor der Gefahr

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Fördert die Berufstätigkeit von Frauen, IWF-Direktorin Christine Lagarde (Foto: Malte Ossowski/Sven Simon/imago)

Der IWF nennt die deutsche Wirtschaftskraft beeindruckend - und fordert zugleich niedrigere Abgaben, mehr Bildung und Frauen in Vollzeitjobs.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Olaf Scholz gehört zu denen, die bevorzugt zwischen den Zeilen lesen. Insofern dürfte der Bundesfinanzminister einiges Vergnügen an den neuen Bericht des Internationalen Währungsfonds zur wirtschaftlichen Lage Deutschlands finden. In der an diesem Montag vom IWF vorgelegten Zusammenfassung seiner jährlichen Untersuchung wimmelt es von versteckten Botschaften.

Die aus deutscher Sicht Wichtigste ist wohl, dass die zum bundesdeutschen Fetisch erklärte schwarze Null von den Ökonomen gar nicht erwähnt wird. Statt den ausgeglichenen Haushalt zu loben, fordert der IWF "die neue Regierung" in freundlichen Worten auf, die finanziellen Spielräume zu nutzen, um "energischere Maßnahmen" zu ergreifen. Man kann das auch so verstehen, dass der IWF die im Koalitionsvertrag verabredeten Projekte allein nicht für ausreichend hält, um das Land auf die Veränderungen in der Arbeitswelt und des digitalen Wirtschaftens einzustellen. Und so, dass der IWF mahnt, sich nicht mehr auf den Erfolgen der Agenda 2010 auszuruhen, sondern nötige Reformen anzugehen und zu investieren. Besonders wichtig sind dem IWF Rente, Wohnungspreise, Bildung, Sozialabgaben, Steuern und Löhne.

Es ist nun durchaus eine heikle Angelegenheit, wenn technische Experten einer globalen Finanzorganisation einer demokratisch gewählten Regierung Hinweise geben, was sie wirtschaftspolitisch zu tun haben könnte. Insofern ist es klug, dass die Ökonomen ihre dringenden Handlungsaufforderungen in einen freundlichen Rahmen packen. Die Kraft der deutschen Wirtschaft sei "beeindruckend", heißt es gleich am Anfang des Berichts. Dass es so gut aussehe, liege an einem umsichtigen Management und früheren Reformen. Die Beschäftigungsrate sei ansteigend, die Löhne ebenfalls, die staatliche Schuldenquote sinke rapide, Haushalte und Unternehmen seien solide aufgestellt.

So weit zur positiven Gegenwart. Doch am Horizont, so lautet die kaum versteckte Botschaft des IWF, lauern die Gefahren. Die deutsche Gesellschaft altere stark, deshalb müsse die Regierung jetzt Maßnahmen ergreifen, um effizienter zu wirtschaften und Geld investieren, um Wachstumspotenziale zu heben und langfristig den Handelsbilanzüberschuss abzubauen.

Die Überschüsse im deutschen Staatshaushalt müssten auch dazu genutzt werden, um in Unternehmen und Humankapital zu investieren. Neue Technologien müssten selbstverständlicher entwickelt und eingeführt werden, professionelle Dienstleistungen ausgeweitet und Industriezweige besser vernetzt werden.

Kritisch bewertet der IWF den Stand des Rentensystems. Die Experten des Fonds empfehlen der Bundesregierung, über eine Anpassung des Renteneintrittsalters an die Lebenszeit nachzudenken. Bürger könnten damit länger am Arbeitsleben teilnehmen, sie müssten nicht mehr so viel private Rentenvorsorge betreiben und minderten zugleich das Risiko der Altersarmut. Der Staat spare weitere Steuerzuschüsse in das Rentensystem. Eine neue Obergrenze für das Ausscheiden aus dem Arbeitsleben gibt der IWF allerdings nicht an - wohl auch, um die kontroverse Debatte darüber nicht weiter zu befeuern.

Ausdrücklich positiv bewertet der IWF die steigenden Löhne. Der Anstieg reicht allerdings noch nicht aus, um den deutschen Handelsbilanzüberschuss spürbar abzusenken. Im vergangenen Jahr sei der erwirtschaftetet Überschuss von acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts unverändert hoch geblieben. Das werde sich ohne konsequentes Umsteuern, etwa beim privaten Konsum, auch mittelfristig nicht ändern. Erst ab 2023 prognostiziert der IWF das Absinken des Handelsbilanzüberschusses um jährlich 0,5 bis ein Prozent.

Ungewöhnlich deutlich fordern die Experten die Regierung auf, die Abgaben auf Arbeit zu senken. Die hohe Belastung insbesondere auf niedrigere Einkommen sei eine schwache Stelle im Steuer- und Sozialsystem. Hohe Abgaben reduzierten den Anreiz, überhaupt arbeiten zu gehen. Die Ökonomen empfehlen, die Sozialabgaben zu senken.

Eine deutliche Warnung gibt es vor zu viel deutscher Zögerlichkeit. Schon ab 2020 sei ein deutlicher Fachkräftemangel zu erwarten. Das liege an der Altersstruktur der Bevölkerung. Aber auch daran, dass viele heutige Jobs in einigen Jahren nicht mehr gebracht würden. "Ein großer Teil der deutschen Berufe davon bedroht, durch neue Technologien abgeschafft zu werden", schreiben die Ökonomen. Gleichzeitig machten hohe Steuern auf Arbeit diese teuer. Zudem arbeiteten auch in Deutschland auch zunehmend Frauen, die Hälfte von ihnen allerdings nur in Teilzeit. "Zusammengenommen beeinträchtigen diese Faktoren das langfristige Wachstum". Unmissverständlicher kann eine Warnung nicht ausfallen - auch nicht zwischen den Zeilen.

© SZ vom 15.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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