Insolvenzen in den USA:Die Pleite als Chance

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Von Delta bis Delphi: Gescheiterte Unternehmen werden in den USA von einem legendären Gesetz geschützt. Manchmal zu gut, sagen Kritiker.

Nikolaus Piper

Die Insolvenz von General Motors am Pfingstmontag ist ein epochaler Einschnitt für die Vereinigten Staaten, aber es ist nicht die größte Pleite der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte. Diesen Rang nimmt der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im vergangenen Jahr ein. An zweiter Stelle folgt ein weiteres Opfer der Finanzkrise, die Großsparkasse Washington Mutual, an dritter der Telefonkonzern Worldcom und erst an vierter General Motors.

Es gab viele Firmenpleiten in der Geschichte der USA. Aber Lehman Brothers war die größte. (Foto: Foto: Getty)

Erstaunlich viele Unternehmen, die Gläubigerschutz nach Kapitel 11 ("Chapter 11") des US-Konkursrechts beantragt haben, gibt es noch. Sie haben die Unterstützung des Konkursrichters genutzt, um sich zu sanieren. Deshalb ist es immer etwas missverständlich, den Antrag auf Gläubigerschutz mit dem deutschen Wort "Pleite" zu übersetzen.

Bestes Beispiel für die Wirkung von Kapitel 11 ist die Luftfahrt. Fast alle namhaften US-Fluggesellschaften waren in jüngerer Zeit schon einmal pleite.

Chance für eine Grundsanierung

Delta Airlines zum Beispiel beantragte am 14. September 2005 Gläubigerschutz, weil das Management die Folgen des gestiegenen Ölpreises nicht in den Griff bekam. Unter dem Schutz von Kapitel 11 begann Delta eine aggressive Sanierungsstrategie, eine Mischung aus Kostensenkung und Ausweitung des Angebots. Am 30. April 2007 konnte das Unternehmen den Gläubigerschutz wieder verlassen.

Im vorigen Jahr übernahm Delta die kleinere Gesellschaft Northwest Airlines. Der Fall ist insofern bemerkenswert, als Northwest am 14. September 2005, nur ein paar Minuten nach Delta, ebenfalls Insolvenz angemeldet hatte. Auch Northwest nutzte dies für eine Grundsanierung. Mit Genehmigung des Insolvenzgerichts erwarb die Fluggesellschaft am 24. April 2007 sogar ihren ebenfalls bankrotten Regionalpartner Mesaba Airlines. Einen Monat später verließ Northwest den Gläubigerschutz, am 29. Oktober 2008 wurde der Zusammenschluss mit Delta rechtskräftig.

Die Fluggesellschaft United Airlines - Partner der Lufthansa in der Star Alliance - beantragte am 9. Dezember 2002 Gläubigerschutz. Unmittelbarer Anlass war die Krise der Branche nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001.

United kürzte Gehälter und Pensionszusagen drastisch. Viele Inlandsflüge wurden gestrichen, andere an Billiganbieter ausgelagert. Gleichzeitig versuchte United, ertragreichere Auslandsflüge auszuweiten. Als eine der ersten Fluggesellschaften begann United damit, für Mahlzeiten an Bord Geld zu verlangen. Am 1. Februar 2006 verließ das Unternehmen den Gläubigerschutz wieder.

Die Gesellschaft US Airways - ebenfalls eine Lufthansa-Partnerin - hatte im August 2002 Kapitel 11 in Anspruch genommen und wurde durch einen Überbrückungskredit der amerikanischen Regierung gestützt. Ein Jahr später konnte das Unternehmen den Gläubigerschutz schon wieder verlassen. Das Beispiel der Fluggesellschaften zeigt, wie wirksam Kapitel 11 sein kann.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie es den drei größten US-Pleitefirmen ergangen ist.

Ohne den Schutz des Konkursrechts hätten die Sanierungsmaßnahmen weder bei Delta noch bei United eine Chance gehabt. Kritiker bemängeln aber auch genau dies: Dass das Konkursrecht zu viel Rücksicht auf gescheiterte Unternehmen nimmt und so die Bereinigung des Marktes erschwert. Bis heute leidet die US-Luftfahrtindustrie unter Überkapazitäten und niedrigen Erträgen. Im Falle von General Motors versuchte das Team von Präsident Barack Obama, dieser Kritik dadurch zu begegnen, dass von vorneherein Kostensenkungen und die Schließung von Fabriken vereinbart wurden.

Ein anderer interessanter Fall ist Texaco. Die Ölgesellschaft musste als Spätfolge eines verlorenen Rechtsstreits 1987 Gläubigerschutz beantragen. Ein Gericht hatte Texaco zu 10,53 Milliarden Dollar Schadenersatz an den Konkurrenten Pennzoil verurteilt, weil es dessen Rechte im Streit um die Übernahme von Getty Oil verletzt sah. Im Zuge der Insolvenz verkaufte Texaco sein deutsches Tankstellennetz an RWE, das die Tankstellen in DEA umbenannte. Später wurden die meisten Stationen an Shell verkauft. Texaco verließ den Gläubigerschutz 1988 und wurde 2000 vom Konkurrenten Chevron übernommen.

Konkursrecht nicht genutzt

Die größte Pleite in der Geschichte der Vereinigten Staaten ist der Zusammenbruch von Lehman Brothers. Die Investmentbank mit einer Bilanzsumme von zuletzt 640 Milliarden Dollar hatte am 15. September 2008 Gläubigerschutz beantragt - es war der Beginn der heißen Phase der globalen Finanzkrise. Im Falle von Lehman wurde das Konkursrecht nicht genutzt, um die Bank zu erhalten, sondern um werthaltige Bestandteile schnell und unbürokratisch zu veräußern: Die britische Barclays Bank erwarb das Nordamerika-Geschäft, Nomura die asiatischen Töchter des Konzerns; eine Gruppe von Finanzinvestoren erhielt die Vermögensverwaltung Neuberger Berman.

Lehman war nicht die erste Wall-Street-Bank, die Gläubigerschutz beantragte. Im Februar 1990 hatte es Drexel Burnham Lambert erwischt, eine Firma, die unter Michael Milken als treibende Kraft hinter dem Übernahmefieber der 80er Jahre berühmt wurde. Die Firma wurde nach der Insolvenz zerschlagen.

Betrügerischer Konkurs

Die Nummer zwei in der Rangliste der größten Insolvenzen, Washington Mutual (Bilanzsumme: 328 Milliarden Dollar), musste eine Woche nach Lehman Gläubigerschutz beantragen. Die staatliche Einlagensicherung FDIC stellte sie unter Zwangsverwaltung und ordnete den Verkauf an die Großbank JP Morgan Chase an. Die drittgrößte Insolvenz war ein betrügerischer Konkurs: Das Telekommunikationsunternehmen Worldcom (Bilanzsumme 103,9 Milliarden Dollar) stellte sich im Juli 2002 nach massiven Bilanzmanipulationen unter den Schutz des Gesetzes; Worldcom-Chef Bernard Ebbers wurde später zu 25 Jahren Haft verurteilt. Ähnlich war es beim Energiehändler Enron (Bilanzsumme 65,5 Milliarden Dollar). Dessen Management hatte über lange Zeit Erträge in die Bücher geschrieben, die es gar nicht gab. Im Dezember 2001 war Enron zahlungsunfähig. Weder bei Enron noch bei Worldcom gab es noch etwas zu retten; beide Unternehmen gibt es heute nicht mehr.

Immer noch unter dem Schutz des Konkursrechts befindet sich eine ehemalige Tochter von General Motors: der Autozulieferer Delphi. GM hatte Delphi 1999 abgespalten, um dort nicht mehr die hohen Konzerngehälter zahlen zu müssen. Im Oktober 2005 meldete Delphi Insolvenz für sein amerikanisches Geschäft an; die europäischen Teile, darunter mehrere Tochterfirmen in Deutschland, waren nicht betroffen. Am Montag, zeitgleich mit der Insolvenz von GM, veröffentlichte Delphi einen neuen Restrukturierungsplan, um möglichst schnell den Gläubigerschutz verlassen zu können.

© SZ vom 03.06.2009/lauc/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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