General Motors in Insolvenz:Eine Wiederbelebung als "American Dream"

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Zeitenwende in Detroit: Der marode Autoriese General Motors meldet Insolvenz an. Nur die Banken kommen gut weg.

Moritz Koch, New York

Monatelang haben die Amerikaner diesem Moment entgegengeblickt, viele mit Sorge, einige mit Genugtuung. Am Montagmorgen um acht Uhr Ortszeit ist es soweit: General Motors (GM) meldet Konkurs an. Einige Stunden später wird Präsident Barack Obama im Weißen Haus vor die Presse treten. Der Auftritt von GM-Chef Fritz Henderson ist für den Mittag in New York geplant.

Dämmerung oder Neubeginn: Die Insolvenz des einst größten Autoherstellers der Welt ist auf jeden Fall eine Zeitenwende. (Foto: Foto: Reuters)

Die Choreographie steht also für den 1. Juni 2009, ein Datum, das in die Wirtschaftsgeschichte eingehen wird.

GM - das war einst der größte Autohersteller der Welt und das industrielle Herz der USA. Eine Industrie-Ikone. Doch der Glanz verblasste mit den Jahren. Der Konzern wurde träge, verschlief Innovationen und versprach Sozialleistungen, die er sich nicht leisten konnte. Schon nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit durften GM-Arbeiter in Rente gehen. Sie konnten einen langen Ruhestand genießen, bestens versorgt mit einer Gesundheitsversicherung auf Konzernkosten.

GM verschuldete sich, um den enormen Zahlungspflichten nachzukommen - bis der Konzern unter der Last der Zinsen zusammenbrach. Eine Milliarde Dollar hätte das Unternehmen am Montag seinen Geldgebern auszahlen sollen. Geld, das GM nicht hat.

Die letzten Etappen eines jahrzehntelangen Leidenswegs

So paradox es klingt: Die Zahlungsunfähigkeit ist die letzte Überlebenschance für den Konzern. Nur mit staatlichen Hilfen konnte sich GM ins zweite Quartal schleppen. 20 Milliarden Dollar aus Washington hat der Autohersteller auf den letzten Etappen eines jahrzehntelangen Leidenswegs verschlungen .

Seit 2004 hat GM keinen Gewinn mehr verbucht. Nun soll ein Neuanfang gelingen, eine Wiedergeburt unter Gläubigerschutz. Das US-Insolvenzrecht ermöglicht Sanierungsschritte, die bei normalem Betrieb undenkbar wären.

Und so verbreitet das Weiße Haus in einer Erklärung Optimismus: Der heutige Tag markiere das Ende des alten General Motors und den Anbeginn des "neuen GM".

Der Plan der Regierung sieht vor, ein neues Unternehmen zu gründen. Das "neue GM" soll die lukrativen Konzernteile aufkaufen, darunter moderne Fabriken und Automarken wie Chevrolet, Cadillac und Buick. Der unrentable Rest, samt Zahlungsverpflichtungen und Verlustbringern wie Pontiac und Saturn, soll abgewickelt werden. Der Unternehmensberater Al Koch wird das Verfahren leiten. Er soll nach Informationen des Wall Street Journal Chefsanierer werden.

Die Regierung will den Neuanfang von GM mit weiteren 30 Milliarden Dollar stützen. Darüber hinaus soll es aber keine Hilfen geben, heißt es am Sonntag. "Wir glauben, dass dies die permanente Lösung der GM-Frage ist", sagte ein hochrangiger Regierungsbeamter am Sonntag. Kategorisch ausschließen wollte er weitere Überweisungen allerdings nicht.

Im August soll sich das neue GM aus dem Bankrott erheben - vorausgesetzt das Insolvenzgericht spielt mit. Schließlich liegt das Schicksal der amerikanischen Autoindustrie in den Händen von Konkursjuristen. Von ihren Entscheidungen hängt ab, ob das Konzept der Regierung aufgeht.

Mut machen der Regierung die zügigen Fortschritte im Insolvenzverfahren von Chrysler, dem kleineren GM-Konkurrenten, der vor knapp vier Wochen bankrott ging. Dort läuft offenbar alles nach Plan. Schon heute könnte Chrysler den Gläubigerschutz verlassen und in die angestrebte Allianz mit dem italienischen Fiat-Konzern eintreten. Zwar sei das GM-Puzzle ungleich komplizierter, heißt es in Washington. Aber im Grundsatz seien beide Insolvenzverfahren ähnlich.

Eine Wette auf eine Erholung des Automarktes

Erfreut zeigt sich die Regierung über "die starke Unterstützung der Gläubiger". Nachdem sie sich am Donnerstag die Zustimmung einer wichtigen Geldgeber-Allianz für ein verbessertes Umschuldungsangebot sichern konnte, gaben am Samstag weitere Investoren nach und versprachen, den Sanierungsplan vor dem Insolvenzgericht nicht anzufechten. Ingesamt hat die Regierung damit mehr als die Hälfte der Gläubiger auf ihrer Seite.

Mit der Gewerkschaft UAW hat sich GM schon auf erhebliche Einsparungen verständigt. Damit soll der Hersteller künftig auch auf einem deutlich kleineren Automarkt profitabel sein. Bisher mussten in Amerika pro Jahr 16 Millionen Autos verkauft werden, damit GM seine Kosten decken konnte. Künftig sollen zehn Millionen reichen. Allerdings: Derzeit sind es weniger als 9,5 Millionen.

Die Sanierung ist damit auch eine Wette auf eine Erholung des Automarktes. Selbst wenn alles so kommt, wie es Washington wünscht, wird bei GM nichts mehr sein, wie es war. Für Arbeiter, Gläubiger, Manager, Händler und Kunden kommt die Insolvenz einer Zeitenwende gleich. "Geteiltes Leid" lautet das Prinzip, auf das Präsident Barack Obama bei der GM-Sanierung beharrt.

Lesen Sie auf Seite zwei, was die Insovlenz von General Motors für Arbeiter, Rentner, Gläubiger, Manager, Händler und Kunden bedeutet.

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Die Autogewerkschaft UAW wird sich mit deutlich weniger Geld für einen Fonds zufrieden geben müssen, aus dem die Gesundheitsversicherungen von Betriebsrentnern bezahlt werden. 20 Milliarden Dollar in Bar schuldet GM der UAW dafür - Geld, das die Gewerkschaft nie erhalten wird.

Vielmehr erhält die UAW einen 17,5-Prozent-Anteil am "neuen GM", über Optionsscheine Zugriff auf weitere 2,5 Prozent und Vorzugsaktien im Wert von 6,5 Milliarden Dollar, die eine Dividende von neun Prozent ausschütten. Insgesamt spart GM dadurch zehn Milliarden Dollar. Ehemaligen Angestellten stehen Kürzungen bei Renten und Gesundheitsleistungen bevor.

Auch auf die Beschäftigen kommen tiefe Einschnitte zu. Etwa ein Dutzend Fabriken sollen geschlossen werden. Viele Tausend Arbeiter werden ihre Jobs verlieren. Die Übriggebliebenen werden Kürzungen hinnehmen müssen, etwa beim Einstiegsgehalt und der Bezahlung von Überstunden.

Obwohl die Arbeiter Anteilseigner werden, sollen sie sich nach dem Willen Washingtons nicht ins Tagesgeschäft einmischen. Allerdings dürfen sie künftig ein Mitglied des Verwaltungsrats stellen, der GM führt.

Gläubiger

Ungeschoren kommen nur die Banken davon. Kreditinstitute wie JP Morgan Chase, Citigroup und Credit Suisse waren die einzigen Gläubiger, die über gesicherte Ansprüche verfügten - und sollen ihre Darlehen von insgesamt sechs Milliarden Dollar in vollem Umfang zurückbekommen.

Der weitaus größere Teil der GM-Gläubiger sind Investoren, die Unternehmensanleihen gekauft haben, darunter Hedgefonds, Vermögensverwalter und zehntausenden Privatanleger. Sie müssen sich auf starke Einbußen einstellen.

Jenen, die das letzte Umschuldungsangebot der Regierung angenommen haben, hat Washington immerhin eine Beteiligung von insgesamt zehn Prozent am "neuen GM" versprochen, dazu Optionsscheine, mit denen sie später weitere 15 Prozent kaufen können.

Jene dagegen, die das Kompromissangebot ausgeschlagen haben, will die Regierung abstrafen. Sie hat angekündigt, vor dem Insolvenzgericht dafür zu kämpfen, dass renitente Gläubiger deutlich weniger bekommen werden als die kooperativen.

Manager

Die Konzernlenker müssen sich mit neuen Mehrheitseignern arrangieren. Die Regierungen von Amerika und Kanada wollen fast drei Viertel des "neuen GM" übernehmen.

Zwar versichert Washington, sich nicht in das Tagesgeschäft einmischen zu wollen. Doch der Kongress könnte Druck auf die Administration ausüben, das Unternehmen in eine politisch opportune Richtung zu lenken, sei es beim Umweltschutz oder der Umsetzung von Sparbeschlüssen. Daher will das Weiße Haus GM so schnell wie möglich reprivatisieren, wenn möglich schon nach einem halben Jahr.

Händler

GM wird sein Händlernetz ausdünnen. Derzeit gibt es 6000 GM-Niederlassungen in den USA. 2600 sollen geschlossen werden. Für viele Gemeinden ist das ein harter Schlag. Im sozialen Gefüge der amerikanischen Provinz spielen die Autohändler eine wichtige Rolle. Sie sind wichtige Arbeitgeber, sponsern Sportfeste und verleihen an Feiertagen Neuwagen für Umzüge.

Kunden

Abgesehen von längeren Anfahrtswegen zu Händlern und Werkstätten, müssen die Kunden keine Einschnitte befürchten. Die Regierung hat zugesichert, für Garantien auf GM-Autos einzustehen. Vielleicht profitieren Autoliebhaber sogar von dem Bankrott.

Viele Amerikaner empfinden die Insolvenz als gerechte Strafe für schlechte Qualität. Nun besteht Hoffnung, dass der Konzern wieder bessere Autos baut. Bisher sah sich GM gezwungen, bei der Ausstattung zu sparen, um im Wettbewerb mit asiatischen und europäischen Konkurrenten die weit höheren Sozialkosten und Zinszahlungen auszugleichen. Nach einer gelungenen Sanierung wäre GM einen Großteil dieser Lasten los. Die Versöhnung der Industrie-Ikone mit ihren Kunden könnte beginnen.

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