Indien:Großes Kino in Delhi

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Anhörung in Tikamgarh in der Provinz Madhya Pradesh: Wer in Indien Wahlen gewinnen will, muss die Interessen der Bauern berücksichtigen. (Foto: Prashanth Vishwanathan/Bloomberg)

Der Finanzminister stellt seinen Haushalt vor: Die Regierung will sich um die Landbevölkerung kümmern.

Von Arne Perras, Singapur

Die Inder waren hin- und hergerissen. Gleich zwei große Darbietungen weckten am Montag ihre Neugierde, wobei der Kontrast zwischen beiden kaum größer ausfallen konnte. In der Glitzernacht von Hollywood wurden die Oscars vergeben, was die Inder schon deshalb gerne verfolgten, weil ihr heimischer Filmstar Priyanka Chopra einen der Preise überreichen durfte. Während sie in Kalifornien noch feierten, sammelten sich auf der anderen Seite der Weltkugel schon die Abgeordneten im indischen Parlament. Dort erwartete sie ein Auftritt der ganz anderen Art: Indiens Finanzminister Arun Jaitley stellte seinen Haushalt vor. Das war weniger glamourös als das Kleid der Chopra - aber dafür doch von größerem Gewicht.

Man merkte es schon daran, dass die Medien ständig den Aktenkoffer Jaitleys ins Bild rückten, als sei darin ein Schatz verborgen. Die Erwartungen an den Finanzminister waren enorm. Was würde er verteilen? Und an wen? 1,2 Milliarden Inder wollten das wissen und auch die ausländischen Investoren. Letztere mussten aber erst einmal Geduld beweisen, denn der Finanzminister begann seine Rede in Delhi mit einer Welt, die in den Wachstumsdebatten oftmals ausgeblendet wurde. Jaitley redete über Indien ganz unten: Das harte Brot der Bauern. Auf dem Land lebt immer noch mehr als die Hälfte der indischen Bevölkerung. Und ein großer Teil der Einkommen hängt direkt oder indirekt am Agrarsektor. Doch viele Bauern fühlten sich zuletzt allein gelassen oder abgehängt.

Ein großer Teil der Einkommen hängt direkt oder indirekt an der Landwirtschaft

Diesem Frust will die Regierung von Premier Narendra Modi entgegenwirken. Jaitley plant deshalb, den ländlichen Raum mit mehr als umgerechnet elf Milliarden Euro zu fördern. Dazu zählen ein Ausbau der Bewässerung, Versicherungen und Kredite für die Bauern. Außerdem kündigt die Regierung Schritte an, die den Erzeugern einen höheren Anteil an den Verkaufspreisen sichern. Jaitley verspricht, das Einkommen der Farmer innerhalb von fünf Jahren zu verdoppeln. Die Bauern könnten also zu den Gewinnern zählen, wenn die Effekte eintreten. Der Finanzminister spricht von einer "Transformation zugunsten der Farmer, der Armen und Verwundbaren".

So allerdings klang diese Regierung nicht immer. Anfangs redete Modi ganz überwiegend über drastische Reformen, den Abbau bürokratischer Hürden und eine Politik, die Unternehmen entgegenkommt. Solche Impulse gibt es auch im neuen Haushalt. So werden Start-ups die ersten drei Jahre lang von Steuern befreit. Doch alles in allem will die Regierung den Eindruck vermeiden, sie konzentriere sich zu sehr auf Unternehmen und Industrie.

Die Entdeckung des Ackers hat nach Ansicht von Analysten vor allem zwei Gründe. Zum einen haben die Bauern zuletzt sehr gelitten, nachdem der Monsun bereits seit zwei Jahren nicht mehr genügend Wasser liefert und Dürren das Einkommen der Bauern schmälert oder sie gar in ihrer Existenz bedroht. Gleichzeitig stehen zwei wichtige Regionalwahlen in diesem und dem kommenden Jahr an.

Westbengalen und Uttar Pradesh sind große indische Flächenstaaten, auf die Stimmen von Farmern kann keine Partei verzichten. Bei Wahlen in Bihar verlor die Partei von Narendra Modi, weil sie dort teils als bauernfeindlich wahrgenommen wurde.

Jaitley betonte, dass er bei der Ausarbeitung seines 262-Milliarden-Euro-Haushalts der "fiskalischen Vernunft" gefolgt sei. Die Meinungen der Experten gingen im Vorfeld auseinander, ob die Inder den Gürtel nun lockerer schnallen und mehr ausgeben sollten - oder ob es besser wäre, Disziplin zu wahren und das Ziel beizubehalten, das fiskalische Defizit weiter zu verringern. Angepeilt ist eine Minderung von zuletzt 3,9 Prozent auf 3,5 Prozent. Dieser Kurs werde beibehalten, obgleich die Regierung ankündigt, weiterhin massiv in die Infrastruktur zu investieren, umgerechnet 29 Milliarden Euro sollen in Straßen, Eisenbahnen und andere Projekte fließen, was Beifall in Wirtschaftskreisen auslöst.

Indien rechnet damit, dass die Wirtschaft im kommenden Jahr um sieben bis 7,75 Prozent wachsen wird. Allerdings ist dieser Schub stark durch öffentliche Investitionen getrieben, das private Kapital für den Aufschwung fließt langsamer als erhofft. Zur Kasse gebeten werden jetzt diejenigen, die größere Autos kaufen. Auch Steuern für reichere Bürger, die mehr als 130 000 Euro im Jahr verdienen, werden angehoben. Und das Rauchen wird teurer, weil Steuern auf Tabak steigen.

Es bleibt die Enttäuschung, dass Indien es noch nicht geschafft hat, eine einheitliche Mehrwertsteuer einzuführen, wie es Unternehmer schon lange ersehnen. "Wo sind die großen Pläne dieser Regierung?", fragte Meera Sanyal, die frühere Chefin der Royal Bank of Scotland auf dem indischen Subkontinent.

© SZ vom 01.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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