Hartz IV:Das Märchen von der fehlenden Strenge

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Auch ein Hartz-IV-Regelsatz von null ist schon jetzt möglich. In manchen Regionen werden zwar seltener Sanktionen verhängt - doch das hat gute Gründe.

Thomas Öchsner

Der Ruf nach schärferen Strafen für angeblich arbeitsunwillige Hartz-IV-Empfänger wird lauter. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt forderte, die in Bayern praktizierte Strenge auf andere Bundesländer zu übertragen. Doch das ist kaum möglich: Dass ein Hartz-IV-Empfänger nicht arbeiten will, bemerkt das Jobcenter erst, wenn es ihm eine Stelle anbietet. Genau das ist in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit schwieriger als in Bayern. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema Sanktionen gegen Langzeitarbeitslose

Die Sanktionsquote ist in Süddeutschland wesentlich höher als im Norden des Landes. Denn hier können Arbeitslosen deutlich mehr Jobs angeboten werden. Für die gesamte Grafik auf den Ausschnitt klicken. (Foto: Grafik: SZ)

Welche Strafen sind derzeit möglich?

Schon kleinere Versäumnisse wie das Verpassen eines Termins im Jobcenter können zu einer vorübergehenden Kürzung des Hartz-IV-Satzes von 359 Euro um zehn Prozent führen. Lehnt ein Langzeitarbeitsloser eine zumutbare Arbeit ab, darf das Jobcenter den Regelsatz für drei Monate um 30 Prozent reduzieren, im Wiederholungsfall um 60 Prozent. "Fällt innerhalb eines Jahres eine dritte Sanktion an, lässt sich der Regelsatz auch auf Null senken", sagt eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA).

Hartz-IV-Bezieher
:Wo die Armut wohnt

Die Unterschiede sind gewaltig: In manchen Regionen Deutschlands ist jeder Fünfte auf Hartz IV angewiesen, anderswo ist es nur jeder Hundertste: das Ergebnis Bremer Arbeitsmarktforscher in Bildern.

Ja, hier sei das Vorgehen "deutlich härter", sagt die BA-Sprecherin. Schon bei der ersten Ablehnung eines Stellenangebotes darf das Jobcenter die staatliche Hilfeleistung komplett streichen.

Nach Angaben der BA gab es 2008 insgesamt 764.889 Sanktionen, wobei einzelne Leistungsbezieher auch mehrere Strafen bekommen können. Die Sanktionsquote ist jedoch eher niedrig. Im September 2009 lag sie bundesweit bei 2,6 Prozent bezogen auf knapp fünf Millionen erwerbsfähige Hartz-IV-Empfänger.

Hier gibt es große Unterschiede: Im CSU-regierten Bayern ist die Quote mit 3,2 Prozent am höchsten, gefolgt vom SPD-geführten Rheinland-Pfalz. Die niedrigste Quote haben Bremen und Sachsen mit 2,0 Prozent. Noch größer fallen die Unterschiede in einzelnen Jobcentern und in den Kommunen aus, die die Langzeitarbeitslosen allein betreuen: In Neustadt an der Aisch (Bayern) beläuft sich die Sanktionsquote bei den arbeitslosen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen auf 9,5Prozent. In Eichsfeld (Thüringen) liegt sie dagegen bei nur 0,7 Prozent.

Die Quote hängt nicht in erster Linie davon ab, wie streng die Mitarbeiter im Jobcenter sind, sondern vom Arbeitsangebot in der Region. "Ich brauche ein Jobangebot, um jemanden fördern zu können", sagt die BA-Sprecherin.

Ist das nicht vorhanden, kommt ein Arbeitsfähiger gar nicht in die Situation, eine Arbeit abzulehnen und muss deswegen keine Sanktionen fürchten. Die Sanktionsquoten in den Ländern spiegeln deren Beschäftigungssituation wider: Wo die Arbeitslosigkeit hoch ist, sind die Quoten niedrig - und umgekehrt. Deshalb lässt sich die bayerische Praxis nicht auf andere Länder übertragen. Selbst der frühere CSU-Chef Erwin Huber sagt: Es gibt zu wenige Vermittlungsmöglichkeiten.

Die Bundesagentur lehnt dies ab. "Der überwiegende Teil der Hilfebedürftigen verhält sich regelkonform. Deshalb brauchen wir die Sanktionen im Regelfall gar nicht", sagt die Sprecherin der Behörde. Auch der Chef der Arbeitnehmergruppe von CDU/CSU im Bundestag, Peter Weiß, hält die Gesetze für ausreichend.

"Wenn jemandem der Regelsatz um 60 Prozent gekürzt wird, ist das schon ein sehr massiver Eingriff", sagte er der SZ. Es komme darauf an, Hindernisse für eine Arbeitsaufnahme zu beseitigen. So benötige eine arbeitslose, alleinerziehende Krankenschwester eine Kinderbetreuung, die es ihr auch erlaube, in Schichten zu arbeiten, die nicht tagsüber liegen.

Das Bündnis für ein Sanktionsmoratorium lehnt die Strafen ab. Die stellvertretende Linkspartei-Chefin Katja Kipping erinnert daran, dass es sich bei Hartz IV um das Existenzminimum handele: "Darunter darf man nicht kürzen."

Die BA vergleicht das Sanktionsrecht dagegen mit der Straßenverkehrsordnung: "Dort muss auch jeder mit Strafen rechnen, der sich nicht an Verkehrsregeln hält." Das Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle untersuchte die Sanktionspraxis. Das Ergebnis: Gut die Hälfte der Leistungskürzungen geht auf Meldeversäumnisse zurück.

IWH-Forscher Ingmar Kumpmann sieht das als Indiz, dass es Hartz-IV-Empfängern eher an der Selbstorganisation als an Leistungsbereitschaft mangele. Außerdem stellt er fest, dass mehr als vierzig Prozent der Widersprüche gegen Sanktionen erfolgreich waren. Das legt nahe: Die Abzüge treffen nicht immer die Richtigen.

© SZ vom 23.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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