Handel:Der Türöffner

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Bonus für die Kunden: Cyriac Roeding entwickelte in den USA die App Shopkick. (Foto: shopkick Germany)

Der junge Deutsche Cyriac Roeding entwickelte eine App für den Handel, die in den USA inzwischen ein Renner ist. Ein Bonussystem lockt Kunden in die Läden. Nun kommt er mit seiner Idee nach Deutschland.

Von Varinia Bernau, München

Es war ein denkbar schlechter Tag, an dem der lang gehegte Traum von Cyriac Roeding wahr wurde: Der Deutsche, der sich schon in der Heimat als Internetunternehmer versucht hatte, war endlich im Silicon Valley gelandet. Da, wo man die richtig großen Dinger dreht. An diesem Spätsommertag fing er beim renommierten Risikokapitalgeber Kleiner & Perkins an, unter dessen Dach er an einem Start-up tüfteln sollte. Doch dieser Sommertag war auch der Tag, an dem die Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz anmeldete. Der Tag, an dem klar wurde: Das Geld für Start-ups würde nicht mehr locker fließen.

Roeding, damals 35 Jahre alt, wusste, dass er nun Investoren überzeugen musste. Während sich im Herbst 2008 die Krise von der Wall Street aus immer tiefer in die Wirtschaft fraß, fragte er sich also, wo das Geld steckt. Seine Antwort: Da, wo die Leute Geld ausgeben, in den Malls, in Boutiquen und Baumärkten, Supermärkten und Sportgeschäften. Dort, so rechnet Roeding vor, geben die Amerikaner jedes Jahr drei Billionen Dollar aus. Wenn er, der junge Internetunternehmer, mit den etablierten Händlern ins Geschäft kommen wollte, dann musste er ihre Probleme verstehen - und ihnen eine Lösung anbieten.

Also ist Roeding mit einem Mietwagen durch den mittleren Westen gefahren, hat in den Läden gefragt, was deren größte Sorge sei. Überall bekam er die gleiche Antwort: "Wir kriegen die Leute nicht mehr in die Läden."

Warum also nicht die Kunden dafür belohnen, dass sie in die Läden kommen? Das ist die Idee hinter Roedings App Shopkick, die er schließlich 2009 gestartet hat - und die inzwischen in den USA zu den am meisten genutzten Apps zählt. Zwölf Millionen Menschen haben sie dort auf ihren Smartphones installiert. Kommen sie in einen der Partnerläden, so empfängt ihr Telefon ein fürs menschliche Ohr nicht wahrnehmbares Audiosignal. Jeder Eintritt wird mit 35 Kicks belohnt, was einem Gegenwert von 14 Cent entspricht. Zusätzliche Punkte erhält, wer zum Beispiel eine Cola-Dose aus dem Regal nimmt und deren Code einscannt oder wer einen Pulli in der Umkleidekabine anprobiert. Die Kicks können später in Gutscheinkarten eingelöst werden. Um sich auf diese Weise fünf Euro zu verdienen, muss man im Durchschnitt 35 Mal einen der Läden betreten.

Wer diesen Schritt erst einmal getan hat, das ist das Kalkül, der kauft eher etwas. Zum einen, weil ihm mitten im Supermarkt einfällt, dass er noch eine Packung Milch braucht, oder weil er im Schuhladen ein Paar aufregend rote Pumps entdeckt. Zum anderen hat er das Gefühl, dass es vergeudete Zeit wäre, nichts zu kaufen, wo er doch extra in die Einkaufszone gefahren ist. In Modegeschäften kauft jeder fünfte, der den Laden betreten hat, etwas; im Lebensmittelhandel mehr als neun von zehn Besuchern, rechnet Roeding vor. Im Onlineshop, wo man kein Gespräch mit einer netten Verkäuferin begonnen hat, wo man nicht erst hingefahren ist, ziehen die Leute viel häufiger weiter, ohne etwas in den virtuellen Einkaufskorb zu packen.

Roedings Erfahrungswerte sind vor allem Erfahrungswerte aus den USA. Noch, so betont der Kölner Handelsforscher Kai Hudetz, könnten die Händler in Deutschland etwas mehr auf die Laufkundschaft setzen. Doch das ändert sich. Sein Team am Institut für Handelsforschung (IFH) hat Passanten in den Einkaufsstraßen von mehr als 60 deutschen Städten befragt. Jeder fünfte sagte, dass er heute bereits seltener in die Innenstadt kommt, um stattdessen online zu shoppen. Zu spüren bekommen das vor allem jene Städte, die dort liegen, wo junge Menschen wegziehen und nur wenige Touristen vorbeikommen - in einigen ostdeutschen Gegenden, aber auch im Hessischen oder in der Eifel. Und es merken zunehmend die Händler, die ihre Läden in einer Nebenstraße haben.

Auch in Deutschland haben viele Händler inzwischen durchaus verstanden, dass das Internet mehr ist als eine vorübergehende Erscheinung. Aber sie wissen ebenso, dass sie Kunden etwas zu bieten haben, womit Amazon, Zalando und Co. nicht aufwarten können: Nähe. Selbstbewusst die technischen Möglichkeiten zu nutzen statt in einer Mischung aus Arroganz und Angst stehen zu bleiben, das ist der Weg, den viele Händler nun einzuschlagen versuchen. Und das erklärt wohl auch, warum sie jungen Entwicklern wie Roeding durchaus interessiert gegenübertreten.

Große Handelsketten wie Douglas, Karstadt, Saturn wollen mitmachen

Aus keinem anderen Land seien so viele Manager von Handelskonzernen zu ihm ins Silicon Valley gekommen, wie aus Deutschland, erzählt Roeding. Für ihn war das eine neue Erfahrung. Er hat sich, ehe er vor gut zehn Jahren in die USA ging, auch in Deutschland als Unternehmer versucht. Damals kannten Handybildschirme gerade erst vier Farben; mit einem per SMS verschickten Gewinncode wollte er Unternehmen helfen, Kunden zu gewinnen. Doch damals, nach dem Platzen der Dotcom-Blase, galt alles, was mit dem Internet zu tun hat, als suspekt. Das sei ein Grund dafür gewesen, warum es Roeding, am Bodensee geboren, im Taunus aufgewachsen, schließlich in die USA zog. "Die Deutschen hatten in der Vergangenheit ein Talent, eher die Probleme als die Möglichkeiten zu sehen", sagt er im Rückblick.

Heute sei die Stimmung in Deutschland ganz anders. "Ich muss meine Gesprächspartner natürlich immer noch überzeugen, aber man kann sie richtig für etwas begeistern. Deutschland wird gerade zu einem Ort, an dem man Neues wagen kann." Im vergangenen Herbst hat Roeding die App auch in seiner einstigen Heimat gestartet - und schon neun Handelsketten als Partner gewonnen: Douglas ist dabei, Karstadt, Obi, Penny, Saturn.

Handelsexperte Hudetz aber bleibt vorsichtig. "Ein Allheilmittel ist das nicht", sagt er. "Shopkick wird jedenfalls niemanden retten, der seine Hausaufgaben nicht macht." Der Siegeszug des Onlinehandels habe auch dazu geführt, dass die Kunden heute anspruchsvoller seien. "Wenn es an Service und Beratung mangelt, das Sortiment zu klein ist oder es an der Ladengestaltung hapert, dann wird der Kunde keinen Fuß in die Tür setzen - selbst wenn er so Bonuspunkte sammeln kann."

Seine Skepsis gegenüber Shopkick rührt auch daher, dass die Deutschen eher als die Amerikaner davor zurückschrecken, über solch eine App ihre Einkaufsgewohnheiten zu verraten. Dass Verbraucher grundsätzlich zu diesem Schritt bereit sind, wenn es dafür Rabatte gibt, zeige allerdings der Siegeszug von Payback. "Heute ist das eine Selbstverständlichkeit, aber es hat Jahre gedauert, bis sich die Rabattkarte durchgesetzt hat."

Auch Roeding weiß, dass die Deutschen beim Datenschutz sehr viel empfindlicher sind als die Amerikaner. Aber er glaubt, dass er, der Deutsche, sie besser versteht als ein Amerikaner. Natürlich seien die Begehrlichkeiten der Händler, mehr über ihre Kunden zu wissen, groß. Aber Roeding betont hartnäckig: "Wir reichen keine persönlichen Daten weiter." Das, sagt er, könnte all seine Anstrengungen mit einem Schlag zunichte machen.

© SZ vom 09.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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